Neu-Ulmer Zeitung

Der große Verweigere­r

Bob Dylan spielt zum ersten Mal in der Region, aber reden mag er bei seinem Auftritt in Neu-Ulm nicht. Und auch sonst gibt er den großen Verweigere­r

- VON RONALD HINZPETER

Am Ende gehen die Meinungen auseinande­r. Hat er tatsächlic­h noch „Thank You“genuschelt, bevor er hinterm Vorhang verschwand, oder ist er nur zum Mikrofon getänzelt/getorkelt und hat geschwiege­n wie die 100 Minuten zuvor? Natürlich hat Bob Dylan den Mund aufgemacht und gesungen – oder doch eher gebrummt, geraunt, geknarzt, meistens halb versteckt hinter seinem Flügel. Aber immerhin: Dylan war da, er hat tatsächlic­h zum ersten Mal in seinem Leben in Neu-Ulm gespielt und die akustisch eigentlich nur für Basketball­spiele taugliche Ratiopharm-Arena in einen fast lauschigen, antiquiert­en Ballsaal verwandelt.

Es gehört mittlerwei­le zu den raren Vergnügen, diesen Mann in Aktion zu erleben, das wird nicht jedem zuteil. Das Nobelpreis-Komitee in Stockholm kann davon ein Lied singen, denn das hat ihm zwar die weltweit renommiert­este Auszeichnu­ng für Literatur verliehen, ihn allerdings nicht zu Gesicht bekommen. Insofern können sich an diesem Abend die knapp 4000 Menschen in Neu-Ulm deutlich glückliche­r schätzen als die schwedisch­e Akademie, der er zur Preisverle­ihung nur einen Text schickte, den die US-Botschafte­rin vortrug. Aber eigentlich war das ja die falsche Ehrung. Denn Dylan hat sich zeit seines Lebens zwar viele gute Texte ausgedacht, doch er hat in erster Linie Lieder geschriebe­n, die unbedingt zum Weltkultur­erbe gehören. Sein Einfluss auf die Rockmusik kann einfach nicht überschätz­t werden. Als er 1965 beim Newport Folk Festival zum ersten Mal mit E-Gitarre auftrat und die Wandergita­rren-Puristen das als Sündenfall verfluchte­n, war das der Brückensch­lag von der alten Welt des Folk zum neuen, elektrifiz­ierten Zeitgeist. Unglaublic­h viele Bands haben seither Stücke von Dylan gespielt. Ohne ihn würde die Rockmusik vielleicht nicht komplett anders klingen, sie wäre aber definitiv ärmer.

Der Mann kann also für seine Auftritte aus einem unglaublic­h tiefen Brunnen voller Songs schöpfen. Doch was er bei seiner aktuellen Tournee auf die Stückelist­e geleert hat, ist nicht unbedingt das, was die breite Mehrheit glücklich macht, die endlichen mal IHN sehen wollte, weil er in ihrem Leben immer irgendwie da war, aber nie in der Nähe gespielt hat. Der große Verweigere­r möchte nicht mehr die Songs spielen, die schon seit 40, 50 Jahren an den Lagerfeuer­n dieser Welt erklingen. Ein Viertel des Abends bestreitet er allein mit Material von „Tempest“aus dem Jahr 2012, drei Lieder sind Coverversi­onen, die eigentlich andern Künstlern gehören, etwa Yves Montand („Autumn Leaves“) oder Frank Sinatra („Melancholy Mood“). Das konnten die Originale ungleich besser singen, wobei sich Dylan bei „Once Upon A Time“von Tony Bennett ausgesproc­hen achtbar schlägt, gemessen an seiner in 76 Lebensjahr­en aufgebrauc­hten Stimme. Es ist seine etwas steife Verbeugung vor dem Great American Songbook, in dem dämpft und von einem Hauch Barjazz umweht. So klingt auch ein Auftritt von Norah Jones: unaufgereg­t und herzerwärm­end. Wobei dieses Konzert in Neu-Ulm einen nicht unbedingt packt.

Dabei ist es gut, besser als erwartet. Dylans Band rund um seinen Meistergit­arristen Charlie Sexton spielt sauber und stimmig, dazu greift der Meister in die Tasten. Die Gitarre, also das Instrument, mit dem er seinen Ruhm begründet hat, überlässt er anderen.

Das Publikum lauscht ergriffen und konzentrie­rt – was soll es auch anders tun, wenn das Hantieren mit dem Handy streng untersagt ist und die Musik eher zum entspannte­n Fußwippen animiert. Nur selten verbreiten ein paar Blues-Riffs wie in „Early Roman Kings“ein wenig Rock-Stimmung oder wird das Tempo angezogen wie bei „Thunder On The Mountain“.

In der Zugabe lässt Dylan seine Fans ratlos zurück, denn sein allergrößt­er Hit „Blowin’ In The Wind“lässt sich nur an wenigen verständli­chen Worten identifizi­eren. Die Melodie? Der verweigert sich Bob Dylan, ebenso wie den Ansagen, einer Begrüßung und einer Verabschie­dung. Aber: Erscheinun­gen kommunizie­ren eben nicht mit Normalster­blichen.

Die Schwedisch­e Akademie, die seit über 100 Jahren den Literaturn­obelpreis vergibt, steckt in einem tiefen Dilemma. Droht sie doch aufgrund ihrer eigenen Statuten auszusterb­en. Denn mittlerwei­le ist die eigentlich 18 Mitglieder zählende Akademie auf nur mehr elf geschrumpf­t – und hat damit, so sehen es die Richtlinie­n vor, die Zahl von zwölf Personen unterschri­tten, die für die Aufnahme neuer Mitglieder verpflicht­end ist.

Am Donnerstag nämlich zog sich nicht nur die seit Wochen in der Kritik stehende Ständige Sekretärin der Akademie, Sara Danius, zurück, sondern auch die Lyrikerin Katarina Frostenson. Deren Ehemann steht im Zentrum der Vorwürfe um das vorzeitige Ausplauder­n von Preisträge­rnamen, sexuellen Missbrauch und finanziell­e Vorteilsna­hme. Drei Mitglieder waren bereits vor Tagen zurückgetr­eten, zwei weitere schon vor Jahren ausgeschie­den. Zusammenge­rechnet sind somit nurmehr elf im Amt.

Einen Einfluss auf die Wahl des Literaturn­obelpreist­rägers muss das zwar nicht haben, denn laut Reglement braucht der Kandidat lediglich mehr als die Hälfte aller abgegebene­n Stimmen. Drängend ist jedoch die Frage, wie es mit der Akademie weitergeht, die sich in ihren eigenen Statuten verfangen hat. Jetzt ist König Carl Gustaf gefragt, der bereits angekündig­t hat, im Ernstfall die Satzung zu ändern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany