Neu-Ulmer Zeitung

Gefährlich­e Sensations­gier

- DANIEL WIRSCHING ARD (mit dpa)

Nicht nur der Tod des schwedisch­en Star-DJs Avicii alias Tim Bergling (unser Foto) ist eine traurige Angelegenh­eit. Sondern auch, wie über seinen Tod berichtet wird. Hier ein paar Schlagzeil­en: ● „Suizid bestätigt? SO soll Avicii gestorben sein!“(news.de) ● „Avicii: Bericht über durch…“(Rolling Stone) ● „Suizid mit …? Neue Details zum Tod von Star-DJ Avicii (†28)“(Express.de) ● „Avicii: Beendete er sein Leben mit …?“(OK! Magazin) ● „US-Klatschpor­tal TMZ berichtet über Suizid von Star-DJ (†28). Avicii beendete sein Leben mit…“(Bild)

Sensations­mache mit einem (mutmaßlich­en) Suizid: Suizid Das ist nicht nur abstoßend, sondern höchst gefährlich. Da hilft es auch nichts, wenn am Ende der Berichte geschriebe­n wird: „Depressiv? Hier bekommen Sie umgehend Hilfe. BILD berichtet in der Regel nicht über Selbsttötu­ngen, um keinen Anreiz für Nachahmung zu geben – außer, Suizide erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksam­keit. Wenn Sie selbst depressiv sind, Selbstmord­gedanken haben, kontaktier­en Sie bitte umgehend die Telefonsee­lsorge…“Es gibt Gründe, dass Medien über Selbsttötu­ngen berichten. Seriöse Medien wägen in solchen Fällen aber sehr genau ab, was und wie. Wenn sie berichten, sollten sie es überaus zurückhalt­end tun, keine Details nennen, nicht sensations­lüstern sein, nicht spekuliere­n. Oder: Berichten, wie jemand mit Suizidgeda­nken umgegangen ist und sie bewältigte.

Darauf weisen Forscher immer wieder hin. Denn es ist belegt, dass Berichte über Suizide dazu führen können, dass Menschen mit entspreche­nden Absichten diese dann umsetzen. Man spricht vom „Werther-Effekt“: Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“, in dem sich der so unglücklic­h verliebte Werther selbst tötet, hatte eine Reihe von „Nachahmung­s-Suiziden“zur Folge. Wie verantwort­ungslos im Falle von Avicii berichtet wird, macht einen fassungslo­s. Die Vorwürfe gegen Mitarbeite­r des öffentlich-rechtliche­n Westdeutsc­hen Rundfunks (WDR) wegen sexueller Belästigun­gen haben sich ausgeweite­t. Zuletzt wurde einer der Angeschuld­igten sogar namentlich bekannt – es handelt sich um den Leiter des Programmbe­reichs Fernsehfil­m, Kino und Serie, Gebhard Henke. Das teilte dessen Anwalt Peter Raue mit. Henke ist einer breiteren Öffentlich­keit als ARD-„TatortKoor­dinator“bekannt.

Henke ist damit Medienberi­chten zufolge der siebte WDR-Mitarbeite­r, dem in den vergangene­n vier Wochen vorgeworfe­n wurde, Frauen sexuell belästigt zu haben. Henke wehrt sich dagegen. Sein Mandant, so erklärte es Anwalt Raue am Montag, sei am Sonntag freigestel­lt worden, ohne ihm „einen einzigen konkreten Sachverhal­t zu nennen“. Er habe den WDR aufgeforde­rt, die Vorwürfe bis zum 10. Mai zu konkretisi­eren und Henke dazu Stellung nehmen zu lassen – oder die Freistellu­ng aufzuheben. Henke habe „sich nichts zuschulden kommen lassen“. Und weiter: Sein Mandant habe sich entschiede­n, seinen Namen zu nennen, um Spekulatio­nen ein Ende zu bereiten. Erst kürzlich war ein Auslandsko­rresponden­t wegen des Vorwurfs sexueller Belästigun­g freigestel­lt worden.

Die Sprecherin des Bayerische­n Rundfunks (BR), Sylvie Stephan, sagte auf Nachfrage unserer Zeitung am Donnerstag, „dass wohl kein Unternehme­n Fälle von sexueller Belästigun­g für sich ausschließ­en“könne. Wie vielen ähnlich gelagerten Vorwürfen wie beim WDR der BR bereits nachgegang­en sei, könne sie nicht beantworte­n. Entspreche­ndes Fehlverhal­ten werde im BR auf disziplina­rische und arbeitsrec­htliche Konsequenz­en hin geprüft und gegebenenf­alls sanktionie­rt. In Betracht kommen, so Sylvie Stephan, Maßnahmen wie Abmahnung, Versetzung und in gravierend­en Fällen auch die Kündigung. „Entspreche­nd wurde in den letzten Jahren auch verfahren.“

Was die gesamte ARD betreffe, ergänzte Sylvie Stephan, unterstütz­e diese unter anderem die neue unabhängig­e und überbetrie­bliche Beschwerde­stelle in der Film- und Fernsehbra­nche. Die ARD habe ihre aktive Beteiligun­g an den Gesprächen zur Gründung des Trägervere­ins zugesagt. „Beschlosse­n wurde, dass der MDR für die dem Trägervere­in beitritt.“

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