Von Nersingen über Sydney zum Erfolg
Zwei junge Friseurinnen haben sich den Traum von der eigenen Haarpflegeserie erfüllt und fahren jetzt Bus
Feste Umarmung ist Pflicht. Gar nicht erst Berührungsängste aufkommen lassen. Dann viel lachen. Wer lacht, ist glücklich, und wer nicht glücklich ist, wird es durch mehr lachen. Und dann steht der Gast in einem alten amerikanischen Schulbus, in dem rein gar nichts an einen amerikanischen Schulbus erinnert. Die Sitzreihen wichen einem Haarwaschbecken und einem Friseurstuhl, im hinteren Teil laden zwei gepolsterte Bänke zum Entspannen ein. Von der Decke hängen Traumfänger, an den Wänden kleben Polaroidfotos. Es ist der liebliche Traum 14-jähriger Mädchen, die sehr viel Zeit auf Instagram verbringen.
An diesem Tag steht der Traum auf Rädern im Garten von Ramona Mayrs Eltern in Nersingen. Blogger und Instagramer pilgern ins Dorf, um einen Blick aufs Interieur des Busses zu werfen, Fotos, Selfies und Videos zu produzieren für den eigenen Blog, die eigene Timeline.
Ramona und ihre Geschäftspartnerin Julia Schindelmann aus Würzburg heißen jeden willkommen und jedem erzählen sie ihre Geschichte, die gleich so unglaublich gut nach Gründermythos klingt, dass sie perfekt in den durchgestylten Bus passt: Alles beginnt damit, dass Ramona unglücklich ist, obwohl sie scheinbar alles hat. Die damals 25-jährige Friseurmeisterin und Hair- und Make-up-Artistin arbeitet für die Großen der Branche: Louis Vuitton, Valentino gehören zu ihren Auftraggebern genauso wie die Berlin Fashion Week. Aber Spaß findet sie dort keinen, was nicht wundert. Mit ihrer natürlichen, direkten Art kann man sich Ramona in der High-Fashion-Welt so gut vorstellen wie Karl Lagerfeld, der am 1. Mai singend um den Nersinger Maibaum tanzt.
Also schmeißt Ramona 2015 hin, macht eine Weltreise eineinhalb Jahre lang und landet – wo sonst – am Ende in Sydney. Dort kauft sie sich von ihrem letzten Geld einen kleinen Hippie-Bus und tingelt mit dem von Hostel zu Hostel, macht den Mädchen im Vier-Bett-Zimmer die Haare schön, gibt Workshops und träumt von der großen Selbstverwirklichung. Über Skype erzählt sie ihrer ehemaligen Arbeitskollegin Julia von ihren Ideen, die von all den Traumschlössern so begeistert ist, dass sie ihren Job hinschmeißt und nach Australien fliegt. Sofort merken die jungen Frauen, wie ideal sie sich ergänzen: „Ich manage und Mona ist die Visionärin“, stellt Julia sich und ihre Kollegin vor.
Innerhalb eines Monats gedeihen aus bunten Träumereien klare Pläne. Zuerst wollen die beiden Friseurinnen nur mit einem eigenen Stylingbus durch Deutschland fahren. Dann gleich eine eigene Marke mit Haarprodukten entwerfen – und zwar welche „mit Persönlichkeit und Herz“. Außerdem sollten Shampoo, Haarkur und Conditioner so gut sein wie die 30-Euro-Produkte vom Starfriseur, aber eben billiger, damit sich den Seidenglanz fürs Haar auch „ganz normale Mädels leisten können“, erklärt Julia.
Zurück in Deutschland gründen die Friseurinnen in Ramonas altem Kinderzimmer das Unternehmen „Langhaarmädchen“. Kurze Zeit später fahren sie mit einem geliehenen Oldtimerbus aufs Oktoberfest, um vor Ort den Damen im Dirndl passende Flechtfrisuren zu verpassen – mit dem Ergebnis, dass das Privatfernsehen auf die Gründerinnen aufmerksam wird. Darauf lädt die deutsche Friseurakademie „Langhaarmädchen“auf die Glow ein – der Beautymesse für alle Youtube-Mädchen und Instagramerinnen. Dort quatschen Julia und Ramona in ihrer unbefangenen Art die Manager der Drogeriemarktkette DM an und überzeugen sie direkt von ihrer Idee. Zusammen arbeitet man eine Produktpalette von Spülung bis zum Trockenshampoo aus und packt das in eine blumenbemalte Verpackung, die bewusst ein bisschen handgemacht und unbedarft anmutet und auf Instagram gut aussieht. Gleichzeitig kauft DM den beiden den amerikanischen Schulbus, in dem sie jetzt durch Deutschland reisen, jungen Frauen die Haare flechten und vor dem Drogeriemarkt ihre Produkte vorstellen. So leben sie nun das Leben angehender Influencer: Menschen, die über soziale Medien Teenager vom Kauf mehr oder minder notwendiger Produkte überzeugen. Ihre Erfolgsgeschichte tragen die beiden Frauen geschmeidiger und pointierter vor, als der Bundespräsident seine Weihnachtsansprache vom Teleprompter abliest.
Einige der Sätze, die sie formulieren, findet man wörtlich auf ihrer Homepage wieder, wie dieser: „Jedes Produkt hat bei uns seine eigene Geschichte und wurde von uns mit sehr viel Bewusstsein und Herz entwickelt!“Ganz ironiefrei werfen sie ab und an Flowerpower-Sinnsprüche ein, wie, „Der Weg ist das Ziel“, oder, „Love what you do“. Gleichzeitig zeichnen ihre Gesichter auffallend synchron starken Ehrgeiz ab. „Ich habe unzählige Bücher von erfolgreichen Persönlichkeiten gelesen, weil ich wissen wollte, was die anders machen als normale Menschen“, gesteht Ramona.
Wie der nächste Karriereschritt der Jung-Influencer aussieht? Ramona sagt, sie hätte Pläne für mindestens zehn Jahre. „Heute Abend aber schreibe ich erst mal meine fünf schönsten Momente des heutigen Tages auf.“