Vom Pazifik an den Baggersee
Sieben junge Leute aus Papua-Neuguinea haben einen Monat lang Neu-Ulm und die Region besucht. Wie es dazu kam und was sie bei uns sonst alles erlebt haben
„Papua New Guinea“ist ein Song der Ambient-ElectronicBand The Future Sound of London – und die Heimat von Lila und Dominique. Eine Insel, gelegen nordöstlich von Australien. Wer über die Insel fliegt, erblickt vor allem ein 200 Kilometer breites, verästeltes Gebirge, das von steilen Tälern und wenig zugänglichen Ebenen geprägt ist. Wie eine gefräßige Schlange, die fett und schön auf der Insel ruht.
Um 6 Uhr steht die 19-jährige Lila auf. Jeden Morgen, weil das ganze Dorf jeden Morgen um 6 Uhr aufsteht. Denn in Papua-Neuguinea geht die Sonne nun Mal um 6 Uhr auf und steht sofort hoch am Himmel, wärmt die in der Trockenzeit staubige Erde rasch auf 30 Grad. In ihrer Hütte, in der sie mit ihren Eltern und der Schwester zusammen in einem großen Raum lebt, zieht sich Lila dann an, packt ihre Tasche und macht sich auf den Weg zur Schule. Zwei Stunden braucht sie dorthin. „Das ist nicht so lange. Andere Kinder müssen noch viel weiter gehen“, sagt sie. Den täglichen Fußmarsch nimmt Lila gerne auf sich, sie will einmal als Englischlehrerin unterrichten. Am Samstag, sagt Lila, habe sie frei. Da helfe sie der Familie auf dem Feld.
Nur ein paar Häuser weiter, zur gleichen Zeit verlässt Dominique seine Wohnung. Er geht in seinen Garten, den er hinter seiner Hütte angelegt hat, um dort Süßkartoffeln und Bohnen anzupflanzen. Er erntet sein Frühstück. Dann geht er zu seinen vier Schweinen und füttert erst einmal die. Dominique ist 28 und noch immer nicht verheiratet. Ungewöhnlich für einen Mann aus Papua-Neuguinea, aber er möchte das so. Den Brautpreis und die Verpflichtungen, die mit einer Ehe einhergehen, kann er sich nicht leisten. Aus der Sicht seiner Nachbarn führt Dominique das Leben eines Bohemiens. Er baut Trompeten und arbeitet für den Posaunenchor seiner evangelischen Kirchengemeinde, wofür er kein Geld bekommt. Er ernährt sich von dem, was in seinem Garten wächst. „Ich will ein Leben als Musiker führen“, sagt Dominique.
Was Lila und Dominique außer ihres Heimatorts verbindet? Zusammen mit fünf weiteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind sie kürzlich knapp 30 Stunden von Papua-Neuguinea nach Deutschland geflogen. Vier Wochen besuchen sie unsere Region und das evangelischlutherische Dekanat Neu-Ulm. Sechs Jahre hatte Ute Kling, die Leiterin der evangelischen Jugend auf diesen Besuch von der anderen Seite der Welt hingearbeitet: Die Reiseteilnehmer wurden ausgewählt, brauchte es finanzielle Zuschüsse und Reisepässe und das Dekanat hatte allerlei Behördenkram zu erledigen. Die Partnerschaft zwischen der evangelischen Gemeinschaft Asaroka in Papua-Neuguinea und der hiesigen besteht seit gut 30 Jahren. In dieser Zeit kam es regelmäßig zu Begegnungen: Mal sind Gemeindemitglieder auf die Insel geflogen, mal kamen die Inselbewohner nach Neu-Ulm. Irgendwann hatte jemand die Idee, dass es auch zwischen den Jugendlichen zum Austausch kommen sollte. 2016 flog daraufhin eine deutsche Jugenddelegation nach Papua-Neuguinea und lud die Jugendlichen vor Ort ins Schwabenland ein.
Und dann war da der Schnee. Das Erste, was Lila und Dominique von Deutschland wahrnehmen. Ute Kling holt die Gäste vom Flughafen ab. Links und rechts gehen deren Blicke, als sie die Autobahn entlangfahren. Dann hält die Gruppe an einem Rastplatz. Lila zieht sich die Schuhe aus und läuft barfuß und laut auflachend in einen Schneehaufen am Straßenrand. Nie zuvor hatte sie diese weiße Kälte auf ihrer Haut gespürt. „Ich musste einfach wissen, wie sich das anfühlt. Ich kannte Schnee nur von Bildern“, erzählt Lila später und lächelt, wobei sich ihre für Papua-Neuguineaner typische flache Nase kräuselt.
Im Dekanat in Neu-Ulm angedann kommen, verteilen Ute Kling und ihre Helfer an jeden dicke Jacken. Den deutschen Winter sind die Gäste von der anderen Seite der Welt nicht gewöhnt.
In den darauf folgenden Wochen tauchen Dominique und die anderen weiter in die fremde Welt ein: Sie gehen durch Türen, die sich von alleine öffnen, erfahren, dass das ihnen geläufige Motto „Time doesn’t matter“– Zeit spielt keine Rolle, in Deutschland eher nicht gilt und lernen, wie man schwäbische Maultaschen zubereitet. Sie besuchten die Gedenkstätten Martin Luthers in Wittenberg und in der Wartburg, feierten gemeinsam mit den Deutschen Ostern und lernten einen schwäbischen Bauernhof kennen. Sie kosten deutschen Salat, den sie eklig finden und Äpfel, die ihnen umso besser schmecken.
Was Dominique am Ende seines Aufenthalts von Deutschland hält? „Klima, Sprache, Technologie sind ganz anders als bei uns, aber uns verbindet der Glaube“, sagt er. Ihm gefalle das Moderne hier, die schönen Häuser, der hohe Lebensstandard. „Wir dagegen schlafen in einem Raum und machen in der Mitte unserer Häuser Feuer.“Und Lila fügt an: „Zu Hause erwartet uns jetzt wieder die harte Arbeit auf dem Feld.“Ob sie Papua-Neuguinea nicht vermissen? Doch natürlich, sagen beide. Heimat bleibt Heimat.