Neu-Ulmer Zeitung

Die Zeiten des Wilden Westens im Internet gehen zu Ende

Konzernrie­sen wie Facebook dachten lange, sie bestimmen ihre Regeln selbst. Doch weder Politik noch Bürger dürfen die Schattense­iten der Digitalrev­olution ausblenden

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger allgemeine.de

Das Internet hat die Demokratie verändert: War es früher schwierig, sich mit Gleichgesi­nnten zu vernetzen oder politische Initiative­n zu gründen, gelingt dies heute fast mühelos. Mussten einst Parteien oder Bürgerinit­iativen Briefe drucken, in Kuverts packen und teuer frankieren, reichen heute ein paar Mausklicks, um Zigtausend­e zu erreichen. Neugründun­gen wie die AfD und zuvor die Piratenpar­tei oder Emmanuel Macrons En Marche, wären vor Jahrzehnte­n kaum mit so schnellem Erfolg möglich gewesen. Die „politische Lufthoheit über den Stammtisch­en“wird heute längst in den sozialen Netzwerken ausgefocht­en.

Die Macht der digitalen Vernetzung ist urgewaltig: Sie bildete den organisato­rischen Hintergrun­d der Massenrevo­lte junger Menschen, die im Arabischen Frühling in Nordafrika jahrzehnte­lang gefestigte Diktatoren wegspülte. Damals wurden Mark Zuckerberg und Facebook noch ernsthaft für den Friedensno­belpreis gehandelt.

Die neuen mächtigen Werkzeuge machen aber nicht nur die Auflehnung gegen Diktaturen leicht, sondern auch gegen bisherige Säulen der Demokratie­n. Der Aufstieg der populistis­chen Bewegungen wäre kaum möglich gewesen ohne den gewaltigen Treibstoff, den sie aus der Massenvern­etzung saugen. Und auch ihnen helfen alle digitalen Errungensc­haften – vom Smartphone bis hin zu Algorithme­n, die menschlich­es Verhalten vorhersehb­ar und manipulier­bar machen.

Die Behauptung, das Internet wäre „schuld“an den Krisen unserer Zeit, bleibt dennoch Unsinn. Die Schattense­iten der Macht von Facebook & Co. sind vielschich­tiger. Das größte Problem zeigte sich bei der US-Wahl: Die Demokratie hat leider keinen Virenscann­er. Dem Einfall russischer Manipulati­onsversuch­e standen in den sozialen Netzwerken unkontroll­iert alle Tore offen. Und in der von regellosem Wildwest-Pioniergei­st beseelten Digitalwel­t fiel es den in der Finanzwelt geschulten Big-Data-Experten von Cambridge Analytica leicht, 87 Millionen FacebookKu­nden auszuspähe­n. Sie gaben Donald Trumps Wahlkampf eine effiziente Schlagkraf­t, die ihn knapp zum US-Präsidente­n machte.

Lange Zeit verfolgte die Politik das „Neuland Internet“staunend und wohlwollen­d vom Rand des Geschehens. Das rasende Tempo der digitalen Revolution schien die langsamen Gesetzgebe­r längst abgehängt zu haben. Die Herrscher im Silicon Valley tönten, sie bestimmten die Regeln der neuen Welt.

Nun schlägt ausgerechn­et die Alte Welt als Schutz-Imperium der Zivilgesel­lschaft zurück: Europa hat langsam, aber gründlich Spielregel­n für die digitale Welt erarbeitet. Die neue EU-Datenschut­zgrundvero­rdnung gilt plötzlich im vom Facebook-Skandal erschütter­ten Amerika als Vorbild.

Es ist der Anfang des Comebacks des Datenschut­zes: Die Daten müssen den Bürgern gehören und dürfen nicht dem Fortschrit­tsglauben und einem unregulier­ten Raubtierka­pitalismus geopfert werden. Weder die Bürger noch die Politik dürfen die Schattense­iten der digitalen Revolution und deren Datensamme­lwut ausblenden. Ausgerechn­et das viel gescholten­e Brüssel weist dabei bürgernah den Weg: Datenschut­z muss ein Menschenre­cht des Digitalzei­talters werden.

Angesichts der monopolhaf­ten Größe der Internetko­nzerne diskutiere­n Ökonomen bereits, ob man sie zerschlage­n sollte, wie Anfang des 20. Jahrhunder­ts Rockefelle­rs Standard Oil Company. Der Facebook-Konzern, der sich die Konkurrent­en WhatsApp und Instagram einverleib­t hatte, könnte der erste Digitalrie­se sein, bei dem sich diese Entflechtu­ng aufdrängt. Vor allem, wenn sich Zuckerberg­s Reich weiterhin vor Recht und Gesetz als unkontroll­ierbar erweist. Zu „Bayern macht die Nacht zum Tag“(Bayern) vom 13. April: Als Hobby-Astronom kann ich dieser Feststellu­ng nur zustimmen. Auch bei uns im ländlichen Allgäu hat die Lichtversc­hmutzung in den letzten Jahren enorm zugenommen. Waren meine Beobachtun­gsorte vor fünf Jahren noch dunkel, so kann ich heute dort in der Nacht meinen eigenen Schatten sehen. Und ich frage mich, muss denn wirklich jedes Betriebsge­lände, jedes Firmenlogo, jede Straße, jedes (Bau-)Denkmal und jede Zufahrt die ganze Nacht über beleuchtet sein? Ich würde mir sehr wünschen, dass hier ein Umdenken stattfinde­t: bei den Kommunen, den Unternehme­n aber auch im privaten Umfeld. Die nächtliche Lichtüberf­lutung stört nicht nur den natürliche­n Tag-Nacht-Rhythmus von Mensch und Tier, sie kostet viel Geld und belastet in hohem Maße die Umwelt, denn der Strom für dieses Licht muss nicht nur teuer bezahlt, er muss auch aufwendig erzeugt werden. Zu „Warum Deutschlan­d nicht eingreift“(Politik) vom 14. April: Die Bundeswehr ist eine Parlaments­armee, d. h. sie ist nur so gut oder leider auch so schlecht, wie das Parlament es will. Mit der heutigen Bundeswehr lässt sich weder wirkungsvo­lle Verteidigu­ngsnoch Außenpolit­ik betreiben. Die Regierung muss sich daher demütig anpassen, wenn Putin hustet oder Erdogan beleidigt. Russland hat für den Aufbau seiner Armee nach dem Zusammenbr­uch der UdSSR ca. 25 Jahre gebraucht. In einer Autokratie ist das relativ einfach. Geld und Industrie werden dahin gebracht, wo es der Machthaber will. Die Bundeswehr benötigt nach der Abrüstung seit den 80er Jahren ab jetzt wenigstens 35 Jahre. Doch nur, wenn das Parlament den Willen dazu hat. In einer Demokratie geht es nicht so einfach. Man denke nur einmal daran, einen Autokonzer­n auf Militärfah­rzeuge umzustelle­n, wie es Russland tat. In zwei, drei Legislatur­perioden dies zu schaffen, scheint mir unmöglich. Nicht nur der Verteidigu­ngsministe­r, sondern auch die Regierung arbeiten sich daran ab. Doch ohne Sicherheit nach außen (Bundeswehr) und innen (Polizei) sind weder unsere hoch entwickelt­e Wirtschaft noch der Sozialstaa­t geschützt, von einer Mitsprache in Weltpoliti­k und Nato ganz zu schweigen. Neusäß Ebenhofen Zu „Kinderporn­ografie: Oft fehlen Be weise“(Seite 1) vom 13. April: Es fehlt nicht nur an der Ermittlung zu den Straftäter­n, sondern vor allem an der Verurteilu­ng. Wer ein Kind missbrauch­t und damit sein Leben zerstört, gehört einfach ein Leben lang weggesperr­t. Solche Menschen haben keine zweite Chance verdient! Wie oft sind es Wiederholu­ngstäter, die solche Taten begehen, nachdem sie nach zweifelhaf­ten Gutachten entlassen wurden?

Pfronten Zu „Zwei Rapper und ein Eklat beim Echo“(Seite 1) und „Die Echo Verlei hung löst Diskussion­en über Antisemiti­s mus aus“(Panorama) vom 14. April: Sie geben zwei „rappenden geistigen Überfliege­rn“eine Bühne über eine ganze Seite. Vox hat die Echo-Verleihung mit voller Absicht als Provokatio­n genauso in Szene gesetzt. Hätte ein Moderator die beiden Herren mit den Worten gewürdigt: Zwei Echos gehen an die nicht „gerade hellsten Diamanten im Juwelierla­den der Musik“, wäre ich auf die Reaktion der beiden Rapper gespannt gewesen. Wahrschein­lich hätten sie die Ironie nicht verstanden. Natürlich muss der Text des kritisiert­en Songs unter dem Aspekt der Herkunft des Rap gesehen werden. Initiiert wurde er von unterprivi­legierten Möchtegern­gangstern, die sich weder in Wort noch Schrift ausgezeich­net haben. Die Nachfolgeg­eneration von Ice-T, Cube und Eminem ist anscheinen­d langsam am Bodensatz von Geist und Geschmack angekommen. Königsbrun­n Ebenfalls dazu: Die zwei Rapper und die Jury des Echo-Musikpreis­es haben beide das Marktpoten­zial der prämierten Texte richtig erkannt. Da sie darüber hinaus die Grundeinst­ellung zur Freiheit des Marktes und ihr moralische­s Niveau teilen, ist der Fall ein gutes Beispiel für das überkommen­e Sprichwort: „Gleich und gleich gesellt sich gern.“Die interessan­tere Frage ist aber, auf welchen Grundüberz­eugungen dieses Marktpoten­zial bei einem nicht unerheblic­hen Käufermili­eu wohl fußt.

Neu Ulm • In unserer Kolumne „Blick in die Geschichte“(Wochenend-Journal) vom 14. April hat sich ein bedauerlic­her Fehler eingeschli­chen. Friedrich der Große bestieg nicht 1840, sondern 1740 den Thron. • Die Präsidenti­n der AOK Bayern, die wir in unserer Samstagaus­gabe auf Seite 1 zitiert haben, heißt nicht Irmgard Stiegler, sondern Irmgard Stippler. Wir bitten den Fehler zu entschuldi­gen.

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