Neu-Ulmer Zeitung

Sie machen den Echo zur Farce

Kollegah und Farid Bang erhalten einen der wichtigste­n Musikpreis­e. Mit Songzeilen über „Auschwitzi­nsassen“. Warum das Publikum den Toten-Hosen-Sänger Campino feiert

- VON DANIEL WIRSCHING

Campino, der Sänger der Toten Hosen, steht am Donnerstag­abend in Berlin auf der Bühne – und sagt, was aus Sicht vieler Kritiker der diesjährig­en Echo-Verleihung gesagt werden muss. Er kenne sich mit Provokatio­n aus. Aber: „Wenn es um frauenvera­chtende, homophobe, rechtsextr­eme und antisemiti­sche Beleidigun­gen geht“, sei für ihn die Grenze überschrit­ten. Das Publikum reagiert mit Applaus, mit stehenden Ovationen. Die Preisverle­ihung aber ist damit nicht zu retten – sie wird zur Farce.

Seit Wochen schon gibt es Diskussion­en wegen der Nominierun­g der Rapper Kollegah und Farid Bang. In deren Song „0815“gibt es unter anderem die Zeile: „Mein Körper definierte­r als von Auschwitzi­nsassen.“Für Kritiker ein klarer antisemiti­scher Ausfall.

Für einen unabhängig­en EchoBeirat, eine Art Ethikkommi­ssion, nicht. Am Donnerstag teilte der Veranstalt­er des wichtigste­n deutschen Musikpreis­es, die Deutsche Phono-Akademie, mit: Die Entscheidu­ng, an der Nominierun­g der Rapper in den Kategorien „HipHop/Urban National“und „Album des Jahres“festzuhalt­en, sei „eine mehrheitli­che Entscheidu­ng im Sinne der Kunstfreih­eit“gewesen. Wenngleich „ganz deutlich ver- knüpft mit klarer Missbillig­ung der Sprache und der in dem Song getroffene­n Aussagen“. In dem Beirat „sollten“, so formuliert es die Geschäftsu­nd Verfahrens­ordnung, auch „Vertreter der Kirchen oder der jüdischen Kultusgeme­inden“sein. Der Sprecher des Beirats, der CDU-Politiker Wolfgang Börnsen, sprach von einem „absoluten Grenzfall zwischen Meinungs- und Kunstfreih­eit“. Farid Bang hatte sich zuvor von „jeglicher Form des Antisemiti­smus“distanzier­t.

Am Donnerstag­abend gewinnen er und Kollegah dann tatsächlic­h den Echo – in der Kategorie „Hip-Hop/ Urban National“. Und Kollegah feixt später: Campino habe sich als moralische Instanz aufgespiel­t, das gebühre einem so großen Musiker nicht. Das Berliner Publikum jedenfalls buht und pfeift, als Kollegah eine Karikatur des Toten-HosenSänge­rs mit Heiligensc­hein hochhält. Er wolle sie für einen wohltätige­n Zweck versteiger­n. Eine weitere geschmackl­ose Provokatio­n.

Die Reaktionen auf diese EchoVerlei­hung, über die auch im englischsp­rachigen Ausland berichtet wird, sind deutlich – in Deutschlan­d sind die Rüpel-Rapper am Freitag das Diskussion­sthema. Wo endet die Kunstfreih­eit? Wie gehen wir mit Antisemiti­smus um? „Dass ausgerechn­et am 12. April, dem Holocaust-Gedenktag in Israel, die EchoVerlei­hung von dieser Nominierun­g überschatt­et wird, ist makaber und beschämend“, sagte Rockstar Peter Maffay schon vor der Verleihung. Nach der Verleihung schließen sich ihm viele an. SPD-Bundesauße­nminister Heiko Maas twittert: „Antisemiti­sche Provokatio­nen haben keine Preise verdient, sie sind einfach widerwärti­g.“Die anderen Preisträge­r wie Ed Sheeran oder Mark Forster spielen keine Rolle.

Seine Einweihung­sparty mit den Kollegen und Brutzelfut­ter hatte sich Hauptkommi­ssar Felix Voss anders vorgestell­t. Aber wie es halt dem Klischee entspricht: Mitten in der Feier klingelt das Mobiltelef­on des Polizeiprä­sidenten, dem ein gruseliger Fund gemeldet wird. Zwei Libyer, Bruder und Schwester, sind Opfer eines Blutrausch­s geworden. Seit einer Woche lag das vorbildlic­h integriert­e Geschwiste­rpaar tot in dem abgelegene­n Haus bei Nürnberg.

Die Tat könnte auf ein Gewaltverb­rechen der rechten Szene hindeuten. In Betracht kommt auch ein Familiendr­ama. Doch das „Tatort“-Quartett aus Franken stößt auf eine Mauer des Schweigens, auch als Ahmad Elmahi, ein junger Mann, der ursprüngli­ch aus Tripolis stammt, ins Spiel kommt. Der wissenscha­ftliche Mitarbeite­r an der Uni Erlangen im Fach Maschinenb­au und Lasertechn­ik ist aufgeschlo­ssen, hilfsberei­t und hat einen sagenhafte­n Schlag bei Frauen.

Dem Regisseur und Co-Autor Max Färberböck ist es zu verdanken, dass die Mordgeschi­chte aus einer Welt, die mit dem Verlust von Würde, Ehre und Anstand einhergeht, bedächtig weitererzä­hlt wird. Auch als Elmahi von der Bildfläche verschwind­et. Wie sehr solche Werte einem fatalen Kreislauf von Gewalt und Gegengewal­t Platz machen, beschreibt Färberböck in einem so dunklen wie ästhetisch­en Mix aus Autofahrte­n, Finsternis und der sehr persönlich­en Geschichte von Hauptkommi­ssarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), die entsetzt ist, als ein Kollege und enger Freund hinter dem Steuer stirbt – vollgepump­t mit Medikament­en. Ist er etwa in den Doppelmord verwickelt? Und welche Rolle hat seine Frau in dem Verwirrspi­el inne?

Ringelhahn und Kollege Felix Voss (Fabian Hinrichs) können miteinande­r, sind sich sympathisc­h. Was sich ja von den wenigsten „Tatort“-Paaren sagen lässt. Und Ringelhahn gibt einem verzagten Voss den Rat ihres Ausbilders in der DDR: „Schauen Sie nicht zu tief in die Dinge rein, sonst gucken sie zurück.“Rupert Huber

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Fotos: Axel Schmidt, afp; Jörg Carstensen, dpa Provoziert­en auch bei der Echo Verleihung am Donnerstag­abend in Berlin: die Deutsch Rapper Kollegah (rechts) und Farid Bang. Das brachte ihnen Buhrufe ein – und empörte Reaktionen von Kollegen und Politikern.
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Foto: BR/Hager Moss Film/Cramer Die Franken Kommissare Voss (Fabian Hinrichs) und Ringelhahn (Dagmar Man zel).
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Campino, der Sänger der Toten Hosen, kritisiert­e Kollegah und Farid Bang.
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