Gefährliche Sensationsgier
Nicht nur der Tod des schwedischen Star-DJs Avicii alias Tim Bergling (unser Foto) ist eine traurige Angelegenheit. Sondern auch, wie über seinen Tod berichtet wird. Hier ein paar Schlagzeilen: ● „Suizid bestätigt? SO soll Avicii gestorben sein!“(news.de) ● „Avicii: Bericht über durch…“(Rolling Stone) ● „Suizid mit …? Neue Details zum Tod von Star-DJ Avicii (†28)“(Express.de) ● „Avicii: Beendete er sein Leben mit …?“(OK! Magazin) ● „US-Klatschportal TMZ berichtet über Suizid von Star-DJ (†28). Avicii beendete sein Leben mit…“(Bild)
Sensationsmache mit einem (mutmaßlichen) Suizid: Suizid Das ist nicht nur abstoßend, sondern höchst gefährlich. Da hilft es auch nichts, wenn am Ende der Berichte geschrieben wird: „Depressiv? Hier bekommen Sie umgehend Hilfe. BILD berichtet in der Regel nicht über Selbsttötungen, um keinen Anreiz für Nachahmung zu geben – außer, Suizide erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst depressiv sind, Selbstmordgedanken haben, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge…“Es gibt Gründe, dass Medien über Selbsttötungen berichten. Seriöse Medien wägen in solchen Fällen aber sehr genau ab, was und wie. Wenn sie berichten, sollten sie es überaus zurückhaltend tun, keine Details nennen, nicht sensationslüstern sein, nicht spekulieren. Oder: Berichten, wie jemand mit Suizidgedanken umgegangen ist und sie bewältigte.
Darauf weisen Forscher immer wieder hin. Denn es ist belegt, dass Berichte über Suizide dazu führen können, dass Menschen mit entsprechenden Absichten diese dann umsetzen. Man spricht vom „Werther-Effekt“: Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“, in dem sich der so unglücklich verliebte Werther selbst tötet, hatte eine Reihe von „Nachahmungs-Suiziden“zur Folge. Wie verantwortungslos im Falle von Avicii berichtet wird, macht einen fassungslos. Die Vorwürfe gegen Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Westdeutschen Rundfunks (WDR) wegen sexueller Belästigungen haben sich ausgeweitet. Zuletzt wurde einer der Angeschuldigten sogar namentlich bekannt – es handelt sich um den Leiter des Programmbereichs Fernsehfilm, Kino und Serie, Gebhard Henke. Das teilte dessen Anwalt Peter Raue mit. Henke ist einer breiteren Öffentlichkeit als ARD-„TatortKoordinator“bekannt.
Henke ist damit Medienberichten zufolge der siebte WDR-Mitarbeiter, dem in den vergangenen vier Wochen vorgeworfen wurde, Frauen sexuell belästigt zu haben. Henke wehrt sich dagegen. Sein Mandant, so erklärte es Anwalt Raue am Montag, sei am Sonntag freigestellt worden, ohne ihm „einen einzigen konkreten Sachverhalt zu nennen“. Er habe den WDR aufgefordert, die Vorwürfe bis zum 10. Mai zu konkretisieren und Henke dazu Stellung nehmen zu lassen – oder die Freistellung aufzuheben. Henke habe „sich nichts zuschulden kommen lassen“. Und weiter: Sein Mandant habe sich entschieden, seinen Namen zu nennen, um Spekulationen ein Ende zu bereiten. Erst kürzlich war ein Auslandskorrespondent wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung freigestellt worden.
Die Sprecherin des Bayerischen Rundfunks (BR), Sylvie Stephan, sagte auf Nachfrage unserer Zeitung am Donnerstag, „dass wohl kein Unternehmen Fälle von sexueller Belästigung für sich ausschließen“könne. Wie vielen ähnlich gelagerten Vorwürfen wie beim WDR der BR bereits nachgegangen sei, könne sie nicht beantworten. Entsprechendes Fehlverhalten werde im BR auf disziplinarische und arbeitsrechtliche Konsequenzen hin geprüft und gegebenenfalls sanktioniert. In Betracht kommen, so Sylvie Stephan, Maßnahmen wie Abmahnung, Versetzung und in gravierenden Fällen auch die Kündigung. „Entsprechend wurde in den letzten Jahren auch verfahren.“
Was die gesamte ARD betreffe, ergänzte Sylvie Stephan, unterstütze diese unter anderem die neue unabhängige und überbetriebliche Beschwerdestelle in der Film- und Fernsehbranche. Die ARD habe ihre aktive Beteiligung an den Gesprächen zur Gründung des Trägervereins zugesagt. „Beschlossen wurde, dass der MDR für die dem Trägerverein beitritt.“