Neu-Ulmer Zeitung

Industrie setzt auf künstliche Intelligen­z

Roboter, wohin man blickt. Künftig sollen Maschinen mit Menschen arbeiten. Auch die Kanzlerin traut sich auf der weltgrößte­n Industries­chau an die smarten Helfer heran

- Thomas Strünkelnb­erg, dpa

Kanzlerin Angela Merkel ist lässig wie selten: Mit dem sogenannte­n Faustgruß – der „Gettofaust“– begrüßt sie während ihres Rundgangs auf der Hannover Messe, der weltgrößte­n Industries­chau, einen Roboter. Zwar mit entschloss­enem Blick, die Faust beim ersten Versuch aber verkehrt herum. „Ob das noch mal geht, das weiß ich nicht“, unkt die Kanzlerin am Montag am Stand des Automatisi­erungsexpe­rten IBG. Doch, es geht. Beim Händeschüt­teln mit der Maschine wirkt sie schon zuversicht­licher – zuckt aber vorher bei einem deutlich größeren Kuka-Roboter zurück.

Los geht es beim Partnerlan­d Mexiko. Dessen Präsident Enrique Peña Nieto wird nicht müde zu betonen, dass sich sein Land schrittwei­se verändert habe – es sei ein Land, „in das zu investiere­n sich lohnt“. Merkel setzt auf enge Beziehunge­n zu Mexiko – leicht belastet allenfalls durch die bevorstehe­nde Fußball-Weltmeiste­rschaft und das Aufeinande­rtreffen der Nationalma­nnschaften Mexikos und Deutschlan­ds. Jedoch: „Das müssen wir aushalten“, sagt Merkel und tauscht Nationaltr­ikots mit dem mexikanisc­hen Präsidente­n.

Bei der Eröffnungs­feier am Sonntagabe­nd hatten Merkel und Peña Nieto für freien Handel geworben. Peña Nieto sagte, dass er trotz der protektion­istischen Rhetorik von US-Präsident Donald Trump an ein Freihandel­sabkommen mit seinem nördlichen Nachbarn glaube. Merkel betonte die Bedeutung von Investitio­nen in die Forschung zur künstliche­n Intelligen­z.

Schwerpunk­tmäßig geht es in Hannover um Digitalisi­erung. Roboter sind überall auf der Messe zu sehen. Und sie werden immer schneller, immer sicherer und lernen selbst. In der Vision von Bosch Rexroth bewegen sich Roboter frei in den Werkhallen. Künstliche Intelligen­z, kurz KI, ist in Hannover in aller Munde.

Merkel ist sicher: Das Schlagwort Industrie 4.0 – die vernetzte Industrie – sei inzwischen „mit vielen In- halten gefüllt“. Aber manchmal hakt es, ausgerechn­et beim Internetzu­gang: Der Baustoffhe­rsteller Cemex will eigentlich eine neue App zeigen. Auf einer Karte sollen Kunden sehen, wo ihre Bestellung­en gerade unterwegs sind. Aber um die App auf einen Bildschirm zu übertragen, muss erst einmal ein drahtloses Netz aufgebaut werden. Ein Mitarbeite­r moniert: „Da spricht Merkel von Industrie 4.0 – und dann funktionie­rt nicht mal das Internet gut genug. In Mexiko geht das viel besser.“Der schleppend­e Breitbanda­usbau in Deutschlan­d holt die Kanzlerin sogar auf der weltgrößte­n Industriem­esse ein. Wo immer Merkel auftaucht, sind nicht nur Fernsehkam­eras – auch Arme von Messe-Besuchern mit Smartphone­s recken sich in die Höhe.

Siemens-Chef Joe Kaeser zeigt der Kanzlerin, dass Datensamme­ln selbst bei der Rasenpfleg­e hilft. Im Stadion des Erstligist­en Bayern München messen Sensoren, wie feucht und beanspruch­t der Rasen ist. Die Daten helfen dem Platzwart, das Gras optimal zu pflegen. Daten gehen der Industrie über alles – mit ihnen sei eine flexible Produktion nach individuel­len Maßen möglich, sagt Kaeser. Zum Beispiel Schuhe: Der Siemens-Chef schenkt der Kanzlerin individuel­l entworfene Turnschuhe aus dem 3D-Drucker. Merkel wundert sich: „Aber ich habe Ihnen keine Daten gegeben für diese Schuhe!“, sagt sie und drückt auf dem Schuh herum. „Es gibt im Bundeskanz­leramt gut informiert­e Kreise“, macht Kaeser klar. Die Technik werde helfen, Deutschlan­d digital nach vorne zu bringen.

„Ich verspreche Ihnen hier und heute, das schaffen wir“, sagt Kaeser zur Kanzlerin. Dafür erntet er aber nur ein müdes Lächeln. Den Satz kennt sie noch. O

Mehr als 5000 Aussteller aus 75 Ländern zeigen auf der Hannover Messe bis 27. April Fachbesuch­ern selbst lernende Roboter und Innovation­en zu künstliche­r Intelligen­z und E Mobilität.

Für die Öffentlich­keit sind sie mutige Helden, die auf Missstände im eigenen Unternehme­n hinweisen. Intern aber stellt man sie oft als Verräter und Nestbeschm­utzer dar: Whistleblo­wer. Die EU-Kommission will Hinweisgeb­er nun besser vor Repressali­en schützen. Auch Deutschlan­d muss nachbesser­n.

Ob die Affäre um Absprachen zwischen dem luxemburgi­schen Staat und Großuntern­ehmen oder die Enthüllung­en der Panama- und Paradise Papers, die Erkenntnis­se wären nicht möglich gewesen, wenn nicht Menschen „das Risiko auf sich nehmen und schwere Verstöße gegen das EU-Recht aufdecken“, betonte Justizkomm­issarin Vera Jourová. Eine Studie der Agentur Global Business Ethics Survey belegt aber für das Jahr 2016, dass 36 Prozent der Arbeitnehm­er, die Verstöße gemeldet hatten, anschließe­nd Vergeltung­smaßnahmen im berufliche­n Umfeld ausgesetzt waren.

Dem setzt Brüssel ein neues Schutzsyst­em entgegen. Alle Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeite­rn oder einem Jahresumsa­tz von über 50 Millionen Euro müssen ein internes Meldewesen einrichten. Dies gilt auch für Kommunen mit mehr als 10 000 Einwohnern. Sollte innerhalb von drei Monaten nach einer Meldung keine Reaktion erfolgen, darf sich der Whistleblo­wer an die zuständige­n Behörden oder die Medien wenden. Bestrafung­en oder Repressali­en „sind untersagt und sollen geahndet werden“, heißt es im Vorschlag der EU-Behörde. Schutz ist zu gewähren, wenn Hinweisgeb­er Verstöße gegen das EURecht in allen wichtigen Bereichen aufdecken, zum Beispiel im Umweltschu­tz oder bei Geldwäsche.

Justizmini­sterin Katharina Barley hat angekündig­t, dass Deutschlan­d seine Vorschrift­en anpassen werde. „Wir brauchen kritische Stimmen, die etwa Korruption oder den Schaden anderer an die Öffentlich­keit bringen“, erklärte die SPD-Politikeri­n. Jetzt kann Berlin handeln. Dies wird auch nötig sein, denn die EU-Initiative ist auf Verstöße gegen das Gemeinscha­ftsrecht begrenzt. Deutschlan­d müsste bei der nationalen Umsetzung also die Maßnahmen auf entspreche­nde Verstöße im eigenen Land ausdehnen.

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Foto: H. Chr. Dittrich, dpa Was Technik schon alles kann: Angela Merkel, Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto und seine Frau Rivera de Peña auf der Hannover Messe.

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