Leitartikel
Die Sozialdemokraten wollen einen Neuanfang versuchen, mal wieder. Dafür braucht es aber nicht einfach frisches Personal, sondern eine große Erzählung
Der US-Soziologe Richard Putnam hat vor einigen Jahren ein Buch mit dem Titel „Bowling Alone“geschrieben. Dem Harvard-Professor war aufgefallen, wie viele seiner Landsleute den Volkssport Bowling nicht mehr im Verein ausübten, sondern allein. Putnam sammelte Daten, er analysierte die Lebenswelt ganz gewöhnlicher Amerikaner – heraus kam die Vermessung einer Vereinzelung. Die „social fabric“, wie es die Amerikaner nennen, hatte sich durchgescheuert – jenes Band des Miteinanders, das den Einzelnen weniger alleine lässt.
Andrea Nahles kann mit Putnams These wohl wenig anfangen. Die Rheinländerin, die sich am Sonntag zur stärksten Frau der SPD küren lassen will, hat ihr Leben bei den Juso verbracht, in der Pfarrgemeinde, im Karnevalsverein, für den sie immer noch jedes Jahr an Weiberfastnacht Schnaps ausschenkt. Sie ist sozusagen der lebende Gegenentwurf zu Putnam und seinen einsamen Bowlern, zumal sie die SPD seit bereits drei Jahrzehnten als ihre große Familie ansieht.
Nur: Wie sehr die Politik heute Patchwork-Familien ähnelt, hat Nahles offenbar nicht begriffen. Sie rackert unermüdlich, um möglichst viele wieder zum Mitspielen zu bewegen – und glaubt fest, dass dies schon bei der nächsten Wahl eine Mehrheit bei der SPD tun will. Das zuletzt magere Abschneiden schiebt sie dem Spiel unter falschem Kapitän zu, erst Sigmar Gabriel, dann Martin Schulz.
Doch ihr Neuanfang wirkt, als rutsche sie auf glatten Absätzen über Bowlingparkett. Gewiss, die SPD hat wenig ausgelassen, um sich selbst zu schwächen. Sie hat Vorsitzende verschlissen, eigene Erfolge konsequent kleingeredet und den Gegner stark, sie hat Wahlkämpfe so unprofessionell geführt, dass sich darüber von Journalisten buchstäblich Bücher schreiben ließen.
Nur: Das alles taten die Genossen ja nicht nur aus Lust am Untergang, sondern aus struktureller Not. Denn ihre Krise ist viel existenzieller als die der Union. Traditionelle Milieus, die früher die Sozialdemokratie stark gemacht haben, lösen sich auf – Gewerkschaften, Vereine, auch die Kirchen, deren Gläubige ja keineswegs alle die Union gewählt haben. So wie Menschen sich heute nicht mehr um das Lagerfeuer einer TV-Sendung versammeln, sondern Häppchen von Netflix zubereiten lassen, zittert jeder Wähler für sich vor dem sozialen Abstieg. Unter diesem Individualisierungs-Trend leiden auch die Genossen in anderen Ländern.
In Deutschland kam erschwerend Angela Merkel hinzu. Die Kanzlerin hat durch ihren Linkskurs zwar ihre Partei geschwächt. Die Union ist jedoch weiterhin stärkste politische Kraft. Noch mehr aber schwächte Merkel die SPD – die nun zudem die CSU fürchten muss, die sich als Kümmererpartei geriert. Eine „Große Koalition für die kleinen Leute“hat Horst Seehofer versprochen, kein Sozialdemokrat.
Wo bleibt dann Platz für die SPD? Nahles, politisch viel gewinnender als ihr öffentliches Image vermuten lässt, dürfte es eher links versuchen. Ihr Vertrauter Olaf Scholz, der ebenfalls aufs Kanzleramt schielt, wird hingegen als Finanzminister oft rechts blinken – und beweisen wollen, dass Sozis auch mit Geld umgehen können.
Nur sind linke und rechte Flügel entleerte Kategorien, genau wie das Wort „Gerechtigkeit“, das Kanzlerkandidat Schulz wie ein Mantra vor sich hertrug.
Die Sozialdemokraten brauchen eine ganz neue Erzählung – die durchaus erzählbar wäre in einer Zeit, da politische Stärke gegenüber entfesselten sozialen Netzwerken und Konzernen nötiger denn je erscheint.
Aber ob Vereinsmeierin Andrea Nahles da mitspielt? Ebenfalls dazu: Für mich ist die Berichterstattung über die aktuellen Bombardierungen in Syrien schon etwas verwirrend. Auf der ganzen Welt lacht man über Donald Trump und macht ihn verächtlich. Es gibt nur eine Sache, für die er Lob erhält: Bomben werfen! Besteht darin unsere so oft beschworene christlichabendländische Wertegemeinschaft? Neuburg Zu „Angriff auf Syrien verschärft Konflikt mit Russland“(Seite 1) vom 16. April: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht mir aus dem Herzen. Wir dürfen Russland nicht zum Feind erklären, auch nicht nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim und der militärischen Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine sowie des Assad-Regimes durch Russland etc. Leider haben auch wir Fehler gemacht im Zusammenhang mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits. Die Folgen waren die Aussetzung des EUUkraine-Assoziierungsabkommens von der ukrainischen Regierung unter Präsident Wiktor Janukowitsch, die Maidan-Proteste usw...
Welden Zu „Sparen Krankenkassen bei den Alten?“(Seite 1) vom 14. April: Was für eine Headline! Ist es denn zu viel verlangt, von „alten Menschen“zu sprechen? Ich finde, Ihre Überschrift ist respektlos.
Oberreute Zu „Das Ende des Schreckens“(Bayern) vom 17. April: In der Aufzählung der im KZ Dachau von den Nazis gefolterten und getöteten Opfer fehlt eine Gruppe: die der katholischen Geistlichen. Wer dazu authentische Informationen möchte, dem sei das erschütternde Buch von P. Sales Hess empfohlen: „KZ Dachau – Eine Welt ohne Gott“. Es sind Erinnerungen an seine vierjährige Gefangenschaft in Dachau, geschrieben nur wenige Monate nach seiner Entlassung.
Bobingen Zu „Es geht auch ohne Plastik“(Geld & Leben) vom 18. April: Nicht wir Verbraucher produzieren diesen Plastikmüll, sondern die Industrie. Für diese ist die Nutzung von Plastik einfach billiger und einfacher. Wir konsumieren diesen Müll, weil es auch für uns einfacher und bequemer ist. Dass es auch anders geht, beweist die Familie Mommsen. Reduziert die Menge von 6 auf 2 Müllsäcke. Respekt! Aber wieso Müllsäcke? Und was passiert mit diesen? Werden diese gereinigt und wieder benutzt? Oder zusammen mit dem Müll verbrannt?
Aber wahrscheinlich ist es wieder mal ganz einfach viel bequemer und billiger. Für die Industrie.
Augsburg