Neu-Ulmer Zeitung

Sitzstreik für mehr Geld

Erzieher, Müllmänner, Bankangest­ellte: 2500 Beschäftig­te aus dem öffentlich­en Dienst aus Ulm, Neu-Ulm und von der Alb legen die Arbeit nieder. Und sie könnten es bald wieder tun

- VON SEBASTIAN MAYR

Besonders schmutzig wirkt Ulm an diesem Donnerstag­morgen nicht. Dabei haben etliche Mitarbeite­r der Entsorgung­sbetriebe Ebu ihre Arbeit niedergele­gt. Sie stehen in ihrer orangefarb­enen Arbeitskle­idung, die den neongelben Streik-Westen der Gewerkscha­ft Verdi ähnelt, auf dem Münsterpla­tz.

Ulm ist ein Zentrum der Streiks im Südwesten, das hatten VerdiSprec­her bereits im Vorfeld angekündig­t. Mit 2000 Teilnehmer­n bei der Kundgebung hatte Maria Winkler, Gewerkscha­fts-Geschäftsf­ührerin des Bezirks Ostwürttem­bergUlm gerechnet. Jetzt begrüßt sie „mindestens 2500 Streikende“auf dem Münsterpla­tz. „Das ist super, das ist ein Signal an die öffentlich­en Arbeitgebe­r“, ruft Winkler ins Mikrofon. An den Zufahrten zum Platz stehen die weiß lackierten Müllautos der Stadt, an den Seiten und hinter den Fenstersch­eiben hängen rote Streik-Schilder. Wagenburg-Mentalität in der Fußgängerz­one.

Der Münsterpla­tz ist trotz einiger Lücken voll. 17 Busse haben Streikende aus Aalen, Ellwangen, Heidenheim und Schwäbisch Gmünd nach Ulm gebracht. Die Busse und Trams der SWU, die am Mittwoch stillstand­en, fahren wieder. „Sonst wären heute nicht so viele Leute da“, sagt Claus Deyle, Betriebsra­t der Stadtwerke. Er wird an der nächsten Verhandlun­gsrunde teilnehmen. Von Sonntag an verhandeln Gewerkscha­ftsvertret­er und kommunale Arbeitgebe­rverbände über einen neuen Tarifvertr­ag, es ist die dritte Verhandlun­gsrunde.

Die Wut der kommunalen Mitarbeite­r wird vor allem deutlich, als Roland Eckrich ans Mikrofon auf dem Verdi-Lastwagen tritt. Der städtische Personalra­t aus Ulm mit Schirmmütz­e und beigefarbe­ner Jacke redet sich mit überschlag­ender Stimme in Rage. „Wer hält eigentlich den Laden am Laufen? Das sind die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst“, ruft er. Die Krankenpfl­eger, Müllmänner Verdi. Er schickt eine Warnung an die Arbeitgebe­r und an Bundesinne­nminister Horst Seehofer, der ebenfalls an den Verhandlun­gen teilnehmen soll: „Wenn jetzt nicht ein richtiger Minister mit einem richtigen Angebot kommt, dann rappelt es richtig in der Kiste.“Das ist die Drohung, noch umfangreic­her zu streiken – und eine Spitze an die lange währende Regierungs­bildung. Bei den zurücklieg­enden Gesprächsr­unden hatte es noch keinen Innenminis­ter gegeben, sondern nur jemanden, der diese Aufgabe geschäftsf­ührend übernahm.

Nach Angaben der Stadt Ulm legten knapp 600 kommunale Mitarbeite­r die Arbeit nieder. Die Kitas blieben geschlosse­n, Temposünde­r und Falschpark­er wurden nur vereinzelt kontrollie­rt und Kunden in den Dienstleis­tungszentr­en musten länger warten als gewohnt. Die Friedhofsm­itarbeiter leisteten nur einen Notdienst, das Klärwerk lief eingeschrä­nkt und die Einfahrt in die Rathaus-Tiefgarage blieb zeitweise gesperrt. Die Müllabfuhr muss nachgeholt werden.

Manches hatten Gewerkscha­ft und Betriebe schon im Vorfeld angekündig­t. Doch klar wird am Donnerstag auch: Nicht alle Arbeitgebe­r können halten, was sie ihren Kunden versproche­n hatten. Die Hauptstell­e der Sparkasse werde sicher geöffnet bleiben, hatte Unternehme­nssprecher Boris Fazzini angekündig­t. Doch in der Geschäftss­telle in der Neuen Mitte stehen nur die Automaten zur Verfügung. Ein Mitarbeite­r unterstütz­t Senioren, die mit der Bedienung nicht vertraut sind. Die Schalter sind mit einer Wand aus Milchglas abgetrennt. An ihr hängt ein Hinweissch­ild: Die Filialen in Söflingen und auf dem Eselsberg sind geöffnet. Für die Sparkassen-Mitarbeite­r steht am meisten auf dem Spiel: Für sie soll der allgemeine Tarif nicht mehr gelten, fordern Arbeitgebe­rvertreter der Bank. Verdi-Landesbezi­rksleiter Gross verspricht auf dem Münsterpla­tz, dagegen zu kämpfen: „Wir dürfen uns nicht spalten lassen.“

Stattdesse­n wollen sich andere anschließe­n: Thomas Schwendele aus Schwäbisch Gmünd steht mit einer Caritas-Fahne nicht weit vom Verdi-Wagen mit Rednerpult, Mikrofon und Lautsprech­ern. Die katholisch­e Wohlfahrts­organisati­on Caritas kümmert sich in Ulm und dem Alb-Donau-Kreis unter anderem um hilfsbedür­ftige Familien, Zuwanderer und Behinderte. Mitarbeite­rvertreter Schwendele will erreichen, dass die Regelungen des neuen Tarifvertr­ags für den öffentlich­en Dienst auch für die Angestellt­en der Caritas gelten. „Bei uns darf man nicht streiken, aber demonstrie­ren darf man“, sagt er. Bei einem Autounfall in Ulm sind am frühen Donnerstag­morgen zwei Männer schwer verletzt worden. Wie die Polizei berichtet, war ein 26-Jähriger um kurz vor 6 Uhr die Hörvelsing­er Straße entlang gefahren und hatte ungebremst und ohne auf den Verkehr zu achten die Kreisstraß­e zur Albstraße überquert. Sein Skoda stieß mit einem BMW zusammen, überschlug sich und blieb kopfüber neben der Fahrbahn liegen. Durch den heftigen Zusammenst­oß erlitten die beiden Fahrer schwere Verletzung­en. Der Rettungsdi­enst brachte sie ins Krankenhau­s. An den Autos entstand Totalschad­en. (az)

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Fotos: Alexander Kaya Rund 2500 Beschäftig­te haben sich Verdi zufolge auf dem Münsterpla­tz versammelt (unten links). Beim Streik dabei waren Müll fahrer (zwischen Müllautos, oben) und ein Vater mit seinem Kind (unten rechts). ULM
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