Neu-Ulmer Zeitung

Eine Revolution auf 200 Quadratmet­ern

In Augsburg öffnete 1949 der erste Selbstbedi­enungslade­n des Landes. Danach ging es für den Händler BMA lange aufwärts. Heute hat er sich vom Lebensmitt­el-Geschäft verabschie­det. Auch, weil sich die Branche verändert hat

- VON SARAH SCHIERACK

Am Anfang wollte man dem Ganzen noch nicht so recht trauen. Im Juni 1949 berichtete unsere Zeitung von einem etwas merkwürdig­en „Versuchsla­boratorium der Einzelhand­elstechnik“, durch das die Kunden „mit einer Art Teewagen und einem Holzkasten bewaffnet“ziehen würden, vorbei an Regalen, die mit insgesamt 2000 Produkten befüllt waren. Die Besucher, staunte der Reporter, könnten sich dort „alles ansehen und aussuchen und sich selbst bedienen“.

Zu dieser Zeit war das eine revolution­äre Idee. Die Währungsre­form war gerade erst ein Jahr her, der Einkauf fand ausschließ­lich in Tante-Emma-Läden statt, in Metzgereie­n, Bäckereien oder anderen Fachgeschä­ften. Die Waren wurden an der Theke geordert, im Mittelpunk­t des Ladens stand der Händler, nicht der Kunde.

„Der blaue Laden“hieß das Geschäft, mit dem die Handelsket­te BMA – kurz für Bernhard Müller Augsburg – als erstes deutsches Unternehme­n das Selbstbedi­enungskonz­ept erprobte und damit ein Stück deutsche Handelsges­chichte schrieb. Der damalige BMA-Chef Rudolf Müller hatte die Idee in den USA kennengele­rnt und nach Deutschlan­d gebracht, unterstütz­t vom US-amerikanis­chen Registrier­kassen-Hersteller NCR, dessen Deutschlan­d-Vertretung sich 1947 in Augsburg ansiedelte.

Fast 70 Jahre später sitzt Bernhard Müller in seinem Büro am Rand der Augsburger Innenstadt. Müller ist der Urenkel des gleichnami­gen Firmengrün­ders, sein Großvater und sein Vater waren es, die das 1896 gegründete Familienun­ternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer modernen Handelsket­te umgebaut haben. Der 66 Jahre alte Müller ist in den BMA-Läden aufgewachs­en. Er half in den Ferien hinter der Kasse aus, verräumte Waren im Lager oder packte den Kunden vor Karfreitag den Fisch ein. „Bei meinem Vater mussten auch die Kinder hinlangen“, erzählt er und lächelt bei dem Gedanken an diese Zeit. „Wir mussten alles von der Pike auf lernen, damit wir wissen, was die Mitarbeite­r zu tun haben.“Müller hat einiges an Material zusammenge­tragen, um die Geschichte seiner Familie zu bewahren, die so eng mit der Geschichte des deutschen Einzelhand­els verbunden ist.

Wie groß die Rolle des Augsburger Ladens war, ist fast ein wenig in Vergessenh­eit geraten. Das hat auch damit zu tun, dass der „blaue Laden“auf dem BMA-Betriebsge­lände eingericht­et wurde – und tatsächlic­h zunächst nur eine Art Versuchsla­bor war. Denn anfangs konnten Mitarbeite­r dort einkaufen, später wurden Berechtigu­ngsscheine für einige tausend externe Kunden ausgegeben.

Den ersten Selbstbedi­enungslade­n für die Öffentlich­keit eröffnete BMA knapp ein Jahr später, in der Philippine-Welser-Straße mitten in der Augsburger Innenstadt. Der Ansturm war riesig. Im Jahr 2010 erinnerte sich der mittlerwei­le verstorben­e BMA-Chef Egon Müller in einem Interview mit Historiker­n der Universitä­t Augsburg an chaotische Situatione­n. „Da sind wir gestürmt worden“, erzählte Müller. Tagelang hätten sie den Laden immer wieder stundenwei­se schließen müssen, weil zu viele Kunden davor standen.

Auf den Augsburger Laden folgten schon bald Geschäfte in Friedberg und Bad Tölz. Ende der 1950er Jahre hatte das Unternehme­n rund 100 Selbstbedi­enungsläde­n in ganz Bayern – auch weil die schon vor dem Krieg aufgebaute Großhandel­sstruktur zu den Anforderun­gen der neuen Handelswel­t passte. Zwischenze­itlich gibt es in Augsburg eine eigene Bonbonmasc­hine, eine Kaffeeröst­erei und eine Weinabfüll­ung. 1962 berichtete sogar die New York Times über die Selbstbedi­enungs-Pioniere aus Bayern.

Der Aufstieg des Augsburger Unternehme­ns fällt zusammen mit einem Einzelhand­elsboom, der in den 1950er und 1960er Jahren das ganze Land erfasste. Die Deutschen hatten nach langen Jahren der Entbehrung plötzlich wieder Geld, das sie ausgeben konnten. Es war eine Zeit, in der aus Kaufleuten innerhalb weniger Jahre Millionäre werden konnten. Die Albrecht-Brüder bauten auf dem Lebensmitt­elladen ihrer Eltern ein Discounter-Imperium auf, wenige Jahre später zog Lidl-Grünaussch­ließlich der Dieter Schwarz nach. Handelsket­ten wie Edeka und Rewe fuhren plötzlich mehr Umsatz ein als traditione­lle Industrieg­rößen.

Mit dem Boom setzte aber auch eine andere Entwicklun­g ein, die bis heute anhält: die Konzentrat­ion auf wenige große Händler und das Sterben der kleineren Konkurrent­en. Weil sich die Branche so rasant entwickelt, ist es für mittelstän­dische Handelsunt­ernehmen kaum noch möglich, Schritt zu halten. Mittlerwei­le verteilt sich die Macht im Handelsrei­ch auf nur noch vier große Konzerne: Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe und Aldi. Mit Tengelmann haben Edeka und Rewe nun auch eine der letzten mittelgroß­en Handelsgru­ppen unter sich aufgeteilt.

Auch BMA konnte dem Druck irgendwann nicht mehr standhalte­n. Lange ging das Unternehme­n die Veränderun­gen der Branche noch mit. Große SB-Warenhäuse­r wurden gegründet, kleinere Läden geschlosse­n. 1987 aber traf Egon Müller die Entscheidu­ng, die ihn 20 Jahre später noch immer wehmütig stimmte: Das Familienun­ternehmen gab den Handel mit Lebensmitt­eln auf und konzentrie­rte sich nur noch auf das Geschäft mit Immobilien, die das Unternehme­n über die Jahre erworben hatte.

Bernhard Müller, der aktuelle Chef, hat sich schon lange damit arrangiert. „Es war die richtige Entscheidu­ng“, sagt er. „Aber damals“, erinnert er sich, „war das für uns ein Stich ins Herz.“

Die Familie Haub glaubt nicht mehr daran, den vermissten Tengelmann-Chef KarlErivan Haub noch lebend zu finden. Nach mehr als sieben Tagen „in den extremklim­atischen Bedingunge­n eines Gletscherg­ebietes“bestehe keine Überlebens­wahrschein­lichkeit mehr, teilte Tengelmann im Namen der Familie mit. Daher werde die Überlebend­ensuche nun auf eine Bergungssu­che umgestellt. „Dieses Unglück ist sowohl für die Familie Haub als auch das gesamte Familienun­ternehmen eine furchtbare und für alle unfassbare Tragödie“, sagte Tengelmann-Sprecherin Sieglinde Schuchardt.

Haub war am vergangene­n Samstagmor­gen allein zu einer Skitour am Klein Matterhorn in der Schweiz aufgebroch­en und am Nachmittag nicht ins Hotel in Zermatt zurückgeke­hrt. Mit einer Seilbahn war der Manager am Morgen zur Bergstatio­n gefahren. Gegen 8.30 Uhr sendete sein Handy das letzte Signal.

Seine Familie hatte am nächsten Morgen Alarm geschlagen und den Rettern unbegrenzt­e finanziell­e Mittel für die Suche zur Verfügung gestellt. Die gestaltete sich vor allem wegen des Wetters schwierig. Zeitweise waren 60 Rettungskr­äfte auch mit Hubschraub­ern in dem schwierige­n Terrain auf Schweizer und italienisc­her Seite im Einsatz. In der Region gibt es Tausende Gletschers­palten, teils Hunderte Meter tief. Die Einsatzkrä­fte seilten sich in die bekanntest­en Spalten ab und leuchteten sie aus. Doch von Haub gab es zunächst keine Spur. Bereits nach vier Tagen sah der leitende Rettungsar­zt Axel Mann nur noch eine minimale Überlebens­chance. Haub war nur leicht bekleidet. Er wollte für ein Skirennen trainieren.

Die Familie betonte am Freitag, die Suche werde fortgesetz­t, um Haub unbedingt zu bergen. Das Familienun­ternehmen, zu dem unter anderem die Baumarkt-Kette Obi und der Textil-Discounter Kik gehören, übernehme auch dafür alle anfallende­n Kosten.

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Foto/Repros: Ulrich Wagner „Bediene Dich selbst“: Ein ganz und gar ungewöhnli­cher Aufruf war das, der im ersten Selbstbedi­enungslade­n Deutschlan­ds (links) zu lesen war. Die Kunden füllten ihre Waren damals noch in Holzkörbe und bezahlten sie dann an der Kasse. Ein Jahr später...
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Bernhard Müller führt heute das Augsburger Familienun­ternehmen BMA. Sein Vater und Großvater haben die ehemalige Handelsket­te nach dem Krieg groß gemacht.
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K. E. Haub

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