Die Vietnamesen sind sogar auf die Bäume geklettert
von der fixen Idee abbringen ließen, das Benediktinerstift Melk stehe unter Kontrolle der Mafia. Ulrike Hohenwarter hat im Laufe der Jahre noch mehr Überraschungen erlebt. Schließlich führt die Kunsthistorikerin seit Jahrzehnten Gruppen durch das Unesco-Weltkulturerbe Wachau. Vor kurzem flatterte ihr ein Brief ins Haus, in dem der Anwalt eines Immobilienmaklers mit Klage drohte. Es stört ihn, dass Hohenwarter eine neue Führung anbietet und darin auf verunglückte Bauprojekte in Krems aufmerksam macht. „Dabei werde ich oft von Stammgästen darauf angesprochen, dass sich in der Stadt so viel zum Negativen verändert.“
Im Mittelalter reisten Händler von Prag bis Mailand in die Donaustadt, kauften auf den Märkten Wein. Heute kommen Touristen aus Australien, Neuseeland und den USA. Und in Krems boomt das Baugewerbe. Die Grundstückspreise steigen. Marillengärten werden zu Bauplätzen, immer mehr Bausünden entstehen. „Früher wurde in Krems gebaut, weil die Schönheit der Bürgerhäuser das Ansehen der Bauherren in der Renaissance hob“, sagt Hohenwarter. Heute zähle nur der Profit. Dass neben die kleine Kapelle jetzt 26 Luxuswohnungen gesetzt werden, stört sie. „Anstelle von moderner Architektur finden Sie nur hässliche Neubauten.“
Auch in Wien gibt es diese Bausünden. Und Stadttouren, die allein die hässlichen Seiten der Metropole zeigen. Der Brite Eugene Quinn führt die Urlauber ins „Ugly Vienna“, dorthin, wo Wien „hässlich“ist. Es sind Blicke hinter die prächtige Fassade der Stadt, die er einen tanzenden Schokoladenkuchen“nennt.
Fast 70 Teilnehmer treffen sich am Samstagvormittag am Augarten, wo Quinn als erste Hässlichkeit einen Flakturm präsentiert, der in den letzten Kriegsjahren als Hochbunker gebaut wurde. Am Karmelitermarkt zeigt er eine kunterbunte Kitschfassade, in der Nähe des Donaukanals das ungarische Kulturinstitut, ein klobiger weiß-roter Bau. Dann ein kitschig vergoldeter Johann Strauß im Stadtpark, das Marriott-Hotel am Ring, das kein bisschen zur restlichen Architektur passt. Auch Quinn wurden Unterlassungsklagen von Hausbesitzern, unter anderem vom Marriott-Hotel, angedroht. Als Gründe führten die Anwälte Kredit- und Geschäftsschädigung, Verleumdung und Verstoß gegen das Veröffentlichungsrecht an. Quinn sagt: „Ich zeige die Gebäude weiter, bleibe mit den Gruppen aber jetzt auf Abstand.“ Sein Geschäftsmodell jedenfalls funktioniert, nicht nur in Wien. Inzwischen führt er Touristen auch die scheußlichen Ecken Münchens.
In Wien wehren sich nicht nur die Hoteliers gegen „Mister Ugly“, sondern auch die Stadt und der „Verein der geprüften Wiener Fremdenführer“. Deren Präsidentin Christa Bauer ist nicht gut auf Quinn zu sprechen. „Er zieht seine Führungen provokant auf und segelt in unserem Windschatten. Aber er hat keine Ausbildung als Fremdenführer“, meint sie. Denn wer Touristen Österreichs Hauptstadt zeigen will, muss eine praktische und theoretische Prüfung in mehreren Sprachen bestehen und bei der Wirtschaftskammer ein Gewerbe anmelden. „Es reicht halt nicht, dass man den Dumont-Führer auswendig lernt“, sagt Bauer. Voraussetzung ist vielmehr die Teilnahme an einem zweijährigen Kurs – genormte Bus- und Fußführungen, Präsentationstech„Walzer niken und Konfliktbewältigung inklusive. Kostenpunkt: mehr als 4000 Euro.
Wer das hinter sich hat, will das Feld nicht selbst ernannten Fremdenführern wie Quinn überlassen. 2016 sollte der Brite, der seine Touren nur auf Englisch anbietet, zwei Mal Strafen für ungenehmigte Touren zahlen. 380 Euro kassiert das Marktamt der Stadt Wien pro nicht angemeldeter Führung. Kontrolleure prüfen täglich, ob Fremdenführer ohne Genehmigung unterwegs sind. Quinn mühte sich um einen Kompromiss mit dem Marktamt, eine „österreichische Lösung“kam heraus. Die beinhaltet, dass er als „Reisebetreuer“Hinweise auf Sehenswürdigkeiten gibt, diese aber nicht im Detail erklärt. Außerdem, sagt er, müsse er die orange Hose eines Müllmannes tragen und darf nur zehn Euro pro Tourist kassieren, während die offiziellen „Wiener Spaziergänge“16 Euro kosten.
Barbara Wolfingseder zählt zu den 450 staatlich geprüften Fremdenführern in der Stadt. Heute erzählt sie „Dunkle Geschichten aus dem alten Wien“. Die Buchautorin zeigt winzige Hinterhöfe und Keller, an denen sich Verbrechen zugetragen haben, führt auf den Zentralfriedhof oder durch die Villenviertel, in denen Künstler residierten. An anderen Tagen bringt sie Schülergruppen „Hitlers Jahre in Wien“nahe – alles, eben nur keine normale Stadtführung. „Man muss versuchen, die große Fadesse zu vertreiben und spannende Geschichten erzählen“, sagt sie.
Und dann gibt es Führungen, „wo’s ein bisserl ordinär, ein bisserl schlüpfrig“zugeht, sagt Christa Bauer, die oberste Fremdenführerin. „Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher. Erotik im alten Wien“gehört dazu. „Das ist die bestgebuchte Tour“, sagt Patricia Kindl, die am Michaelerplatz steht.