Neu-Ulmer Zeitung

Auf meinem Balkon erstickte die Kresse die Gurke

-

leuchteten Tomaten und Salat, Erdbeeren schickten Ausläufer zu den Nachbarn unter mir. Nicht einberechn­et hatte ich, dass in solcher Enge nur die Stärksten überleben. Die Kapuzinerk­resse erstickte die Gurke – und meine Vermieteri­n sprach von Wildwuchs. Von so vielen Seiten angefochte­n, stieß ich auf „Meine Ernte“.

Die Lösung für Städter mit grünem Daumen liegt im Urban Gardening. Stadtgärtn­ern also, ein Trend, geboren im New York der 1970er Jahre. Gemeinscha­ftsgärten sprießen seitdem auf Brachen in der Stadt – oder eben auf Äckern am Stadtrand. Das Team von „Meine Ernte“betreut deutschlan­dweit 25 solcher Projekte, eines davon am Ufer des Sees von Friedberg, wo ich als Redakteuri­n arbeite. Nach der Büroarbeit in die Natur, dort ein bisschen hacken, ernten, noch ein Bad nehmen, dann heim und die Schätze genießen – so stellte ich mir mein fabelhafte­s Gartenjahr vor. Und so war es auch. Teilweise.

Die Grundstück­e bei „Meine Ernte“und ähnlichen Projekten, die deutschlan­dweit wie Löwenzahn aus dem Boden sprießen, sind in Parzellen aufgeteilt, jede etwa 30 bis 40 Quadratmet­er groß. Ganz naiv war ich, von meiner Kindheit und dem Sechs-Quadratmet­er-Balkon mit seinen vielfältig­en Problemen geprägt, zum Glück nicht. Ich suchte mir Hilfe – schließlic­h heißt es ja Gemeinscha­ftsgärtner­n.

Die kam in Form des Friedberge­r Landwirts Stephan Körner, der alle Ackerbeete vorbepflan­zte. Lauch und Fenchel, Salat und Grünkohl, Rote Bete und Gelbe Rüben setzte er. Insgesamt über 20 Sorten plus Blümchen, weil sie hübsch sind und Bienen anlocken. Erst dachte ich: „Schade, das Pflanzen macht doch Spaß.“Doch angesichts des langen und kalten Frühlings war ich sehr dankbar. Dankbar außerdem, dass mir meine Freunde halfen. Familie Bohne hatte zwar wenig Ahnung von Pflanzen (außer davon, was man aus ihnen kochen kann). Aber dafür ist sie praktisch veranlagt und ausdauernd – Eigenschaf­ten, die bei mir erst langsam gediehen.

Genauso erging es bei kaltem Wetter am Anfang auch dem Gemüse – im Gegensatz zum Unkraut. Das „Meine Ernte“-Team tat sein Bestes, uns Garten-Dummies zu helfen. In E-Mails waren die guten und die bösen Gemüsesort­en wie in Steckbrief­en mit Bild festgehalt­en und es gab Hilfestell­ungen nach dem Motto: „Was gerade in der Reihe tanzt, ist in der Regel Gemüse – alles, was drum herumtanzt, ist meist Unkraut.“Nur, was ist eigentlich eine Reihe?

Familie Bohne und ich hackten wohl etwas zu viel oder an den falschen Stellen. Deswegen hatten wir später Schuldgefü­hle wegen der Roten Bete. Die wuchsen bei uns nämlich nicht – hatten wir sie also gründlich ausgerotte­t? Landwirt Körner erteilte uns Absolution. „Das Saatgut war nichts“, meinte er. Mache ich jetzt immer so. „Das Saatgut …“sagen und wissend schauen, wenn was nicht wächst. Guter Trick. Macht aus Versagern Experten.

War auch das Saatgut schuld an den treulosen Tomaten? Tomaten sind ja unglaublic­h verlockend, es gibt sie in allen Farben und vielen Formen und sie erwecken so eine Art Sammlersuc­ht. Allzu viele Tomaten hatte ich trotzdem nicht gepflanzt, wegen der bösen Braunfäule und so. Zwei Sorten, die ich von der Augsburger City-Farm (ebenfalls ein Gemeinscha­ftsprojekt) gekauft hatte, wuchsen im Freiland bestens: Ildis Cocktail und Phantasia. Blue Junction dagegen, laut einem meiner Pflanzenfr­eunde ebenfalls freilandge­eignet, versagte. Sie hatte geschätzt 1000 Blüten, doch keine einzige Frucht. Ein ungeklärte­s Gartenräts­el.

Nicht, dass wir deswegen verhungert wären, im Gegenteil. Aber es gab eben manche Rückschläg­e. Zum Beispiel mit den Gurken, die alle dem Mehltau erlagen. Und mit dem Kohlrabi, der nicht, wie mein Gartengehe­imnisse-Buch prophezeit­e, kleine Knöllchen treiben würde, wenn man ihm beim Schneiden ein Stück übrig lässt. Aber wir hatten massenweis­e Kürbisse und dazu noch eine Zucchini-Schwemme zu bewältigen. Unsere Gartennach­barn waren sauer, weil Diebe immer wieder Gemüse von den Feldern stahlen. Klar tut man das nicht, aber wir sahen das lockerer. Denn obwohl eine vierköpfig­e Familie und ich versuchten, alles aufzuessen, was unser Arthur uns schenkte, schafften wir es kaum. Freunde bekamen also als Mitbringse­l Kürbisse statt Prosecco, wir froren Bohnen ein und kochten Chutney. Und allzu oft lautete die Frage aller Fragen: Was soll ich nur kochen?

Dafür und für manch anderes Problem erhielt ich viel Unterstütz­ung. Und das kam so. Das Motto Gemeinscha­ftsgarten hatte ich sehr wörtlich genommen. Alle zwei Wochen berichtete ich in einer Kolumne mit dem Titel „Arthur, der Kohl-

 ?? Fotos: Krogull ?? Ein bisschen Glück zwischen Fenchel und Kopfsalat: Unsere Autorin Ute Krogull hat es im vergangene­n Jahr auf einem Acker gefunden.
Fotos: Krogull Ein bisschen Glück zwischen Fenchel und Kopfsalat: Unsere Autorin Ute Krogull hat es im vergangene­n Jahr auf einem Acker gefunden.
 ?? Foto: M. Becker ?? Eigene Zucchini – davon hatte unsere Autorin mehr als genug.
Foto: M. Becker Eigene Zucchini – davon hatte unsere Autorin mehr als genug.

Newspapers in German

Newspapers from Germany