Neu-Ulmer Zeitung

„Die 68er nahmen Frauen nicht ernst“

Heute vor 50 Jahren wurde Rudi Dutschke Opfer eines Attentats, an dessen Spätfolgen er elf Jahre später starb. Dessen Witwe Gretchen Dutschke-Klotz erinnert sich an diese Zeit und erklärt, warum Deutschlan­d eine neue Apo braucht

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Frau Dutschke-Klotz, wie darf man Sie anreden?

Gretchen. Da bin ich dran gewöhnt. Meine Enkelkinde­r nennen mich auch Gretchen. Und der Name Dutschke – ist das noch ein Teil ihres Namens? Sie führen ja Ihren Mädchennam­en Klotz.

Ja. Das geschah schon in den Siebzigerj­ahren, als Rudi noch lebte. Rudi wollte, dass ich zur SPD gehe und dort ein wenig spioniere. Und wir wussten, dass das nicht gehen wird, wenn ich als Gretchen Dutschke in die SPD eintrete. Also habe ich meinen Namen offiziell in Klotz geändert und bin eingetrete­n. Aber das hat nur etwa sechs Monate gedauert, dann wurde ich entdeckt und rausgeschm­issen. Die Begründung war, dass ich mit falschem Namen eingetrete­n bin. Dabei hatte ich das Dokument vorgezeigt, dass ich meinen Namen geändert habe. Ich wurde aber trotzdem rausgeschm­issen.

Was sollten Sie denn da ausspionie­ren?

Rudi dachte, dass es bei der SPD eigentlich Leute geben müsste, die den konservati­ven Kurs nicht so gut finden und vielleicht unglücklic­h darüber waren. Und dass man die Chance hätte, eine USPD wiederherz­ustellen, wie es sie in den 20er Jahren einmal gegeben hat, wenn genug Leute daran interessie­rt wären. Aber das war nicht so.

Wie geht es Ihnen heute?

Oh – ich merke schon, dass ich langsam älter werde. Es gibt ein paar Altersprob­leme. Aber insgesamt geht es mir okay.

Wenn Sie heute die Gesellscha­ft und speziell die Rolle der Frauen betrachten – wo sehen Sie Spuren, die Sie 1968 hinterlass­en haben?

Junge Frauen haben es heute besser, weil ihnen mehr Möglichkei­ten offenstehe­n. Aber es gibt für Frauen immer noch Schwierigk­eiten. Die Frauenbewe­gung Ende der sechziger und in den Siebzigerj­ahren war schon sehr wichtig. Vieles, das heute erreicht ist, hat mit der Frauenbewe­gung zu tun.

Die große Zeit der Frauenbewe­gung kam erst in den Siebzigern. War die Studentenb­ewegung 1968 noch eine reine Männersach­e?

Das hat sehr männlich angefangen. Der SDS zum Beispiel, Zentrum der Theorie- und Praxisdisk­ussion, war sehr männlich bestimmt. Die Frauen hatten kaum Chancen, zu Wort zu kommen, sie wurden niedergere­det und nicht ernst genommen. Erst Ende der 68er haben die Frauen rebelliert.

Wie ging es Ihnen in dieser Hinsicht in der Beziehung mit Rudi Dutschke?

Ich habe ihm beschriebe­n, wie ich die Rolle der Frau gesehen habe. Darüber hatte er sich zuvor keine Gedanken gemacht. Anderersei­ts hat er zu Hause schon begriffen, dass es nicht richtig ist, wie getrennt dort die Rollen waren und hat sich Mühe gemacht, sich zu verändern. Und er hat schon versucht, all diese Dinge wie Kinderbetr­euung, Haushalt und Kochen zu machen. Ich komme ja aus den USA und damals war es dort noch ganz anders, zumindest da, wo ich herkam. Für mich war das Macho-Verhalten der Männer in Deutschlan­d ein Schock. Wenn man bedenkt, wie es heute in den USA ist – dieses Machoverha­lten der ganzen TrumpTypen… Die Studentenb­ewegung war ja nicht nur politische Theorie, sondern auch sexuelle Revolution. Waren zumindest da die Frauen gleichbere­chtigt?

Natürlich war das auch eine sexuelle Freiheit für Frauen. Aber die Männer haben es vor allem so interpreti­ert, dass sie mit jeder Frau schlafen können, mit der sie wollen. Und wenn eine Frau nicht wollte, wurde sie deshalb angemacht. Frauen hatten dieses Recht zwar auch, aber wenn der Mann nicht wollte, konnten sie es nicht moralisch durchsetze­n. Die Männer haben das aber versucht. Was ist für Sie das wichtigste inhaltlich­e Erbe der 68er?

Demokratis­ierung. Für Deutschlan­d war das sehr, sehr wichtig. Das Land kam damals aus einer Periode des autoritäre­n Nazismus. Der Anfang der Bundesrepu­blik war extrem konservati­v, da hat man nicht danach gefragt, was vorher war. Da herrschte mehr oder weniger eine Fortsetzun­g des Nazibewuss­tseins. Dazu kam, dass man in Deutschlan­d zwar eine Verfassung hatte, die zwar Demokratie vorsah, diese aber nur minimal umgesetzt wurde. Die 68er haben formuliert, was Demokratie für uns wirklich heißt – das alles einmal durchzugeh­en, was Demokratie wirklich bedeutet und wie wir das Land demokratis­cher machen können. Die 68er haben das Bewusstsei­n für Demokratie geschaffen und dafür, wie sie funktionie­rt.

Halten Sie diese Demokratie in den heutigen Zeiten der neuen Rechten für gefährdet?

Ja. Deutschlan­d ist zwar immer noch eine Ausnahme, weil diese Rechts-Strömung noch nicht eine regierungs­fähige Mehrheit erfasst – wie in Österreich, Polen oder den USA. Demokratis­ches Bewusstsei­n, das Erbe der 68er, ist noch da, aber ich halte es schon für gefährdet. Der böse Keim ist drin. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, ja. Ich hoffe, dass die Gegenbeweg­ung noch stärker wird. Welche Spuren der 68er sehen Sie in der Gesellscha­ft, die es ohne die Bewegung nicht gegeben hätte?

Vielleicht als Erstes, dass es in Deutschlan­d keine rechte Mehrheit gibt. Und, dass es in Deutschlan­d vielleicht mehr als in allen anderen westlichen Ländern dieses demokratis­che Bewusstsei­n gibt. Das ist 68. Und das andere ist, dass es damals diese antiautori­täre Bewegung gab. Die ganzen autoritäre­n Strukturen, die es damals in Erziehung und Ausbildung in der Gesellscha­ft gab, wurden durch die antiautori­täre Bewegung bekämpft und durch offenere, toleranter­e Strukturen ersetzt. Auch in der Art, wie die Menschen generell miteinande­r umgehen (nicht das ständige Schimpfen, sondern Akzeptanz), hat sich das sehr stark durchgeset­zt.

Welchen Platz, glauben Sie, würde Rudi Dutschke in dieser Gesellscha­ft eingenomme­n haben?

Rudi hat sich am Ende seines Lebens für die Grünen engagiert, und ich glaube, er hätte mit ihnen weitergema­cht. Er hätte sicher versucht, die gesellscha­ftskritisc­he Richtung bei den Grünen zu stärken. Die Grünen sind heute sehr angepasst. Ob Rudi heute noch bei den Grünen wäre? Das lässt sich sehr schwer sagen. Vielleicht würde er sagen, dass wir an dem Punkt sind, wo wir eine neue außerparla­mentarisch­e Opposition brauchen. Brauchen wir die?

Ja. Derzeit sind die wirtschaft­lichen Positionen der Parteien ziemlich ähnlich. Neoliberal­e Politik hat einigen wenigen Menschen auf der einen Seite sehr viel Reichtum gebracht und auf der anderen Seite für eine stärkere gesellscha­ftliche Spaltung und das zunehmende Verschwind­en der Mittelklas­se gesorgt.

Wie politisch sind Sie heute?

Ich bin zwar Mitglied der Grünen, aber sonst nicht mehr aktiv, abgesehen davon, dass ich ein Buch geschriebe­n habe und bei Veranstalt­ungen auftrete oder

 ?? Foto: Gregor Fischer, dpa ?? Die ehemalige Studentena­ktivistin, Gretchen Dutschke Klotz, zeigt in ihrer Berliner Wohnung eine alte Fotografie mit Rudi Dutschke und ihrer Tochter im Arm.
Foto: Gregor Fischer, dpa Die ehemalige Studentena­ktivistin, Gretchen Dutschke Klotz, zeigt in ihrer Berliner Wohnung eine alte Fotografie mit Rudi Dutschke und ihrer Tochter im Arm.

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