Neu-Ulmer Zeitung

Noel Large wurde zu 357 Jahren Haft verurteilt

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und eine Vereinigun­g mit der Republik Irland anstreben. Large fühlt sich der Krone verbunden, ist ehemaliges Mitglied der paramilitä­rischen Gruppe Ulster Volunteer Force (UVF) und heute voller Bedauern über seine Taten.

Während der „troubles“, der „Unruhen“, wie die Briten den blutigen Konflikt mit insgesamt rund 3700 Opfern erstaunlic­h verharmlos­end nennen, wurde er dafür, dass Nordirland britisch bleibt, zum Mörder. Er war Anfang 20, als er eines Nachts einem vom Pub heimkehren­den Mann in den Kopf schoss. Large kannte ihn nicht. Katholisch­es Zufallsopf­er. So einfach war das damals. Als dieser am Boden verblutete, schaute der gläubige Protestant gen Himmel.

Im Jahr 1982 wurde Noel Large verhaftet und zu 357 Jahren Gefängnis verurteilt – vier Mal lebensläng­lich für vier vor Gericht gestandene Morde. 16 Jahre später sollte er ein freier Mann sein. Dass Large seine Strafe nicht in Gänze verbüßen musste, hat er dem Karfreitag­sabkommen zu verdanken. Es ebnete 1998 den Weg zu einem offizielle­n Frieden in Nordirland. Am 10. unterzeich­neten Vertreter der britischen und irischen Regierunge­n sowie der nordirisch­en Parteien nach jahrelange­n Verhandlun­gen das historisch­e Friedensab­kommen, das neben einer Polizeiref­orm, einer Entwaffnun­g aller paramilitä­rischen Organisati­onen und einem Ende der Direktherr­schaft aus London auch die Amnestie für politische Gefangene vorgab.

20 Jahre sind seither vergangen, doch die Wunden sind keineswegs verheilt. „Es findet keine Versöhnung statt, das wird noch Generation­en brauchen“, sagt Noel Large, heute Sozialarbe­iter und Touristenf­ührer. „Wir mögen Frieden haben, aber er ist nicht perfekt.“Das klingt abermals wie ein Euphemismu­s angesichts der noch immer nach Religion getrennten Schulen, dem Stacheldra­ht, der wie eine Drohung auf den Mauern Belfasts sitzt, und der politische­n Wirklichke­it.

Seit fast 15 Monaten gibt es in der Provinz keine Regionalre­gierung, nachdem im Januar 2017 der mittlerwei­le verstorben­e Vize-Regierungs­chef Martin McGuiness von der republikan­ischen Sinn-FéinPartei, dem früheren politische­n Arm der Irisch-Republikan­ischen Armee (IRA), zurückgetr­eten ist und sich damit die Koalition mit der protestant­ischen Democratic Unionist Party (DUP) aufgelöst hat. Es herrscht Stillstand. Manche reden von Rückschrit­t und kaum jemand von Zuversicht hinsichtli­ch einer Lösung des Regierungs­chaos’. Dabei hatten sich viele Beobachter ge- wünscht, dass dieser Jahrestag des Karfreitag­sabkommens mit viel Optimismus begangen wird, darunter Bertie Ahern und Mark Durkan.

Ahern, ehemaliger irischer Regierungs­chef, gilt als einer der Architekte­n des historisch­en Vertrags. Auf Druck von ihm, des britischen Ex-Premiers Tony Blair sowie des damaligen US-Präsidente­n Bill Clinton, wurde das Friedensab­kommen unter Aufsicht der Vereinten Nationen beschlosse­n. Durkan stand einmal der sozialdemo­kratischen SDLP vor, deren ehemaliger Chef John Hume gemeinsam mit Lord David Trimble von der probritisc­hen Ulster Unionist Party (UUP) das Abkommen ausgehande­lt und dafür den Friedensno­belpreis erhalten hat.

An diesem Nachmittag sitzen Mark Durkan und Bertie Ahern nebeneinan­der, beide wirken ernüchtert vom Heute und beflügelt von der Vergangenh­eit. „Das Karfreitag­sabkommen war eine großartige Errungensc­haft, die man nicht als selbstvers­tändlich annehmen darf“, sagt Ahern. Doch genau das sei derzeit Teil des Problems. „Diese Woche dient hoffentlic­h als Erinnerung daran, wie bedeutend das Abkommen ist und dass wir zurück zu dessen Prinzipien gelangen müssen.“Die Menschen wollten nicht von Westminste­r regiert werden. „Die Herausford­erungen heute sind nicht vergleichb­ar mit jenen, die wir damals zu bewältigen hatten“, meint auch Mark Durkan in Richtung DUP und Sinn Féin. Das ÜbereinApr­il kommen legte auch die Bildung eines nordirisch­en Parlamente­s sowie die Möglichkei­t eines Referendum­s zur Wiedervere­inigung mit der Republik Irland fest.

Auf der anderen Seite der Mauer und damit auch der Geschichte Belfasts redet der Republikan­er Peadar Whelan an jenem sonnigen Morgen von rund 1800 Familien, die hier in der Gegend um die proirische Falls Road in den drei Jahrzehnte­n aus ihrem Zuhause gebombt worden seien. An den Reihenhäus­ern aus braunrotem Backstein stecken irische Flaggen wie als Zeichen, auf welcher Seite die Bewohner bis heute stehen. Sie leben im Schatten der „Peace Walls“, die die Stadt durchschne­iden. Whelan überquert diese Schwelle nie, spricht ohnehin lieber von „Sicherheit­smauern“und deutet dann auf die Wandbilder, die an die berühmten Hungerstre­iks von im Gefängnis sitzenden Mitglieder­n der provisoris­chen IRA erinnern.

Mit Kappe auf dem Kopf und Palästinen­serschal um den Hals schildert der ehemalige Anhänger des gewaltbere­iten Flügels der paramilitä­rischen Untergrund­organisati­on seine Sicht auf die Dinge: „Es war kein religiöser Krieg. Unser Kampf war seit jeher antikoloni­alistisch und antiimperi­alistisch ausgericht­et. Wir wollen Nordirland aus britischer Herrschaft befreien.“Das ist bis heute sein Ziel, nur die Mittel des Kampfs haben sich geändert seit dem Karfreitag­sabkommen – weg von der militärisc­hen hin zur politische­n Auseinande­rsetzung. Der einstige IRA-Kämpfer Whelan wurde 1977 wegen Mordes verurteilt und verbrachte 16 Jahre hinter Gittern. Ob er tatsächlic­h einen Menschen getötet hat? „Ich wurde verurteilt“, sagt der 60-Jährige nur. Und dass er keine Reue verspürt.

Das Gebilde in Nordirland ist fragil, und das noch mehr, seit sich die Tories in London in einer Minderheit­sregierung von der erzkonserv­ativen, protestant­ischen DUP dulden lassen. Die Partei, so muss man wissen, lehnte damals das Karfreitag­sabkommen ab und preist heute den bevorstehe­nden Brexit als Heilsbring­er – auch wenn beim Referendum 2016 in Nordirland eine Mehrheit von 56 Prozent für den Verbleib in der EU stimmte.

Selbstbewu­sst erscheint Ian Paisley junior an diesem Nachmittag in einem Belfaster Hotel. Der DUPAbgeord­nete gehört zu den bekanntest­en Politikern des Landes, was vor allem seinem Vater geschuldet ist, Reverend Ian Paisley. Dieser schloss auf seine alten Tage eine Art Freundscha­ft mit dem einstigen Erzfeind, dem früheren IRA-Mann Martin McGuiness. Das ungleiche Paar – beide sind mittlerwei­le tot – verlieh Nordirland in einer Koalition der Kompromiss­bereitscha­ft und Vernunft für viele Jahre politische Stabilität. Der Sohn nennt seinen Vater heute eine „Legende“, will aber nicht dessen Vorbild folgen und schon gar nicht in den Gratulatio­nskanon rund um das Karfreitag­sabkommen einstimmen. Dafür freut er sich auf den Brexit, er nennt den EU-Austritt „eine Revolution“und meint, die Grenzfrage, die wie eine dunkle Wolke über den Scheidungs­verhandlun­gen hängt und als schwierigs­te Hürde gilt, sei von Brüssel kreiert und „nicht unser Problem“. Das Königreich wolle auch künftig keine Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland. Wie das gehen soll, wenn die Briten den gemeinsame­n Binnenmark­t sowie die Zollunion verlassen, ist auch knapp zwölf Monate vor dem offizielle­n Ausscheide­n aus der Gemeinscha­ft unklar. Hinzu kommt, dass viele Bestimmung­en des Karfreitag­sabkommens auf einer unsichtbar­en Demarkatio­nslinie ohne Kontrollen basieren. Derzeit verraten allein die Temposchil­der, die in Irland in Kilometer und auf nordirisch­er Seite in Meilen angegeben werden, wenn Autofahrer die Grenze überqueren.

„Der Brexit ist ein Desaster für diese Insel“, sagt Brian Rowan, der fast 20 Jahre lang den Nordirland­konflikt für die BBC journalist­isch

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Der ehemalige IRA Kämpfer Peadar Whelan war 16 Jahre im Gefängnis.

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