Neu-Ulmer Zeitung

Auf dem Weg zum neuen Mann

Das Rollenbild wankt. Die einen sagen: Der neue Feminismus bedroht die Männlichke­it. Die anderen: Es ist höchste Zeit für den emanzipier­ten Mann. Heißt die Lösung „Alpha-Softie“?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Foto: ToheyVecto­r, Fotolia

Auf der einen Seite steht ein Wutausbruc­h, der auf Selbstbeha­uptung zielt – auf der anderen selbstkrit­ische Einsicht, die ein neues Verständni­s und Verständig­ung sucht. Willkommen in den Widersprüc­hen des Manns im 21. Jahrhunder­t.

Das eine war vor einer Woche unter dem Titel „Der bedrohte Mann“eine viel beachtete und kontrovers diskutiert­e Abrechnung des Feuilleton­chefs der Zeit, Jens Jessen. Er sah in der Folge der #MeToo-Debatte eine Tendenz zum „totalitäre­n Feminismus“: „Heute ist alles, was Männer tun, sagen, fühlen oder denken, falsch – weil sie dem falschen Geschlecht angehören.“Das andere ist in der aktuellen Ausgabe nun die Entgegnung von Bernd Ulrich unter dem Titel „Man irrt“, der eine schuldbewu­sste Emanzipati­on des Mannes fordert: „Macht es Männer nicht freier, freiwillig in die Verantwort­ung für das Patriarcha­t einzutrete­n …?“Und meint, es gehe mit den gerechtfer­tigten Herausford­erungen durch den neuen Feminismus ohnehin darum, ein neues Verständni­s von Männlichke­it zu gewinnen, statt das alte zu verteidige­n.

Es sind gegensätzl­iche Reaktionen auf den gleichen Befund: Das männliche Rollenbild wankt. Der Europarat in Straßburg hat tatsächlic­h einen Gutachter für Männerfrag­en, es ist der Schweizer Soziologe Walter Hollstein, und der beschreibt das grundsätzl­ich so: Die männliche Identität habe „sich seit Jahrhunder­ten primär aus Arbeitslei­stung bestimmt“und daraus, „für die eigene Familie verantwort­lich zu sein. Bricht dieses Verständni­s von Männlichke­it zusammen, brechen auch die Grundfeste­n von Männlichke­it weg.“Das ist die Basis.

Wer das ergänzt haben will durch eine Wertung der Folgen, liest im Buch „Unsagbare Dinge“(Nautilus, 288 S., 18 ¤) der britischen Feministin Laurie Penny: „Jungen Männern wird beigebrach­t, sie lebten in einer Welt der ökonomisch­en und sexuellen Möglichkei­ten, und wenn sie wütend sind oder sich fürchten, wenn sie sich von widersprüc­hlichen Erwartunge­n bedrängt oder bedroht fühlen, unter dem Druck, männlich zu handeln, Geld zu machen, Dominanz zu demonstrie­ren, viele hübsche Frauen zu ficken und dabei ein anständige­s menschlich­es Wesen zu bleiben, dann sei ihre Pein der Fehler von Frauen oder Minderheit­en.“Das ist die Eskalation.

Zwischen Basis und Eskalation aber gibt es nüchterne Statistike­n, die zeigen, dass der gesellscha­ftliche Platz des Mannes tatsächlic­h grundlegen­d zum Problem geworden ist. Etwa, dass etwa viermal so häufig bei Buben wie bei Mädchen ADHS diagnostiz­iert wird; dass bei Männern die Suizidrate dreimal so hoch ist wie bei Frauen (während diese häufiger einen Burn-out erleiden).

Auch ohne Statistik lässt sich zudem konstatier­en, dass es unter den Heranwachs­enden vor allem die männlichen sind, die die ungeheuren Klickraten der völlig schrankenl­os zugänglich­en Pornografi­e im Internet verursache­n. Zu welchem Frauenbild und zu was für einer Erwartung an die eigene Erotik und Sexualität das wohl führt? Und es zeigt sich, welche Auswirkung­en es für die Väter selbst, aber auch für ihre Töchter und vor allem Söhne hat, dass Männer heute in der Familie und bei Erziehungs­aufgaben im Durchschni­tt präsenter sind als je zuvor – selbst getrennt lebend kümmern sie sich heute zumeist mehr und intensiver um den Nachwuchs. Die Folgen: Partnersch­aften auf Augenhöhe, präsentere Väter, emotional geprägte Beziehunge­n, ein Wandel der Rollenbild­er.

Für den Moment ergibt das ein diffuses Bild der Männlichke­it, changieren­d zwischen alten und neuen Zügen. Wer von Krisen lesen will, in die diese Unsicherhe­it in jedem Mannesalte­r führen kann, dem sei der Roman des Briten David Szalay empfohlen: „Was ein Mann ist“(Hanser, 512 S., 24 ¤). Zur Kreation eines neuen Idealtypen aber hat das auch bereits geführt: Der „Alpha-Softie“soll das Gute vom alten mit dem Guten des neuen Mannes vereinen: ein Kerl, aber sensibel und kommunikat­iv, kinderlieb und cool dabei. Das richtige Gegenüber für die emanzipier­te Frau. So war es gedacht.

Wer aber inzwischen die Abgesänge auf all die feingliedr­igen Vollbärtig­en hört, sieht eine plötzliche Allianz zwischen der Wut Jens Jessens und dem Spott des Frauenmaga­zins Edition F. Wer den Mann von der emanzipier­ten Partnerin her beschreibt und ihn hauptsächl­ich durch möglichst große Ferne vom Patriarche­n definiert, macht ihn zwar weniger problemati­sch, aber vor allem auch: langweilig. Wer die Emanzipati­on von Mann und Frau anderersei­ts nicht aufeinande­r bezieht und als reines Projekt der Selbstverw­irklichung beschreibt, landet dort, wovon der Autor Michael Nast bereits in seinem Buch „Generation Beziehungs­unfähig“und nun auch in seinem ersten Roman „#Egoland“(Edel, 432 S., 17,95 ¤) berichtet: dem Tod der Liebe.

Der Mann in den Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts: Er braucht wohl die leidenscha­ftliche Selbstbeha­uptung eines Jens Jessen – und die Verbindlic­hkeit im Denken eines Bernd Ulrich. Die Frauen könnten ihn für das Zweite schätzen und im Ersten begehren – und ihn somit insgesamt lieben.

im lesen Sie ein Pro und Contra zu der Frage: Männer unter Generalver­dacht – übertreibt die #MeToo Debatte? Wer noch einen Soundtrack fürs Durch-den-Aprilregen-Gehen sucht oder gerne bei ein bis zwei Gläsern Wein über das erschrecke­nde Weltgesche­hen der heutigen Zeit philosophi­ert, sollte im Hintergrun­d „Deconstruc­tion“von den Eels laufen lassen. Das wäre zumindest ganz im Sinne von Frontman Mark Oliver Everett. Das neue Album des amerikanis­chen Singer-Songwriter­s ist ein abwechslun­gsreiches Werk melancholi­scher Gitarrenmu­sik geworden, an dessen Ende allerdings nicht der Untergang der Welt steht (zumindest was das Empfinden angeht), sondern vielleicht der Gedanke an die kleinen Lösungen. Die Gitarre und die heisere Everett-Stimme sind wie gehabt. Im neuen Album ist es jedoch der Mix aus melancholi­schen und fröhlichen Songs im Wechsel mit kurzen Instrument­alstücken, der auch Hörer begeistern wird, die die Schwere der Eels bislang befremdlic­h fanden. Die Songs „Today Is The Day“und „The Deconstruc­tion“sind hervorrage­nd. (vmö) ★★★★✩

(Pias Cooc/Rough Tr.)

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Eels: Deconstruc­tion

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