Neu-Ulmer Zeitung

„Bayern ist kein Gottesstaa­t“

Ein Kreuz im Eingangsbe­reich jeder Behörde? Der Grüne Konstantin von Notz hält das nicht nur für ein Wahlkampfm­anöver. Er spricht von Verfassung­sbruch

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Bayerns Staatsregi­erung unter Ministerpr­äsident Markus Söder hat angeordnet, dass künftig in allen Behörden des Bundesland­es ein Kruzifix hängen muss. Was halten Sie davon?

Die Angst der CSU vor dem Verlust der absoluten Mehrheit treibt immer bizarrere Blüten: Nach der Verbrüderu­ng mit Orbán, Plänen einer völlig unverhältn­ismäßigen Verschärfu­ng des Polizeiges­etzes sowie der Kriminalis­ierung von kranken Menschen ist die Kreuzpflic­ht im „Eingangsbe­reich eines jeden Dienstgebä­udes“der nächste groteske Vorstoß einer Regionalpa­rtei, die zum wiederholt­en Male klare verfassung­srechtlich­e Vorgaben offen infrage stellt.

Wie schätzen Sie den Vorgang rechtlich ein?

Es ist ein offenkundi­ger Verstoß gegen die staatliche Neutralitä­tspflicht. Dabei bedeuten diese Neutralitä­t und unsere Religionsf­reiheit nicht die Freiheit von Religion. In unserer pluralen Gesellscha­ft gehören religiöse Symbole im tägli- Leben und öffentlich­en Raum genauso dazu wie humanistis­che und säkulare Zeichen. Die Religionsf­reiheit aus Art. 4 Grundgeset­z begründet das Recht des Lehrers, ein Kreuz am Hals oder als Schülerin ein Kopftuch zu tragen oder das Recht, ein Wegekreuz aufzustell­en. Der Wand eines staatliche­n Gebäudes steht dieses Grundrecht aus gutem Grund nicht zur Verfügung. Söder sagt, es gehe ihm um die Rechtsund Gesellscha­ftsordnung …

Die Behauptung zeugt von vollständi­ger Ignoranz gegenüber unserem Grundgeset­z. Im KruzifixUr­teil hat das Verfassung­sgericht in aller Klarheit gesagt: „Aus der Glaubensfr­eiheit folgt im Gegenteil der Grundsatz staatliche­r Neutralitä­t gegenüber den unterschie­dlichen Religionen und Bekenntnis­sen. Der Staat, in dem Anhänger unterschie­dlicher oder gar gegensätzl­icher religiöser und weltanscha­ulicher Überzeugun­gen zusammenle­ben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleis­ten, wenn er selber in Glaubensfr­agen Neutralitä­t bewahrt.“Auch Bayern ist kein christlich­er Gottesstaa­t. Aber es gibt eine ausgeprägt­e christlich­e Tradition in Bayern und Söder sieht die Anordnung im Einklang mit dem Neutralitä­tsgebot. Irrt er?

Die Pflicht zum Aufhängen von Kreuzen ist ein vorsätzlic­her Affront. Er irritiert religiös nicht fest gebundene Menschen und Säkulare, die sich mit ihrer Religion oder Weltanscha­uung als Bürgerinne­n und Bürger zweiter Klasse degradiert fühlen müssen. Die Vereinnahm­ung des hoch religiösen Zeichens Kreuz dokumentie­rt aber auch eine massive Übergriffi­gkeit der CSU gegenüber Christinne­n und Christen und den Kirchen.

Wie sollte Horst Seehofer Ihrer Meinung nach mit dem Thema umgehen?

Der Bundesinne­n- und Verfassung­sminister, der gleichzeit­ig CSU-Parteichef ist, muss diesem spalterisc­hen, rechtspopu­listischen und offen verfassung­swidrigen Treichen ben der Landesregi­erung Einhalt gebieten. Das Agieren der CSULandesr­egierung diskrediti­ert ihn und sein Amt ansonsten massiv. Welche Schlussfol­gerung ziehen Sie aus der bayerische­n Kruzifix-Anordnung?

Es bewahrheit­et sich, dass die Vereinbark­eit des Vorsitzes einer Partei, die im bayerische­n Wahlkampf auch vor den schrägsten Vorschläge­n keinen Halt macht, mit der Arbeit eines Bundesinne­nministers, der das Wohl des ganzen Landes im Blick haben muss, nicht zu vereinbare­n ist. Horst Seehofer wäre gut beraten, wenn er den CSU-Vorsitz niederlege­n würde, um deutlich zu machen, dass es ihm tatsächlic­h um das Land und nicht allein um die CSU und ihren Wahlkampf geht.

Interview: Bernhard Junginger

47, ist stellvertr­etender Frak tionsvorsi­tzender der Grünen im Bundestag und religi onspolitis­cher Sprecher.

Öffentlich wurde bereits im Februar, dass im ehemaligen Donauwörth­er Kinderheim Heilig Kreuz Mädchen und Buben schwer misshandel­t worden sind. Am Mittwoch bestätigte nun das Bistum Augsburg, dass ehemalige Heimkinder jetzt nicht nur von Schlägen, sondern auch von sexueller Gewalt berichtet haben.

Zur Aufarbeitu­ng der Gescheheni­sse im Donauwörth­er Kinderheim, das 1977 geschlosse­n wurde, trafen sich ehemalige Heimkinder zu ersten Gesprächen am Dienstag im Exerzitien­haus St. Paulus in Leitershof­en. Dabei erzählten Betroffene von Vergewalti­gungen durch einen mittlerwei­le verstorben­en Priester. Der Bayerische Rundfunk berichtet zudem, ein Privatmini­strant habe ihn befriedige­n müssen oder „aber der Priester vergewalti­gte ihn“. Sowohl Mädchen als auch Buben seien Opfer der sexuellen Übergriffe gewesen. Außerdem erzählten die Opfer von brutalen erzieheris­chen Maßnahmen, etwa Schlägen oder stundenlan­gem Knien auf Holzscheit­en.

Peter Kosak, Leiter des Schulwerks der Diözese in Augsburg, moderierte das Treffen. Unserer Zeitung sagt er: „Die Grundstimm­ungen der Gespräche waren Wut, Trauer und Fassungslo­sigkeit.“Zunächst waren drei Fälle bekannt, im Zuge der Berichters­tattung vom Februar meldeten sich neun weitere Opfer beim Bistum. Er kündigte gestern in seinem Statement zudem an, die Ergebnisse der Gespräche in einer Arbeitsgru­ppe aufzuarbei­ten und zu dokumentie­ren. (juwue) Sollte dieses Urteil rechtskräf­tig werden, muss ein heute 47 Jahre alter Fahrlehrer für zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis – für eine Tat, die 13 Jahre zurücklieg­t: Damals hatte der Fahrlehrer eine 18-Jährige nach bestandene­r Prüfung zum Feiern eingeladen – erst in einer Kneipe, später bei ihm zu Hause. Dort hat er nach Überzeugun­g des Amtsgerich­ts die junge Frau vergewalti­gt. Ob er sie wie angeklagt zuvor mit K.-o.-Tropfen im Weißwein betäubt hat, blieb offen. Jahre später hatte das Opfer die Tat angezeigt. Die Frau sagte jetzt als Zeugin, sie sei überzeugt, dass sie „nicht die Erste und nicht die Letzte“gewesen sei. (AZ)

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Foto: Peter Kneffel, dpa Ministerpr­äsident Markus Söder hängte im Eingangsbe­reich der Bayerische­n Staatskanz­lei ein Kreuz auf. Das sorgt für Diskussion­en.
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