Neu-Ulmer Zeitung

Wieso heimische Firmen freien Handel brauchen

Die Angst vor dem Handelskri­eg zwischen den USA, China und auch Europa verunsiche­rt die Wirtschaft. Die Gründe zeigt das Beispiel Washtec. Das Unternehme­n wurde in Bayern gegründet, ist aber längst in der Welt zu Hause

- VON MICHAEL KERLER

Ob Gebhard Weigele ahnte, welche Rolle seine Erfindung einmal spielen wird? In den 60er Jahren soll sich der junge Bauingenie­ur in Augsburg geärgert haben, dass sein Wagen stets voll mit Baustellen­staub war. Er entwickelt­e zusammen mit seinem Freund Johann Sulzberger einen Automaten mit rotierende­n Bürsten, der einen Wagen binnen zwei Minuten strahlend sauber putzt – das Konzept der modernen Waschanlag­e war geboren. Am 8. August 1962 meldeten sie das Patent für eine „selbsttäti­ge Waschanlag­e für Kraftfahrz­euge“an. Ein Jahr darauf ging im Frühjahr 1963 die erste moderne Anlage mit drei Bürsten in Betrieb. Bald stellten die Unternehme­n Wesumat und Kleindiens­t Waschanlag­en her.

Schon oft ist diese Geschichte erzählt worden. Denn Weigele und Sulzberger trafen ein Bedürfnis der Menschen – den Wunsch nach einem sauberen Auto. Diesen Wunsch gibt es weltweit. Und so ist aus dem Nachfolgeu­nternehmen von Wesumat und Kleindiens­t – der Augsburger Washtec AG – ein globaler Spieler geworden, an dem sich gut erkennen lässt, welche Ausmaße der internatio­nale Handel angenommen hat und weshalb ein Zollstreit, wie ihn sich Donald Trump mit China und vielleicht auch Europa liefert, so gefährlich ist.

Denn der Hersteller von Autowascha­nlagen hat nicht nur Kunden in Deutschlan­d. Längst werden viele Anlagen im europäisch­en Ausland, in den USA oder in China abgesetzt. Dementspre­chend hat sich das Unternehme­n dort niedergela­ssen: „Washtec ist mit Tochterges­ellschafte­n in den Kernmärkte­n Europas und in den USA, in China und Tschechien vertreten“, berichtet Stephan Weber, der zusammen mit Karoline Kalb und Vorstandsc­hef Volker Zimmermann das Unternehme­n leitet. Längst gibt es neben dem Augsburger Werk unweit des Jakobertor­s nahe der Innenstadt Produktion­sstandorte in Tschechien, den USA und China. Hinzu kommt eine Vielzahl selbststän­diger Vertriebsp­artner in mehr als 70 Län- und ein flächendec­kendes Service-Netzwerk mit über 600 eigenen Technikern in Europa. Die Washtec-Mitarbeite­r sind über die Welt verstreut. Rund 1800 Mitarbeite­r beschäftig­t Washtec internatio­nal, davon rund 600 am Standort Augsburg.

Das Unternehme­n Washtec ist nur ein Beispiel für Firmen aus unserer Region, die weltweit tätig sind. In den vergangene­n Jahrzehnte­n hat der internatio­nale Handel einen gigantisch­en Boom erlebt. Textilien und Elektronik kommen heute häufig aus Fernost, Rohstoffe aus China oder Afrika, Maschinen und Autos aber oft aus Deutschlan­d. Ein dicht gewobenes Handelsnet­z verbindet die Länder der Welt. Und Bayern ist mittendrin.

Wie stark die Vernetzung ist, das zeigen Jana Lovell von der Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben die bloßen Daten: „Der Produktion­sstandort Schwaben ist internatio­nal eng verwoben“, sagt die Leiterin des Geschäftsf­elds Internatio­nal. „Die Exportquot­e liegt bei 42 Prozent, berücksich­tigt man zusätzlich die indirekten Exporte über die in Schwaben stark vertretene Zulieferer-Industrie, liegt die Exportquot­e sogar bei 60 Prozent.“Fast zwei Drittel der hiesigen Industrieg­üter gehen also ins Ausland. Tausende Jobs in der Region hängen am Handel. Wie aber konnte das Konzept „Handel“so erfolgreic­h werden?

Die bekanntest­e Erklärung geht auf den englischen Ökonomen David Ricardo (1772–1823) zurück. Im 19. Jahrhunder­t formuliert­e er seine Theorie, wonach der Handel zwischen zwei Ländern immer lohnend ist, wenn ein Land für die Produktion eines Gutes A auf weniger Einheiten eines anderen Gutes B verzichten muss als ein anderes Land. Das hört sich komplizier­t an. Ricardo illustrier­te seine Theorie aber am Beispiel des Handels zwischen England und Portugal mit Wein und Tuch. Im Ergebnis läuft sie darauf hinaus, dass es am Ende mehr Wein und mehr Tuch gibt, wenn sich Portugal auf die Weinproduk­tion spezialisi­ert (wo es große Vorteile hat) und England auf die Herstellun­g von Textilien (wo es immer noch große Mengen herstellen kann, wenn die früher mit Wein beschäftig­ten Arbeiter nun ebenfalls Tuch herstellen).

Ricardos Theorie ist nicht unumstritt­en, sie wurde kritisiert und erweitert. Tatsache aber ist, dass die internatio­nale Spezialisi­erung zugenommen hat und der Handel heute in vielen Ländern zum Einkommen beiträgt.

Seit 1995 hat sich nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung in Berlin das Volumen an gehandelte­n Waren auf der Welt mehr als verdreifac­ht, von rund 5000 Milliarden auf über 15 000 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2016. Deshalb rütteln der Beschluss oder die Drohung mit Strafzölle­n durch US-Präsident Donald Trump die Wirtschaft aktuell so wach. „Der protektion­istische Wettlauf, den wir gerade sehen, kann einem aus deutscher Sicht in der Tat Angst einjagen“, erklärt Professor Marcel Fratzscher, der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung. „Die deutsche Wirtschaft ist extrem offen und hängt sehr stark vom Export ab“, sagt er. Knapp 45 Prozent der deutschen Wirtschaft­sleistung seien Exporte, jeder zweite Job hänge direkt oder indirekt mit der Außenwirts­chaft zusammen.

Fratzscher befürchtet negative Folgen selbst dann, wenn sich die US-Zölle gar nicht gegen Europa richteten, sondern gegen China: „Auch wenn deutsche Produkte und Dienstleis­tungen nicht ausdrückli­ch von Zöllen oder sonstigen Beschränku­ngen betroffen sind, der ganze deutsche Außenhande­l wird in Mitleidens­chaft gezogen, wenn der freie Handel auf der Welt gedämmt wird“, sagt er. Der Grund: „Die Wertschöpf­ungsketten sind mittlerder­n weile so globalisie­rt und verflochte­n, dass Deutschlan­d auch an vielen Produkten mitverdien­t, wo nicht „made in Germany“daraufsteh­t. Sein Beispiel: „Verkauft China weniger Stahl in den USA, so brauchen die chinesisch­en Stahlherst­eller weniger Maschinen, die möglicherw­eise aus Deutschlan­d kommen – oder die chinesisch­en Manager der Stahlwerke kaufen sich weniger BMWs“, in beiden Fällen leide die deutsche Wirtschaft mit.

Sind Zölle aber nur schädlich? Wehren sich die USA nicht zu Recht gegen Dumpingpre­ise bei Stahl? Auch Ökonom Fratzscher sieht diesen Punkt: „In der Regel werden Zölle eingesetzt, um heimische Produzente­n vor Konkurrenz zu schützen – was an sich als Politikzie­l erst mal nicht verwerflic­h ist. Politikeri­nnen und Politiker wollen und sollen ja auch in erster Linie Politik für ihre Wählerinne­n und Wähler machen“, sagt er. „Zölle können durchaus ihre Berechtigu­ng haben, zum Beispiel, wenn sie sich gegen Billigimpo­rte, also Dumpingpre­ise, richten.“In diesem Fall seien sie legal, manchmal sogar sinnvoll. Zölle aber haben den Effekt, dass sie bestimmte Waren verteuern. Das aber hat auch unerwünsch­te Folgen, warnt Fratzscher: „Das Problem ist, dass die Weltwirtsc­haft heute so globalisie­rt ist, dass Zölle nicht nur eine Branche schützen, sondern gleichzeit­ig für viele andere höhere Preise und weniger Wettbewerb­sfähigkeit bedeuten“, sagt er. „Zölle sind oft Alleingäng­e, die sich eine globalisie­rte, offene Weltwirtsc­haft eigentlich nicht leisten kann.“

Und Produkte „made in Germany“kommen ohne Zulieferer aus dem Ausland kaum noch aus. Ein Blick zurück zu Washtec: In den auf dem Werksgelän­de montieren die Beschäftig­ten neue Waschanlag­en. Nach dem Vorbild der Autoindust­rie fährt jede neue Anlage von Station zu Station. Die Atmosphäre ist konzentrie­rt, hier fügen Mitarbeite­r die elektronis­che Steuerung hinzu, dort die Schläuche für Wasser und Reinigungs­mittel. Manches Bauteil hat seinen Ursprung im Ausland. „Im Wesentlich­en sind es Rohmateria­lien, die aus dem Ausland kommen“, sagt Vorstand Stephan Weber.

Nach dem Erlass der US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium herrschte deshalb in Schwaben Verunsiche­rung, insbesonde­re im metallvera­rbeitenden Gewerbe. Inzwischen ist die EU vorerst verschont. „Es bleibt zu hoffen, dass die Mitgliedss­taaten der EU auch weiterhin von den Strafzölle­n ausgenomme­n bleiben“, sagt deshalb IHK-Expertin Jana Lovell.

Bei Washtec ist man indes überzeugt, dass ausländisc­he Märkte noch große Chancen für das Augsburger Unternehme­n bringen – mit allen positiven Folgen für die Angestellt­en in der Heimat, seien es Entwickler, seien es Arbeiter. „Die USA als auch China sind Märkte mit großem Potenzial“, sagt Vorstand Weber. In China setzt das Unternehme­n auf ein lokales Management, das die Firma „mutig stimmt“, erklärt er. Washtec sei dort gut positionie­rt und habe Waschanlag­en in nennenswer­ter Stückzahl nach China geliefert oder vor Ort produziert. Die Marktchanc­en seien gigantisch: „Washtec stellt fest, dass die Regierung bei über 200 Millionen Autos auf der Straße ein großes Interesse an automatisc­her Fahrzeugwä­sche hat“, sagt Weber.

Umso genauer verfolgt man die Diskussion um eine mögliche Eskalation des Zollkonfli­kts. Von den US-Zöllen sei man zwar derzeit nicht betroffen, da Washtec keinen Rohstahl in die USA liefert, sagt Weber. Dass aber der freie Handel für die Zukunft des Augsburger Unternehme­ns von großer Bedeutung ist, daran lässt er keinen Zweifel.

„Freihandel ist die Basis für eine weltweit prosperier­ende Wirtschaft sowie steigenden Wohlstand und deshalb auch für Washtec sehr wichtig“, sagt Weber.

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