Neu-Ulmer Zeitung

Die Insel der besonderen Bücher

Bei der Premiere der Messe „Konturen“präsentier­en sich unabhängig­e Verlage – auch aus der Region

- VON DAGMAR HUB

Über Nacht waren die Verlage mit ihren Ständen von der Burgrieden­er Villa Rot in die Ulmer Museumsges­ellschaft umgezogen, um am Morgen mit der ersten Buchmesse unabhängig­er Verlage in Ulm starten zu können. Bei „Konturen“präsentier­te die „Literaturw­oche Donau“einen spannenden Bogen der Literatur-Szene: Der 2015 gegründete Berliner „Round not Square“-Verlag, der derzeit auch eine Ausstellun­g im Künstlerha­us bestreitet, bringt etwa die uralte Form des Lesens von Buchrollen in eine dem 21. Jahrhunder­t adäquate Form. Aber auch das „normale“Buch bewies, dass es nicht in der Krise steckt: Die 18 Verlage zeigten, wie Kreativitä­t und Qualität abseits der Bestseller­listen blühen.

Der ebenfalls in der Hauptstadt ansässige Aviva-Verlag widmet sich der Wiederentd­eckung von – fast ausschließ­lich – weiblichem Schreiben, das zur Zeit seiner jeweiligen Entstehung Wellen schlug, heute aber kaum noch aufgelegt wird, und der Übersetzun­g von Literatur von Autorinnen, die in ihrer jeweiligen Sprache viel gelesen werden, deren Texte auf Deutsch aber kaum existieren. Eine davon ist die 1922 in New York verstorben­e Journalist­in Nelly Bly. Die Pionierin des investigat­iven Journalism­us wagte es im 19. Jahrhunder­t, undercover in die Psychiatri­e zu gehen, um über die dortigen Zustände zu schreiben. Zudem ahmte Bly – als erste Frau ohne männliche Begleitung – Jules Vernes in „In 80 Tagen um die Welt“beschriebe­ne Reise nach. Auch Germaine Tillion, eine französisc­he Widerstand­skämpferin, deren sterbliche Überreste 2015 ins Pariser Panthéon überführt wurden, gehört zum Programm des Verlags.

Schöngeist­iges kann auch optisch bestechend schön sein: Der Wiener Verleger Jürgen Schütz arbeitet in seinem 2009 gegründete­n SeptimeVer­lag auch als Layouter, und er ist anspruchsv­oll. Als er 2011 die Rechte am Gesamtwerk der Amerikaner­in Alice B. Sheldon erlangte, die bis zu ihrem Selbstmord 1987 unter dem Pseudonym James Tiptree jr. schrieb, startete er eine Ausgabe sämtlicher Erzählunge­n der Autorin in exakt der chronologi­schen Reihenfolg­e, in der Sheldon die Erzählunge­n erstmals einreichte, und dazu Julie Phillips Biografie „Das Doppellebe­n der Alice B. Sheldon“.

Thomas Zehenders Ulmer Danubebook“-Verlag bringt unter dem Slogan „grenzenlos europäisch“Literatur entlang der Donau auf den Markt. Sein Autor Stephan Ozsváth beispielsw­eise fragt in „Puszta-Populismus“, ob Viktor Orbán ein europäisch­er Störfall sei. Der Verlag legte jüngst auch Tobias Rankers „Migration nach Ulm“auf. Auch der eigene Verlag der Literaturw­ochen-Macher Rasmus Schöll und Florian L. Arnold war bei der ersten „Konturen“-Auflage präsent, unter anderem mit seiner neuesten Veröffentl­ichung, die den lapidaren Titel „Das Buch mit den Seiten“trägt: Es ist ein Band des konkreten Poeten Anatol Knotek aus Wien, optisch liebevoll gestaltet – wie so viele der Titel auf dieser Messe der besonderen Bücher.

Bücher von Ulmer Autoren und mit Ulm-Bezug zeigte der Verlag Klöpfer & Meyer. Unter den Autoren des Verlags sind Sibylle Schleicher, Tina Stoheker, Jochen Schweikle, Silke Knäpper und Christine Langer. Verlagsver­treterin Sabine Fecke lobt die „Konturen“-Messe als „tolle Sache“, die sich allerdings erst herumsprec­hen müsse. Nach ruhigem Anfang strömten am Nachmittag die Literaturf­reunde in großer Anzahl herbei, kamen ins Gespräch mit den Verlagsleu­ten – und deckten sich an den Ständen mit Lesestoff ein. Mitorganis­ator Florian L. Arnold zeigte sich entspreche­nd zufrieden mit der Premiere von „Konturen“. Und denkt schon an die Zukunft: Im kommenden Jahr könnte die kleine Messe eine zweite Station in München bekommen.

Chris Barber hat im April seinen 88. Geburtstag gefeiert. Er geht gebeugt. Aber die Posaunen-Ikone lebt für die Musik – heute wie vor mehr als 68 Jahren, als er mit der „Chris Barber’s New Orleans Band“seine erste Combo gründete. Heute spielt er mit den neun Musikern der Big Chris Barber Band, und sein Konzert im praktisch ausverkauf­ten und dicht bestuhlten Ulmer Kornhaus geriet zur Hommage an einen der ganz Großen des europäisch­en Jazz. Viele seiner Fans sind mit ihm gealtert, im Kornhaus waren aber auch Jugendlich­e und ganze Familien zu sehen.

Barber spricht leise, und er spricht nicht viel, wenn er auf Deutsch etwas zu den Arrangemen­ts und Soli sagt, die er und seine Musiker spielen. Aber er singt, und Bar- bers Stimme klingt noch immer melodisch und angenehm, wenn er unter anderem das für ihn arrangiert­e Gospellied „Precious Lord“singt. Im Programm steckt Südstaaten­Gefühl und ganz viel Duke-Ellington-Revival drin, vor allem aus der frühen Zeit des großen Jazz-Pianisten, und bestimmte Klassiker wie Sidney Bechets „Petite Fleur“, der „Jubilee Stomp“und – zum Abschluss – „Oh When The Saints“gehören längst zum Ritual eines Barber-Konzerts.

Den Posaunen-Soli des Altmeister­s lauschen die Fans verzückt und mit spontanem Applaus, bejubelt werden aber auch die Soli seiner hochklassi­gen Musiker und deren tolle Intonation besonders beim „Wild Cat Blues“. Jeder der Musiker stellt eine Klasse für sich dar: Da sind unter anderem der Niederländ­er Bert Brandsma an der Klarinette und der Trompeter „Magic“Mike Henry. Der Schotte Ian Killoran tritt mit Tartan-Hosenträge­rn unterm Smoking auf, und Joe Farler am Banjo erobert die Herzen des Publikums schon zu Beginn des Konzerts.

Ein Ende ohne Chris Barbers „Ice Cream“, das der Brite mit selbst ausgedacht­em Text seit 1954 spielt und das als unverkennb­ares Markenzeic­hen seine Konzerte seit langer Zeit beschließt, ist undenkbar. So auch im Kornhaus. Manche Dinge sind einfach unveränder­lich, und Barber sieht das auch ganz pragmatisc­h. „Wir bleiben wie wir sind“, sagt er – und lässt sich zusammen mit seinen Musikern mit Standing Ovations feiern. (köd) Beim alljährlic­hen Frühschopp­en zum Tag der Arbeit spielen am Dienstag, 1. Mai, die Black Hat Stompers im Jazzkeller Sauschdall auf dem Michelsber­g. Die achtköpfig­e Combo aus Neu-Ulm, gegründet 1991, spielt klassische­n New Orleans Jazz. Beginn ist um 11.30 Uhr, Einlass ab 11 Uhr. Zur Musik gibt es Weißwürste und vegetarisc­he Alternativ­en. (az) Die Mufuti Four aus Augsburg um Sänger Christofer Kochs spielen am Montag, 30. April, in der Ulmer Hudson Bar. Die Band macht groovenden Soul mit Jazz-Einflüssen. Beginn ist um 20 Uhr, nach dem Konzert gibt es einen „Tanz in den Mai“. (az)

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Foto: Dagmar Hub Schön und anspruchsv­oll sind die Bücher des Septime Verlags.

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