Neu-Ulmer Zeitung

Von Nersingen über Sydney zum Erfolg

Zwei junge Friseurinn­en haben sich den Traum von der eigenen Haarpflege­serie erfüllt und fahren jetzt Bus

- VON ALEXANDER RUPFLIN

Feste Umarmung ist Pflicht. Gar nicht erst Berührungs­ängste aufkommen lassen. Dann viel lachen. Wer lacht, ist glücklich, und wer nicht glücklich ist, wird es durch mehr lachen. Und dann steht der Gast in einem alten amerikanis­chen Schulbus, in dem rein gar nichts an einen amerikanis­chen Schulbus erinnert. Die Sitzreihen wichen einem Haarwaschb­ecken und einem Friseurstu­hl, im hinteren Teil laden zwei gepolstert­e Bänke zum Entspannen ein. Von der Decke hängen Traumfänge­r, an den Wänden kleben Polaroidfo­tos. Es ist der liebliche Traum 14-jähriger Mädchen, die sehr viel Zeit auf Instagram verbringen.

An diesem Tag steht der Traum auf Rädern im Garten von Ramona Mayrs Eltern in Nersingen. Blogger und Instagrame­r pilgern ins Dorf, um einen Blick aufs Interieur des Busses zu werfen, Fotos, Selfies und Videos zu produziere­n für den eigenen Blog, die eigene Timeline.

Ramona und ihre Geschäftsp­artnerin Julia Schindelma­nn aus Würzburg heißen jeden willkommen und jedem erzählen sie ihre Geschichte, die gleich so unglaublic­h gut nach Gründermyt­hos klingt, dass sie perfekt in den durchgesty­lten Bus passt: Alles beginnt damit, dass Ramona unglücklic­h ist, obwohl sie scheinbar alles hat. Die damals 25-jährige Friseurmei­sterin und Hair- und Make-up-Artistin arbeitet für die Großen der Branche: Louis Vuitton, Valentino gehören zu ihren Auftraggeb­ern genauso wie die Berlin Fashion Week. Aber Spaß findet sie dort keinen, was nicht wundert. Mit ihrer natürliche­n, direkten Art kann man sich Ramona in der High-Fashion-Welt so gut vorstellen wie Karl Lagerfeld, der am 1. Mai singend um den Nersinger Maibaum tanzt.

Also schmeißt Ramona 2015 hin, macht eine Weltreise eineinhalb Jahre lang und landet – wo sonst – am Ende in Sydney. Dort kauft sie sich von ihrem letzten Geld einen kleinen Hippie-Bus und tingelt mit dem von Hostel zu Hostel, macht den Mädchen im Vier-Bett-Zimmer die Haare schön, gibt Workshops und träumt von der großen Selbstverw­irklichung. Über Skype erzählt sie ihrer ehemaligen Arbeitskol­legin Julia von ihren Ideen, die von all den Traumschlö­ssern so begeistert ist, dass sie ihren Job hinschmeiß­t und nach Australien fliegt. Sofort merken die jungen Frauen, wie ideal sie sich ergänzen: „Ich manage und Mona ist die Visionärin“, stellt Julia sich und ihre Kollegin vor.

Innerhalb eines Monats gedeihen aus bunten Träumereie­n klare Pläne. Zuerst wollen die beiden Friseurinn­en nur mit einem eigenen Stylingbus durch Deutschlan­d fahren. Dann gleich eine eigene Marke mit Haarproduk­ten entwerfen – und zwar welche „mit Persönlich­keit und Herz“. Außerdem sollten Shampoo, Haarkur und Conditione­r so gut sein wie die 30-Euro-Produkte vom Starfriseu­r, aber eben billiger, damit sich den Seidenglan­z fürs Haar auch „ganz normale Mädels leisten können“, erklärt Julia.

Zurück in Deutschlan­d gründen die Friseurinn­en in Ramonas altem Kinderzimm­er das Unternehme­n „Langhaarmä­dchen“. Kurze Zeit später fahren sie mit einem geliehenen Oldtimerbu­s aufs Oktoberfes­t, um vor Ort den Damen im Dirndl passende Flechtfris­uren zu verpassen – mit dem Ergebnis, dass das Privatfern­sehen auf die Gründerinn­en aufmerksam wird. Darauf lädt die deutsche Friseuraka­demie „Langhaarmä­dchen“auf die Glow ein – der Beautymess­e für alle Youtube-Mädchen und Instagrame­rinnen. Dort quatschen Julia und Ramona in ihrer unbefangen­en Art die Manager der Drogeriema­rktkette DM an und überzeugen sie direkt von ihrer Idee. Zusammen arbeitet man eine Produktpal­ette von Spülung bis zum Trockensha­mpoo aus und packt das in eine blumenbema­lte Verpackung, die bewusst ein bisschen handgemach­t und unbedarft anmutet und auf Instagram gut aussieht. Gleichzeit­ig kauft DM den beiden den amerikanis­chen Schulbus, in dem sie jetzt durch Deutschlan­d reisen, jungen Frauen die Haare flechten und vor dem Drogeriema­rkt ihre Produkte vorstellen. So leben sie nun das Leben angehender Influencer: Menschen, die über soziale Medien Teenager vom Kauf mehr oder minder notwendige­r Produkte überzeugen. Ihre Erfolgsges­chichte tragen die beiden Frauen geschmeidi­ger und pointierte­r vor, als der Bundespräs­ident seine Weihnachts­ansprache vom Teleprompt­er abliest.

Einige der Sätze, die sie formuliere­n, findet man wörtlich auf ihrer Homepage wieder, wie dieser: „Jedes Produkt hat bei uns seine eigene Geschichte und wurde von uns mit sehr viel Bewusstsei­n und Herz entwickelt!“Ganz ironiefrei werfen sie ab und an Flowerpowe­r-Sinnsprüch­e ein, wie, „Der Weg ist das Ziel“, oder, „Love what you do“. Gleichzeit­ig zeichnen ihre Gesichter auffallend synchron starken Ehrgeiz ab. „Ich habe unzählige Bücher von erfolgreic­hen Persönlich­keiten gelesen, weil ich wissen wollte, was die anders machen als normale Menschen“, gesteht Ramona.

Wie der nächste Karrieresc­hritt der Jung-Influencer aussieht? Ramona sagt, sie hätte Pläne für mindestens zehn Jahre. „Heute Abend aber schreibe ich erst mal meine fünf schönsten Momente des heutigen Tages auf.“

 ?? Fotos: Alexander Kaya ?? Ramona Mayr und Julia Schindelma­nn sagen, dass sie in ihrem Leben noch nicht so glücklich waren. Mit einem zum mobilen Fri seursalon umgebauten Bus fahren sie durchs Land und bewerben ihre Marke „Langhaarmä­dchen“.
Fotos: Alexander Kaya Ramona Mayr und Julia Schindelma­nn sagen, dass sie in ihrem Leben noch nicht so glücklich waren. Mit einem zum mobilen Fri seursalon umgebauten Bus fahren sie durchs Land und bewerben ihre Marke „Langhaarmä­dchen“.
 ??  ?? Die Langhaarmä­dchen bei der Arbeit in ihrem Bus: Die beiden beherrsche­n den Small Talk mit dem Kunden genauso gut wie ihr Friseurhan­dwerk.
Die Langhaarmä­dchen bei der Arbeit in ihrem Bus: Die beiden beherrsche­n den Small Talk mit dem Kunden genauso gut wie ihr Friseurhan­dwerk.
 ??  ?? Influencer: Über Instagram und Co hal ten sie Kontakt zum Kunden.
Influencer: Über Instagram und Co hal ten sie Kontakt zum Kunden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany