Unerhörte Klänge in magischen Räumen
Jürgen Grözingers „Festival Neue Musik“steht in diesem Jahr unter dem vieldeutigen Motto „Stimmung“
Jürgen Grözinger gerät gerne ins schwärmerische Dozieren, wenn er über Obertöne und Mikrotonalität spricht. Wahrscheinlich ein Berufsrisiko, wenn man sich wie der aus Ulm stammende Komponist und Perkussionist der Neuen Musik verschrieben hat. Tatsächlich gehört der 54-Jährige aber zu den offenen Vertretern seiner Gattung – und hat dies mit dem von ihm kuratierten „Festival Neue Musik“schon mehrfach bewiesen. Am morgigen Samstag beginnt die neue Ausgabe, die ein vielfältiges und auch für NichtFachleute ein zugängliches Programm verspricht: im Stadthaus, aber auch im Münster.
„Stimmung“ist das Festival 2018 betitelt, zum einen natürlich wegen der Stimmung der Instrumente (siehe Obertöne und Mikrotonalität), aber auch im Sinne von Gaudi: Immerhin feiert das Stadthaus dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen, und schon im ersten Jahr feierte dort Grözingers European Music Project seine Weltpremiere. Das Festival gibt es seit 1996, und auch wenn es aus finanziellen Gründen nur mehr alle zwei Jahre stattfinden kann, ist es für Stadthaus-Leiterin Karla Nieraad ein elementarer Baustein des Programms: „Es ist ein Privileg, so etwas in der Stadt zu haben.“
Der Blick auf die anstehenden Veranstaltungen zeigt, dass Nieraad durchaus Recht hat: Denn beim „Festival Neue Musik“gibt es wieder deutsche Erst- und sogar Uraufführungen, spannende musikalische Begegnungen und ungewöhnliche Erfahrungen. Beispielsweise die Aufführung von Georg Friedrich Haas’ 10. Streichquartett, für die der Stadthaussaal komplett verdunkelt wird. Die Dunkelheit steht bei Haas für die dunkle Seite des Menschen, und derzeit auch für „die braune und dunkle Realität“(Grözinger) in seinem Heimatland Österreich, aber auch in Deutschland. Womit das Festivalmotto noch eine weitere, beunruhigende Bedeutungsebene bekommt.
Das berühmteste Werk und gleichzeitig Namensgeber des Festivals ist Karlheinz Stockhausens 1968 veröffentlichtes Stück „Stimmung“, das vom renommierten Ensemble Voxnova Italia im Münster aufgeführt wird. Quasi im Austausch tritt dafür das Vokalensemble Ulmer Münster im Stadthaus auf. Überhaupt prägen Künstler aus der Region das Programm mit, etwa die Sopranistinnen Maria Rosendorfsky und Esther Kretzinger. Dazu kommen nationale und internationale Gäste, etwa die Stimmkünstlerin Anna Clementi und das Ensemble Consord. Bei der Auswahl der Stücke hat Kurator Grözinger ein besonderes Augenmerk auf Komponistinnen gelegt, etwa Stepha Schweiger, deren Musiktheater „The Mark on the Wall“am ersten Stadthausabend zu sehen ist.
Speziell zum 25. Geburtstag bietet das Stadthaus eine besondere Aktion an: Besucher bis 25 Jahre zahlen an jedem Abend nur fünf Euro Eintritt, aber auch sonst sei das Festival sehr günstig, betont Stadthaus-Chefin Nieraad, die sich mehr Publikum als in der Vergangenheit wünscht. Es lohne sich: Jedes Mal beobachte sie wieder, wie „beseelt“die Gesichtsausdrücke der Besucher bei den Konzerten sind. Neue Musik ist eben nicht nur Theorie, sondern auch Gefühl. Jürgen Grözinger spricht von „magischen Räumen“, die es zu entdecken gibt: „Das Festival ist eine Einladung an alle, etwas Besonderes zu erleben.“