Neu-Ulmer Zeitung

Wiener Bäh

Die Prachtbaut­en in Österreich­s Hauptstadt kennt man ja. Aber die hässlichen Ecken, die Bausünden, die dunklen Seiten Wiens? Längst gibt es Fremdenfüh­rer, die Touristen auch dorthin bringen. Zum Missfallen der Stadt, die den Beruf streng reglementi­ert

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Jedes Jahr im April öffnen die Marillenba­uern in der Wachau ihre Gärten. Die Gäste sollen die rosaroten Knospen der 100000 Marillenbä­ume schließlic­h aus der Nähe bestaunen können. In diesen Wochen erobern die Radund Schiffstou­risten die malerische­n Donaustädt­e Krems und Stein, 75 Kilometer vor den Toren von Wien. Für Lisa Maria Koark ist diese Kundschaft manchmal gar nicht so einfach. Wie die Gruppe Vietnamese­n, die die Marillenbl­üte in der Wachau sehen wollte. „Der Bus kam mit einer Stunde Verspätung, 30 Gäste stürmten auf die Straße“, erzählt die Fremdenfüh­rerin. Nur einer davon verstand Englisch – und damit die Warnung vor dem Verkehr. „Wir mussten die Straße sperren. Dann sind sie auf die Marillenbä­ume geklettert und haben Äste und Zweige abgebroche­n.“Der Wachauer Touristens­ervice sah sich gezwungen einzuschre­iten. „Es war schrecklic­h,“erinnert sich Koark.

Seit einem Jahr arbeitet die junge Frau, die im Schwarzwal­d aufgewachs­en ist, als Fremdenfüh­rerin in der Wachau und in Wien. Und kann nach dieser kurzen Zeit schon skurrile Geschichte­n erzählen. Von kletternde­n Vietnamese­n, von marodieren­den Amerikaner­n, die sich nicht Hier, gegenüber der Hofburg, grenzte einst das Rotlichtvi­ertel an, im Café Griensteid­l verbrachte­n viele Künstler Ende des 19. Jahrhunder­ts ihre Tage und Nächte. „Die Prostituie­rten kamen damals ins Griensteid­l und trafen dort die Künstler“, erzählt Kindl. An diesem sonnigen Frühlingss­amstag hören ihr etwa 30 Personen zu, fast alles Österreich­er, auch einige Deutsche. Manche buchen dagegen die Führung „Servus Piefke“, bei der es um das etwas angespannt­e Verhältnis von Deutschen und Österreich­ern geht – zu Plätzen, an denen deutsche Herrschaft­shäuser eine Rolle spielen, dem Hohen Markt und der Ankeruhr zum Beispiel.

Lisa Maria Koark, die junge Frau, die die Gäste durch die Wachau führt, hat in Wien Kunstgesch­ichte studiert und sich danach bei Museen beworben. Als das nicht klappte, machte sie die Fremdenfüh­rerprüfung. „Man muss sich durchbeiße­n und sich bei den Agenturen einen Namen machen“, sagt sie. Sie bietet auch Fahrrad- und Segway-Touren an. „Die Teilnehmer wollen oft nicht viel über die Stadt wissen. Für manche ist das Fotografie­ren die Hauptsache.“

Einige ihrer Kollegen haben sich auf exklusive Touren für reiche Ausländer spezialisi­ert, mit denen sie durch ganz Österreich fahren.

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