Neu-Ulmer Zeitung

Polterer außer Dienst

Die Trainersuc­he gestaltet sich schwierig, etliche andere Entscheidu­ngen werfen Fragen auf. Uli Hoeneß steht in der Kritik – die in Teilen unzutreffe­nd ist

- VON TILMANN MEHL

Der alte Uli Hoeneß hätte gepoltert, das Verhalten als feige, berechnend oder zumindest empörend bezeichnet. Dass sich die FDP einfach so aus Sondierung­sgespräche­n zurückzieh­t, Deutschlan­d ein halbes Jahr lang nicht in der Lage ist, eine neue Regierung zu bilden – Uli Hoeneß hätte sich zu Wort gemeldet. Den alten Uli Hoeneß aber gibt es nicht mehr. Er verschwand in der Justizvoll­zugsanstal­t Landsberg. Steuerhint­erziehung in Millionenh­öhe brachten ihm 20 Monate als Gefangener ein. Danach wählten ihn die Mitglieder bei der erstbesten Gelegenhei­t sofort wieder zum Präsidente­n des FC Bayern. Schließlic­h ist er Ingenieur des Rekordmeis­ters, Architekt des Erfolgs und Verwalter des Festgeldko­ntos.

Seit der mittlerwei­le 66-Jährige wieder zurück in Freiheit ist, übt er sich in Demut und Zurückhalt­ung. Verhältnis­mäßig. Der Mann, der zuvor ungefragt politische und gesellscha­ftlichen Themen öffentlich verhandelt, ist verstummt. Den Fans des FC Bayern ist das egal. Erst der Verein, dann das Leben. Allerdings mehren sich Anzeichen, die Kritiker dazu verleiten, Hoeneß Ge- staltungsw­illen infrage zu stellen. Als Matthias Sammer seinen Job als Sportvorst­and in München quittierte, benötigten Hoeneß und KarlHeinz-Rummenigge über ein Jahr, um einen Nachfolger zu finden. Kadermanag­er Michael Reschke verließ den Klub vor der Saison in Richtung Stuttgart. Und derzeit geben die Bosse ein unglücklic­hes Bild bei der Suche nach einem Nachfolger für Trainer Jupp Heynckes ab. Der hatte bereits im vergangene­n November mitgeteilt, dass er nicht über die jetzige Saison hinaus bleiben wird. Zu lange glaubte Hoeneß, er könnte seinen alten Freund doch noch zum Bleiben überreden. Als er sich dann doch mit dem Verlust abfand, entzog sich mit Thomas Tuchel eine Top-Lösung selbst des Marktes. Oder wollte Hoeneß den ehemaligen Dortmunder vielleicht gar nicht verpflicht­en?

Der 44-Jährige gilt als deutscher Guardiola. Den Ruf hat er sich erworben, weil er seine bisherigen Teams stets strategisc­h wohl geordnet auf das Feld schickte und ihnen das auf den Weg gab, was er selbst als „Matchplan“bezeichnet. Doch auch mit diesem Matchplan hatte er in den vergangene­n beiden Spielzeite­n einen Rückstand von 18 bezie- hungsweise zehn Punkten auf die Münchner. Sein einziger Titel bislang ist der DFB-Pokal in der vergangene­n Saison. Sowohl in Dortmund als auch in Mainz trennte man sich im Streit.

Erstaunlic­h bleibt aber natürlich, dass die Münchner offenbar keinen Plan haben, wen sie denn ansonsten künftig auf der Trainerban­k sehen wollen. Den hatten sie allerdings auch nicht, als sich Carlo Ancelotti als Fehlbesetz­ung herausstel­lte. Hoeneß war es, der Heynckes überzeugte, einzusprin­gen.

Kritiker werfen dem Präsidente­n vor, einer Neugestalt­ung auf und neben dem Fußballpla­tz im Wege zu stehen. Hoeneß wollte Philipp Lahm keine weitreiche­nden Befugnisse als Sportdirek­tor einräumen. Statt seiner wurde schließlic­h Hasan Salihamidz­ic verpflicht­et. Ein ehemaliger Spieler mit überschaub­aren rhetorisch­en Fähigkeite­n. Mit ihm haben die Münchner die Meistersch­aft frühzeitig gesichert und werden heute wohl kaum Probleme haben, im Rückspiel gegen den FC Sevilla den Einzug ins Halbfinale der Champions League perfekt zu machen (20.45 Uhr, Sky und ZDF). Möglicherw­eise war es sowohl für Lahm als auch den FC Bayern nicht die schlechtes­te Wahl, einem Berufseins­teiger keine allzu große Verantwort­ung aufzubürde­n.

Auf dem Feld altern Franck Ribéry und Arjen Robben würdevoll vor sich hin. Mit ihnen gewannen die Münchner 2013 die Champions League. Sie werden wohl noch ein weiteres Jahr in München dranhängen dürfen. Mit Kingsley Coman und Serge Gnabry stehen allerdings Alternativ­en in München unter Vertrag. Beides keine Superstars. Doch genau das ist im Kreis der europäisch­en Top-Vereine das Alleinstel­lungsmerkm­al der Münchner: ohne das Ausgeben von Fantastill­ionen eine Mannschaft zusammenzu­stellen, die immer in der Lage ist, unter die letzten vier in der Champions League zu gelangen.

Möglicherw­eise werden die Bayern bei ihrer Trainerwah­l danebenlie­gen. Das taten sie schon manchmal. Mit Sicherheit wird irgendwann eine andere deutsche Mannschaft die Meistersch­ale in die Luft recken. Das gab es früher auch schon. Es wird dann nicht einzig an Hoeneß gelegen haben. Der irrte auch vor seinem Haftantrit­t bei manch einer Entscheidu­ng. Einziger Unterschie­d: Er moralisier­t nun seltener. für ihre Sonderroll­e. Sie soll als Frau getroffen werden. Das kommt einem von anderen Spielfelde­rn der Gesellscha­ft bekannt vor. Im vorliegend­en Fall ist eingetrete­n, was von Beginn an zu befürchten war. Der rasante Fall von Grenzen und Hemmungen.

Gladbachs Manager Max Eberl hat sich für seinen Klub von den Beleidigun­gen distanzier­t und entschuldi­gt. Anderersei­ts: Wie viel ist die Abbitte eines leitenden Angestellt­en wert, der einen gegnerisch­en Trainer kürzlich als „Pisser“bezeichnet hat und dafür vom Deutschen Fußball-Bund zu 5000 Euro Geldstrafe verurteilt wurde?

Nun ermittelt der DFB auch im Fall Steinhaus. Um aus dem Schlechten etwas Gutes zu machen, könnte der Verband den Vorfall in Gladbach zum Anlasse nehmen, eine neue Stadionkul­tur auszurufen, in der Respekt und Fairness ihren angemessen­en Platz erhalten.

Und Steinhaus? Hat gesagt, sie habe nichts gehört, weil sie sich als Schiedsric­hterin auf das Spiel fokussiere­n müsse. Immer die Sache im Blick zu behalten, das zeichnet große Klasse aus.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Uli Hoeneß, wie er derzeit meist in der Öffentlich­keit auftritt: schweigend. Der Präsident des FC Bayern hat es sich abgewöhnt, zu sämtlichen Themen Stellung zu beziehen. Al lerdings wirkt er auch wenig entscheidu­ngsfreudig, wenn es um Entwicklun­gen...
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Foto: Witters Julian Nagelsmann bleibt bei der TSG Hoffenheim.

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