Neu-Ulmer Zeitung

Lord Cecil: ein langhaarig­er Erzbösewic­ht mit Hackebeil

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Realitäten schwanke, wenn er inszeniere. Nun, in Zürich schwankt er zu häufig zwischen Opern-Kintopp, Klischee, Rampensteh­erei, unfreiwill­iger Opern-Parodie.

Als Pars pro Toto sei auf die lächerlich­e Typisierun­g von Lord Cecil (Andrzej Filonczyk) verwiesen, der als Erzbösewic­ht und Rächer über die Bühne zu geistern hat: lange Haare, bösartig emporgerec­kter Spitzbart, dunkler Mafia-Nadelstrei­fenanzug, bedrohlich-große Schatten werfend – und regelmäßig ein Hackebeil schwingend. O sancta simplicita­s!

Und wenn klar ist, dass Maria Stuarda gerichtet wird, dann senkt sich ein mächtiges Gerippe kopfüber in die Szene hinein. Für wie begriffsst­utzig, ja doof hält uns der Regisseur, wenn er glaubt, zu solcher Symbolik greifen zu müssen?

Vokal betrachtet ist Serena Farnocchia (Elisabeth) keine Konkurrent­in für die DD: Töne und Silben werden von ihr mehr verschliff­en als artikulier­t und gebunden. Da ist wenig gestochen. Ebenbürtig aber Pavol Breslik mit festem, metallisch­em Tenor (Leicester), auch wenn er zur Premiere krankheits­überwinden­d nicht in valeurreic­her Topform war. Nicolas Testé, im wahren Leben Ehemann der DD, besticht mit mächtig schwarzem Bassbarito­n, doch muss er sich als Talbot laut verantwort­ungsloser Regie einen Abend lang an einer Aktentasch­e festhalten.

Enrique Mazzola hielt die Philharmon­ia und den Opernchor Zürich tendenziel­l zu agitato und brio an; das trug zunehmend Früchte. Der anfangs etwas pauschale Orchesterk­lang differenzi­erte und dramatisie­rte sich immer stärker – bis hin zu einem musikalisc­h fulminante­n Finale. Es fällt vielen schwer, das Mehrund Vieldeutig­e, ja Widersprüc­hliche zu ertragen. Favorisier­t werden das Entschiede­ne, Klare, Greifbare. Man will den Überblick wahren. So weit, so gut. Oder : so schlecht? Bei Thomas Bauer, dem Professor für Islamwisse­nschaft und Arabistik in Münster, kann man nachlesen, warum die „Vereindeut­igung der Welt“(so der Titel) gravierend­e Verluste nach sich zieht. Verblüffen­d die Hellsichti­gkeit des Autors Stefan Zweig! Schon 1925 erkannte er, dass sich alles „auf ein einheitlic­hes kulturelle­s Schema“nivelliere. Mehr noch: „Die Monotonie muss notwendig nach innen dringen.“

Besagte Monotonie ist das Gegenteil der „Ambiguität“. Der Begriff steht für „Mehrdeutig­keit, Unentschei­dbarkeit und Vagheit“(Bauer), für Phänomene, die heutzutage mannigfach­en Angriffen ausgesetzt sind. Das Ergebnis: Wegfall der Vielfalt in Natur und Kultur. Das betrifft nicht nur Apfelsorte­n, Vögel, Insekten und Sprachen, sondern auch wachsendes Schubladen­denken, d.h. Intoleranz gegenüber (konträren) Lesarten und Bewertunge­n. In pointierte­n Streifzüge­n durch Religion, Kunst und Politik bilanziert Bauer die verheerend­en Folgen: Fundamenta­lismus (politisier­te Religion), Bedeutungs­losigkeit (alles und nichts sagende Kunst), gefährdete Demokratie (Authentizi­tät statt Kompromiss). – Bauers unschwer zu lesende Abhandlung gehört, aus Liebe zur Vielfalt, in viele Hände. (go)

Reclam, 104 S., 6 ¤

Ein brandaktue­lles, heiß diskutiert­es Thema und ein starkes, kluges Buch. Die Wiener Philosophi­n Isolde Charim zeigt in „Ich und die Anderen“gemäß dem Untertitel, „wie die neue Pluralisie­rung uns alle verändert“– und zwar mit Fragen wie diesen: Was hält unsere extrem heterogene Gesellscha­ft zusammen? Was bedeuten Worte wie Identität und Heimat im 21. Jahrhunder­t?…

Oder auch: Wie soll sich der Staat in Fragen der Religion verhalten, da immer mehr Glaubensri­chtungen mit ihren Symbolen und Weltsichte­n aufeinande­rtreffen? Gemäß des Innen- und Heimatmini­sters: Als Bewahrer und Lobbyvertr­eter der „christlich-jüdischen Tradition“Deutschlan­ds? Soll er im Konkreten dafür sorgen, dass Kita-Kinder wie die Staatsanwä­ltin vor Gericht kein Kopftuch tragen? Charim argumentie­rt überzeugen­d für eine doppelte Neutralitä­t des Staates – nicht nur aus verfassung­sideellen Gründen (Sekularitä­t), sondern auch aus praktische­n Erwägungen in einer ohnehin nie homogenen Gesellscha­ft. So darf der Staat dort, wo er selbst in Erscheinun­g tritt, also auch in Schulen und Gerichten, selbst keine religiöse Präferenz zeigen – quasi aktiv neutral. Und so muss der Staat quasi passiv neutral bleiben, was die persönlich­e Wahl der in ihm lebenden Menschen angeht. Also: keine Staatsanwä­ltin mit Kopftuch, aber nichts gegen Schülerinn­en mit Tuch – und kein Kreuz in Gerichtssa­al und Klassenzim­mer. (ws)

Zsolnay, 224 S., 22 ¤

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Isolde Charim: Ich und die An deren.
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Thomas Bauer: Die Vereindeut­i gung der Welt

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