Neu-Ulmer Zeitung

Wie erkennt man Demenz?

Jeder zehnte Bayer über 65 Jahre leidet an der heimtückis­chen Erkrankung. Bei welchen Auffälligk­eiten man hellhörig werden sollte und wie die Prognose ist

- VON STEPHANIE SARTOR (mit dpa, epd)

Eines Tages kippte sie die Kaffeebohn­en einfach in einen Kochtopf. Sie wollte sich einen Kaffee machen, wusste aber beim besten Willen nicht mehr, wie das geht. Nachts sperrte sie sich in ihrem Schlafzimm­er ein, weil sie Angst hatte, dass fremde Menschen im Haus seien. Und dann kam der Tag, an dem sie ihren Enkel ansah, den Buben, den sie großgezoge­n hatte – und nicht mehr wusste, wer er war. Geschichte­n wie die von der alten Dame kann Ingrid Witte zuhauf erzählen. Von Menschen, die merkwürdig werden. Die die Gegenwart jeden Tag ein Stück weit mehr zurücklass­en und in Gedanken wieder Kind sind. Die die eigene Familie vergessen. Und irgendwann sich selbst.

Witte ist die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Alzheimer Gesellscha­ft im Landkreis Dillingen. „Das Schlimme ist, dass man es einfach nicht wahrhaben will“, sagt sie. Ihrer Meinung nach wird in der Gesellscha­ft bisher viel zu wenig über das Thema Demenz gesprochen. „Man beschäftig­t sich ja erst damit, wenn man einen akuten Anlass hat. Aber ich denke, dass Aufklärung dringend erforderli­ch ist. Die Problemati­k muss enttabuisi­ert werden.“

Vor allem auch deswegen, weil so viele Menschen betroffen sind. In Bayern leidet etwa jeder zehnte alte Mensch an Demenz. Das geht aus einer erstmals vorgelegte­n Datensamml­ung des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums hervor. Konkret immer mehr“, sagt Anne Hiedl, Oberärztin am Bezirkskra­nkenhaus Augsburg und Leiterin der Gerontopsy­chiatrisch­en Ambulanz. Frühe Symptome, die einen hellhörig werden lassen sollten, sind eine gewisse Vergesslic­hkeit, das Verlegen von Dingen oder Schwierigk­eiten, Diskussion­en in Gesprächsr­unden zu folgen. „Viele Menschen haben auf einmal auch Probleme, komplexe Alltagsang­elegenheit­en zu erledigen, wie zum Beispiel eine Reisebuchu­ng“, sagt Hiedl. „Außerdem kann das Interesse für Hobbys wie Sport oder das Engagement in einem Verein verschwind­en. Hinzu kommt oft eine unerklärli­che Reizbarkei­t.“

Hiedl sagt aber auch deutlich, dass sich nicht hinter jeder Gedächtnis­störung eine Demenz verbergen muss. „Das kann auch altersbedi­ngt sein. Aber wenn der Alltag beeinträch­tigt wird und die Probleme immer mehr zunehmen, sollte man zum Arzt gehen.“Nicht selten, erklärt die Expertin weiter, komme der dann aber zu einer ganz anderen Diagnose: Hinter den Beschwerde­n kann auch eine Depression stecken.

Was die Ursachen für eine Alzheimer-Erkrankung sind, ist noch nicht vollständi­g geklärt. „Ablagerung­en von Eiweiß im Gehirn spielen eine Rolle. Aber der Krankheits­prozess ist noch nicht vollständi­g entschlüss­elt“, sagt Hiedl. Bei anderen Demenzerkr­ankungen können Hirnblutun­gen oder Schlaganfä­lle die Auslöser sein. „Deswegen ist die Behandlung von Risikofakt­oren, etwa hohem Blutdruck, besonders wichtig. Förderlich ist auch körperlich­e Bewegung und der Verzicht auf Nikotin und Alkohol. Und man sollte sein Gehirn in Schwung halten.“

Bislang ist eine Demenz nicht heilbar. Mit den derzeit verfügbare­n Medikament­en wird erreicht, dass sich der Prozess um ein oder zwei Jahre verzögert. Wie schnell sich der Zustand eines Patienten verschlech­tert und wie schlimm die Symptome werden, könne man nicht pauschal sagen, das hänge von der Demenzform ab, sagt Hiedl. GeZeit nerell aber gehe man von einer durchschni­ttlichen Überlebens­zeit von etwa acht Jahren aus – Hiedl kennt aber auch Menschen, die 20 Jahre mit einer Demenz gelebt haben. Die Patienten sterben dann auch nicht direkt an der Demenz, sondern an Begleiterk­rankungen, etwa Problemen mit dem HerzKreisl­auf-System oder an einer Lungenentz­ündung, die durch Bettlägeri­gkeit ausgelöst werden kann.

Menschen mit Demenz und ihre Angehörige­n bräuchten ein Umfeld, das sie auffängt und ihnen die Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben ermöglicht, sagt Bayerns Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU). „Dabei sind wir als Gesellscha­ft insgesamt gefragt.“Demenz dürfe kein Tabuthema sein, die Bedürfniss­e und Ängste der betroffene­n Menschen sollten Gehör finden. Diesem Ziel diene auch der mit insgesamt 6000 Euro dotierte Bayerische Demenzprei­s für innovative Projekte für Erkrankte und Angehörige, der am 14. Mai verliehen wird. Eine 27-Jährige ist in Westendorf im Ostallgäu von ihrem eigenen Auto überrollt und tödlich verletzt worden. Wie die Polizei mitteilte, fuhr die Frau bereits am Freitagabe­nd mit ihrem Wagen vom Grundstück zur Straße. Auf dem abschüssig­en Weg hielt sie bei laufendem Motor an und stieg aus. Augenblick­e später kam ihr Fahrzeug ins Rollen. Die Frau stemmte sich mit aller Kraft gegen den Wagen – geriet dann aber unter die Reifen und wurde zerdrückt.

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Wenn man älter wird, kann einen das Gehirn schon mal im Stich lassen. Problemati­sch wird es, wenn die Vergesslic­hkeit immer schlimmer wird und der Alltag beeinträch­tigt wird.
Foto: Britta Pedersen, dpa Wenn man älter wird, kann einen das Gehirn schon mal im Stich lassen. Problemati­sch wird es, wenn die Vergesslic­hkeit immer schlimmer wird und der Alltag beeinträch­tigt wird.

Newspapers in German

Newspapers from Germany