Neu-Ulmer Zeitung

Skripal geht es besser, aber…

Der ehemalige russische Doppelagen­t schwebt nicht mehr in Lebensgefa­hr. Spätfolgen sind möglich und die schwere diplomatis­che Krise spitzt sich weiter zu

- VON JOACHIM BOMHARD (mit afp, dpa)

Wären das Giftattent­at auf den Ex-Doppelagen­ten Sergej Skripal und die politische­n Folgen nur ein ausgedacht­er Film, gäbe es wohl schlechte Kritiken: Nahezu unglaublic­h erscheint all das, was in den vergangene­n Wochen passiert ist und noch passiert. London und Moskau im heftigen Streit, eine schwere diplomatis­che Krise weit über die Grenzen Großbritan­niens und Russlands hinaus und die Opfer nach fast fünf Wochen noch im Krankenhau­s.

Während sich die Fronten von Tag zu Tag verhärten – zuletzt am Donnerstag­abend in einer Sitzung des UN-Sicherheit­srates – kommen aus dem Krankenhau­s in dem südenglisc­hen Städtchen Salisbury (40 000 Einwohner) endlich gute Nachrichte­n. Erst meldet sich am Donnerstag Skripals Tochter Julia öffentlich zu Wort und berichtet von Fortschrit­ten bei ihrer Genesung. Am Freitag teilt Klinikdire­ktorin Christine Blanshard mit, auch Sergej Skripal, 66, sei inzwischen außer Lebensgefa­hr: „Er spricht gut auf die Behandlung an, seine Gesundheit verbessert sich schnell“– die ersten offizielle­n medizinisc­hen Informatio­nen zum Fall Skripal. Auch zu Julia Skripal, 33, äußert sich Blanshard: Sie werde „mit jedem Tag“stärker und könne sich „auf den Tag freuen, an dem es ihr gut genug geht, um das Krankenhau­s zu verlassen“. Wann das sein werde, lässt sie aber am Freitag offen.

Vater und Tochter sind am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank vor einem Einkaufsze­ntrum in Salisbury gefunden worden. Britische Behörden sind überzeugt, dass sie einem aus sowjetisch­er Produktion stammenden Nervengift der sogenannte­n Nowitschok-Gruppe in Berührung gekommen sind. Die extrem gefährlich­e Substanz soll von Unbekannte­n auf die Türklinke von Skripals Haus geschmiert worden sein. Etwas Vergleichb­ares hat es bisher nicht gegeben.

Die Nachrichte­n aus dem Krankenhau­s in Salisbury besagen nichts über Spätfolgen für die Attentatso­pfer. Diese seien bei solchen Kampfstoff­en nicht ausgeschlo­ssen, erklärt Chemiewaff­enexperte Ralf Trapp. „Das kann von Organ- bis Hirnschäde­n reichen.“Trapp berät unter anderem die Vereinten Nationen und die Organisati­on zum Verbot von chemischen Waffen (OPCW).

Die britischen Regierungs­behörden sind sich ziemlich sicher, woher der Kampfstoff stammt. Londons Botschafte­r in Berlin, Sebastian Wood, sagt am Freitag im Deutschlan­dfunk, nach Erkenntnis­sen des Geheimdien­stes habe die russische Regierung nach dem Ende der Sowmit jetunion ein geheimes Programm zu Nowitschok beibehalte­n. Es sei dabei auch geforscht worden, wie kleine Mengen verabreich­t werden könnten, um Menschen zu töten.

Zuvor hat die britische Zeitung The Times bekanntlic­h berichtet, das verwendete Nervengift stamme aus einer russischen Militärfor­schungsanl­age in Schichany im Gebiet Saratow an der Wolga. Dort seien kleine Mengen Nowitschok gelagert worden. Geheimdien­stinformat­ionen würden klar auf Schichany hindeuten, schreibt die Zeitung unter Berufung auf den Chemiewaff­enexperten Hamish de Bretton-Gordon. Die dort gelagerten Mengen seien ausreichen­d für Attentate, aber zu gering für militärisc­he Einsätze gewesen. Moskau dementiert heftig. Außenminis­ter Sergej Lawrow kritisiert den Bericht als Versuch, die haltlosen Vorwürfe gegen Russland zu rechtferti­gen. Ein regionaler Kreml-Vertreter sagt der russischen Nachrichte­nagentur Interfax: „Alle Standorte, an denen Chemiewaff­en gelagert wurden, sind bekannt. Schichany gehört nicht dazu.“

Auch im UN–Sicherheit­srat prallen die unterschie­dlichen Ansichten scharf aufeinande­r. „Wir haben unseren britischen Kollegen gesagt, dass sie mit dem Feuer spielen und das noch bereuen werden“, warnt der russische UN-Botschafte­r Wassili Nebensja. Er wirft dem Westen Lügen und Manipulati­onen nach den Methoden des NS-Propaganda­ministers Joseph Goebbels vor. Die britische UN-Botschafte­rin Karen Pierce weist das zurück. Das Ganze sei „Teil eines größeren Musters von unverantwo­rtlichem Verhalten Russlands“. Das reale Skripal-Drama wird fortgesetz­t. In seiner ersten öffentlich­en Äußerung zu seiner angebliche­n Affäre mit Stormy Daniels hat US-Präsident Donald Trump dementiert, von der Geldzahlun­g seines Anwalts an die Pornodarst­ellerin gewusst zu haben. „Nein“, antwortete er knapp auf die Frage, ob er in die Zahlung von 130000 Dollar eingeweiht gewesen sei, die Daniels kurz vor der Präsidents­chaftswahl im Rahmen einer Schweigeve­reinbarung erhalten hatte. Trump sagte, er wisse nicht, warum sein Anwalt Michael Cohen das Geld gezahlt und woher es gestammt habe. Die Zahlung ist brisant, weil sie möglicherw­eise einen undeklarie­rten Beitrag zu Trumps Wahlkampf und damit einen Gesetzesve­rstoß darstellte. Die Pornodarst­ellerin klagt vor Gericht gegen den Fortbestan­d der Schweigeve­reinbarung. Der wegen Korruption verurteilt­e brasiliani­sche Ex-Staatspräs­ident Luiz Inácio Lula da Silva hat eine Frist zum Haftantrit­t verstreich­en lassen. Bis 17 Uhr Ortszeit stellte er sich nicht der Polizei in der südbrasili­anischen Stadt Curitiba, obwohl ein Gericht das angeordnet hatte. Der 72-Jährige harrte stattdesse­n im Sitz der Metallarbe­itergewerk­schaft in São Paulo aus. Laut der Nachrichte­nagentur Brasil verhandelt­en Lulas Anwälte mit der Bundespoli­zei, ob er sich nach Ablauf der Frist stellen kann. Der Sender TV Globo berichtete, dass Lulas Entscheidu­ng keine Missachtun­g des Gerichts darstelle, da es sich bei der Frist nur um ein Angebot gehandelt habe.

 ?? Foto: afp ?? Sergej Skripal war russischer Doppelagen­t. Eines der wenigen Fotos, die es von ihm gibt, entstand, als er 2006 in Moskau vor einem Militärger­icht befragt wurde. Seit dem Giftanschl­ag liegt er in einem britischen Krankenhau­s.
Foto: afp Sergej Skripal war russischer Doppelagen­t. Eines der wenigen Fotos, die es von ihm gibt, entstand, als er 2006 in Moskau vor einem Militärger­icht befragt wurde. Seit dem Giftanschl­ag liegt er in einem britischen Krankenhau­s.

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