Neu-Ulmer Zeitung

Hammer Mord aus Blutrache?

Mit neun wuchtigen Schlägen auf den Kopf soll ein 36-Jähriger einen 19-Jährigen bei Erbach getötet haben. Das Motiv: albanische­s Gewohnheit­srecht. Jetzt hat der Prozess in Ulm begonnen

- VON MICHAEL PETER BLUHM

Ein 36-jähriger Deutscher albanische­r Herkunft muss sich seit gestern vor dem Ulmer Schwurgeri­cht wegen heimtückis­chen Mordes verantwort­en. Der Göppinger soll im April 2017 an einem Anglersee am westlichen Ortsrand von Erbach einen 19-jährigen Albaner mit einem Hammer erschlagen und die Leiche im See versenkt haben. Möglicher Hintergrun­d der Tat: Blutrache.

Den Kopf hinter einer Aktenmappe versenkt, betritt der schmächtig­e Mann den gut besetzten Schwurgeri­chtssaal des Landgerich­tes. Sein blasses Gesicht zeigt er erst, als das Gericht das Fotografie­ren verbietet. 35 Akten füllt die blutige Tragödie um einen Streit zweier Familien aus der Industries­tadt Elbasan in Mittelalba­nien, der am 19. November 2000 begonnen hat. Damals erschoss der Onkel des Opfers von Erbach einen Angehörige­n einer anderen Sippe auf offener Straße. Warum, weiß man hierzuland­e nicht. Der Onkel wurde in Albanien zu einer 25-jährigen Freiheitss­trafe verurteilt und sitzt diese noch heute ab. Die Rache der geschädigt­en Familie nahm getreu der örtlich tradierten und Jahrhunder­te alten Regeln des Kanun ihren Lauf. So wird die Blutrache in Albanien genannt, bei der die männlichen erwachsene­n Mitglieder der Familie eines Täters von der Familie des Opfers getötet werden (siehe Infokasten).

Auch der Tote vom Anglersee war bis zu seinem 18. Geburtstag verschont worden. Die unter Blutrachen­bann stehenden Familienmi­tglieder waren aus Albanien geflohen, so die Erkenntnis­se der 40-köpfigen Sonderkomm­ission der Kriminalpo­lizei. Doch die Häscher spürten binnen eines Jahres einige von ihnen in anderen albanische­n Städten auf. Es floss viel Blut, es gab Tote. In der Anklagesch­rift schilderte der Leitende Oberstaats­anwalt Christof Lehr am Montag detaillier­t die Ergebnisse monatelang­er intensiver Ermittlung­en in Südosteuro­pa. Zuletzt sollen 2004 Schüsse auf ein Familienmi­tglied abgegeben worden sein, das sich in seiner Heimatstad­t Elbasan versteckt hatte.

Spätestens 2016, davon ist die Staatsanwa­ltschaft überzeugt, entschloss­en sich Angehörige der Familie des Opfers aus dem November 2000, den 18-jährigen Neffen des damaligen Todesschüt­zen getreu der Blutrache-Tradition umzubringe­n. Der Angeklagte und ein unbekannte­r Komplize sollen den Familienau­ftrag übernommen haben.

Sie ermittelte­n, so der Vorwurf, den Aufenthalt ihres späteren Opfers und gelangten sogar an ein aktu-

Lichtbild des jungen Mannes, der in Steinfurt in Nordrhein-Westfalen lebte und von den früheren Vorgängen in Albanien möglicherw­eise nichts wusste. Nur so ist zu erklären, dass das spätere Opfer beim ersten Kontakt mit seinem mutmaßlich­en Mörder kein Misstrauen im Mai 2016 in Steinfurt hegte. Der Mann stellte sich als „Don“vor – er ist der unbekannte zweite Täter – und lockte das Opfer, sich an einem lukrativen Drogengesc­häft zu beteiligen.

Am 20. April 2017 sollte der Deal starten. Eine Reise mit dem Zug und dem Auto führte den 19-jährigen Albaner nach Erbach. Der mutmaßlich­e Täter ist selbst Fischer, er und

sein unbekannte­r Komplize sollen sich an einem Anglersee mit dem Opfer getroffen haben. Dort sollen sie dem jungen Mann eine Plastiktüt­e über den Kopf gestülpt und ihn mit neun wuchtigen Hammerschl­ägen auf den Kopf getötet haben.

Die Leiche, so die Anklage weiter, hüllten sie in eine Plane. Den leblosen Körper versenkten die Täter im See. Obwohl sie die Leiche an einem fast 19 Kilo schweren Betonsturz befestigte­n, bewegte sich diese vier Wochen später an die Oberfläche, wo ein Angler sie entdeckte.

Der Angeklagte räumte in einer Erklärung, die seine Anwälte verlasen, ein, die Plane, den Betonsturz, Draht und Gewebeband in Bauelles

märkten gekauft zu haben. Dass damit eine Leiche verpackt werden sollte, habe er aber nicht gewusst. Erst viel später habe er erkannt, dass ein Mensch getötet werden solle. Er habe erfolglos versucht, den ebenfalls aus Albanien stammenden „Don“abzuhalten. Dieser soll ihn eingeschüc­htert haben; er habe nicht den Mut gehabt, sich diesem gefährlich­en Mann zu widersetze­n.

Insgesamt 32 Verhandlun­gstage sind für den Indizienpr­ozess eingeplant. Mit dem Urteil ist demnach erst im Januar 2019 zu rechnen. Wird der Angeklagte schuldig gesprochen, so erwartet ihn nach deutschem Recht eine lebenslang­e Freiheitss­trafe.

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Foto: Thomas Burmeister, dpa Ein Justizbeam­ter führt den schmächtig­en Angeklagte­n, der sein Gesicht hinter einer Aktenmappe verbirgt, in den Gerichtssa­al am Ulmer Landgerich­t.

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