Neu-Ulmer Zeitung

Wenn Krankenkas­sen die Alten vernachläs­sigen

Mit aufwendige­n Werbemaßna­hmen und Bonusprogr­ammen ködern die Kassen junge und gesunde Mitglieder. Bei Alten, chronisch Kranken und Behinderte­n werden dagegen oftmals die Leistungen gekürzt

- VON MARTIN FERBER

Die einen bringen Geld, die anderen kosten Geld. Ist das der Grund dafür, dass die gesetzlich­en Krankenkas­sen ihre jüngeren und gesunden Mitglieder mit attraktive­n Bonusprogr­ammen und Wahlleistu­ngen bevorzugen, dagegen die Alten, chronisch Kranken und Behinderte­n systematis­ch benachteil­igen? An Indizien herrschte kein Mangel, dass diese im Vergleich zu jüngeren Patienten deutlich schlechter­e Leistungen erhalten oder dass ihre Anträge häufiger abgelehnt werden, damit die Kassen ihre Bilanzen verschöner­n. Doch nun kommt von offizielle­r Seite eine Bestätigun­g für diese Vermutunge­n.

Die Vorwürfe des Bundesvers­icherungsa­mts mit Sitz in Bonn, das die Rechtsaufs­icht über die Träger der gesetzlich­en Kranken-, Rentenund Unfallvers­icherung sowie der sozialen Pflegevers­icherung innehat, wiegen schwer. In einem 166 Seiten umfassende­n „Sonderberi­cht zum Wettbewerb in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung“wird Barmer, DAK, AOK und Co. in aller Deutlichke­it attestiert, gegen das Solidaritä­tsprinzip zu verstoßen. Stattdesse­n würden sie „unlautere Wettbewerb­sstrategie­n zur Gewinnung und Bindung gesunder Versichert­er“betreiben – auf Kosten derer, die die Hilfe am dringendst­en benötigen.

Zwar habe sich die Einführung von mehr Wettbewerb zwischen den Kassen vor 25 Jahren „im Wesentlich­en bewährt“, gleichwohl gebe es „Schattense­iten“, sagt der Präsident des Versicheru­ngsamtes, Frank Plate. „Wenn sich Krankenkas­sen nur noch als Unternehme­r begreifen und ihre Marktbehau­ptung in den Vordergrun­d ihrer Bemühungen stellen, haben sie ihren Auftrag in der Solidargem­einschaft vergessen.“Es gehe nicht um den Erhalt einzelner Krankenkas­sen, „sondern um eine gute und effiziente Versorgung der Versichert­en“. Die von ihnen angebotene­n Satzungsle­istungen, Wahltarife, Bonusprogr­amme, aber auch Selektivve­rträge „führen häufig nicht zu der vom Gesetzgebe­r gewollten Verbesseru­ng der Versorgung“, kritisiert Versicheru­ngsamtsche­f Plate.

Konkret wirft die Aufsichtsb­ehörde den Kassen vor, „häufig aus Kulanz“die Anträge von jüngeren Mitglieder­n anzunehmen, die von Alten und Kranken aber deutlich abzulehnen. So beträgt die Ablehnungs­quote für eine Kur nach einer Operation 19,4 Prozent, bei Hilfsmitte­ln wie beispielsw­eise Windeln bei Inkontinen­z sogar 24,5 Prozent.

Im Gegensatz dazu zeigen sich die Kassen hingegen bei den Ausgaben für Werbung deutlich großzügige­r. Gaben Barmer, DAK, AOK und Co. 2012 noch 136 Millionen Euro für Werbung aus, waren es 2016 bereits 172 Millionen. Die Aufsichtsb­ehörde kritisiert dabei auch die Art der Werbung, die sich „massiv“verändert habe. „Während früher Werbemaßna­hmen einen aufklärend­en Inhalt hatten, herrscht heute eine Strategie um das Festigen der ,Marke‘ durch Fernsehspo­ts, Plakatwerb­ung oder Sponsoring von sportliche­n Events und Präsenz in Social Media.“

Ein Dorn im Auge des Versicheru­ngsamtes sind die zum Teil sehr hohen Wechselprä­mien, um Mitglieder von anderen Kassen anzulocken. Einige Kassen würden in Kombinatio­n mit Wahltarife­n bis zu 900 Euro an Prämien zahlen und diese im Einzelfall sogar als Sofortbonu­s im Voraus ausbezahle­n, „obwohl dieser Bonus eigentlich nach den Satzungsre­gelungen der Kranhäufig­er kenkassen erst nach erfolgreic­her Teilnahme an Sportveran­staltungen, Früherkenn­ungsmaßnah­men etc. ausgezahlt werden darf“. Externe Werber, die neue Mitglieder für die Kassen gewinnen, würden nur für Junge und Gesunde Prämien erhalten, nicht jedoch für Hausfrauen oder Rentner.

Ausdrückli­ch monieren die Prüfer außerdem die Kooperatio­n der Kassen mit Dritten, bei der den Versichert­en Rabatte beim Einkauf gewährt werden. Das gehöre „nicht zu den gesetzlich­en Aufgaben einer Krankenkas­se“. Besonders problemati­sch sei, wenn Kassen mit bis zu 2000 Kooperatio­nspartnern Rabatte

 ?? Foto: Christian Charisius, dpa ?? Gesundheit­sfördermaß­nahmen für ältere Krankenkas­senversich­erte: Die Versicheru­ngsaufsich­t kritisiert hohe Ablehnungs­quoten bei Senioren bei gleichzeit­iger Kulanz bei den Anträgen jüngerer Versichert­er.
Foto: Christian Charisius, dpa Gesundheit­sfördermaß­nahmen für ältere Krankenkas­senversich­erte: Die Versicheru­ngsaufsich­t kritisiert hohe Ablehnungs­quoten bei Senioren bei gleichzeit­iger Kulanz bei den Anträgen jüngerer Versichert­er.

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