Sitzstreik für mehr Geld
Erzieher, Müllmänner, Bankangestellte: 2500 Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst aus Ulm, Neu-Ulm und von der Alb legen die Arbeit nieder. Und sie könnten es bald wieder tun
Besonders schmutzig wirkt Ulm an diesem Donnerstagmorgen nicht. Dabei haben etliche Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebe Ebu ihre Arbeit niedergelegt. Sie stehen in ihrer orangefarbenen Arbeitskleidung, die den neongelben Streik-Westen der Gewerkschaft Verdi ähnelt, auf dem Münsterplatz.
Ulm ist ein Zentrum der Streiks im Südwesten, das hatten VerdiSprecher bereits im Vorfeld angekündigt. Mit 2000 Teilnehmern bei der Kundgebung hatte Maria Winkler, Gewerkschafts-Geschäftsführerin des Bezirks OstwürttembergUlm gerechnet. Jetzt begrüßt sie „mindestens 2500 Streikende“auf dem Münsterplatz. „Das ist super, das ist ein Signal an die öffentlichen Arbeitgeber“, ruft Winkler ins Mikrofon. An den Zufahrten zum Platz stehen die weiß lackierten Müllautos der Stadt, an den Seiten und hinter den Fensterscheiben hängen rote Streik-Schilder. Wagenburg-Mentalität in der Fußgängerzone.
Der Münsterplatz ist trotz einiger Lücken voll. 17 Busse haben Streikende aus Aalen, Ellwangen, Heidenheim und Schwäbisch Gmünd nach Ulm gebracht. Die Busse und Trams der SWU, die am Mittwoch stillstanden, fahren wieder. „Sonst wären heute nicht so viele Leute da“, sagt Claus Deyle, Betriebsrat der Stadtwerke. Er wird an der nächsten Verhandlungsrunde teilnehmen. Von Sonntag an verhandeln Gewerkschaftsvertreter und kommunale Arbeitgeberverbände über einen neuen Tarifvertrag, es ist die dritte Verhandlungsrunde.
Die Wut der kommunalen Mitarbeiter wird vor allem deutlich, als Roland Eckrich ans Mikrofon auf dem Verdi-Lastwagen tritt. Der städtische Personalrat aus Ulm mit Schirmmütze und beigefarbener Jacke redet sich mit überschlagender Stimme in Rage. „Wer hält eigentlich den Laden am Laufen? Das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst“, ruft er. Die Krankenpfleger, Müllmänner Verdi. Er schickt eine Warnung an die Arbeitgeber und an Bundesinnenminister Horst Seehofer, der ebenfalls an den Verhandlungen teilnehmen soll: „Wenn jetzt nicht ein richtiger Minister mit einem richtigen Angebot kommt, dann rappelt es richtig in der Kiste.“Das ist die Drohung, noch umfangreicher zu streiken – und eine Spitze an die lange währende Regierungsbildung. Bei den zurückliegenden Gesprächsrunden hatte es noch keinen Innenminister gegeben, sondern nur jemanden, der diese Aufgabe geschäftsführend übernahm.
Nach Angaben der Stadt Ulm legten knapp 600 kommunale Mitarbeiter die Arbeit nieder. Die Kitas blieben geschlossen, Temposünder und Falschparker wurden nur vereinzelt kontrolliert und Kunden in den Dienstleistungszentren musten länger warten als gewohnt. Die Friedhofsmitarbeiter leisteten nur einen Notdienst, das Klärwerk lief eingeschränkt und die Einfahrt in die Rathaus-Tiefgarage blieb zeitweise gesperrt. Die Müllabfuhr muss nachgeholt werden.
Manches hatten Gewerkschaft und Betriebe schon im Vorfeld angekündigt. Doch klar wird am Donnerstag auch: Nicht alle Arbeitgeber können halten, was sie ihren Kunden versprochen hatten. Die Hauptstelle der Sparkasse werde sicher geöffnet bleiben, hatte Unternehmenssprecher Boris Fazzini angekündigt. Doch in der Geschäftsstelle in der Neuen Mitte stehen nur die Automaten zur Verfügung. Ein Mitarbeiter unterstützt Senioren, die mit der Bedienung nicht vertraut sind. Die Schalter sind mit einer Wand aus Milchglas abgetrennt. An ihr hängt ein Hinweisschild: Die Filialen in Söflingen und auf dem Eselsberg sind geöffnet. Für die Sparkassen-Mitarbeiter steht am meisten auf dem Spiel: Für sie soll der allgemeine Tarif nicht mehr gelten, fordern Arbeitgebervertreter der Bank. Verdi-Landesbezirksleiter Gross verspricht auf dem Münsterplatz, dagegen zu kämpfen: „Wir dürfen uns nicht spalten lassen.“
Stattdessen wollen sich andere anschließen: Thomas Schwendele aus Schwäbisch Gmünd steht mit einer Caritas-Fahne nicht weit vom Verdi-Wagen mit Rednerpult, Mikrofon und Lautsprechern. Die katholische Wohlfahrtsorganisation Caritas kümmert sich in Ulm und dem Alb-Donau-Kreis unter anderem um hilfsbedürftige Familien, Zuwanderer und Behinderte. Mitarbeitervertreter Schwendele will erreichen, dass die Regelungen des neuen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst auch für die Angestellten der Caritas gelten. „Bei uns darf man nicht streiken, aber demonstrieren darf man“, sagt er. Bei einem Autounfall in Ulm sind am frühen Donnerstagmorgen zwei Männer schwer verletzt worden. Wie die Polizei berichtet, war ein 26-Jähriger um kurz vor 6 Uhr die Hörvelsinger Straße entlang gefahren und hatte ungebremst und ohne auf den Verkehr zu achten die Kreisstraße zur Albstraße überquert. Sein Skoda stieß mit einem BMW zusammen, überschlug sich und blieb kopfüber neben der Fahrbahn liegen. Durch den heftigen Zusammenstoß erlitten die beiden Fahrer schwere Verletzungen. Der Rettungsdienst brachte sie ins Krankenhaus. An den Autos entstand Totalschaden. (az)