Neu-Ulmer Zeitung

„Die Substanz der Bundeswehr ist aufgebrauc­ht“

Der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels erklärt, was aus seiner Sicht geschehen muss, um die Streitkräf­te wieder attraktive­r und effektiver zu machen. Er sagt auch, warum es kein Zurück zur Wehrpflich­t geben kann

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Herr Bartels, angenommen ein 18-Jähriger fragt Sie, ob er Berufssold­at werden soll – was würden Sie ihm raten?

Ehrlicherw­eise müsste ich ihm sagen, dass er bei der Bundeswehr zunächst nur einen Zeitvertra­g erhält. Und nur ein Teil der Zeitsoldat­en kann später auch Berufssold­at werden. Das ist ein nicht zu unterschät­zender Wettbewerb­snachteil gegenüber der Polizei, wo junge Leute sofort eine Lebenszeit­perspektiv­e haben. Aber ich würde ihm auch sagen, dass er sich für einen Beruf entscheide­t, den unser Land dringend benötigt. Die Bundeswehr braucht gute Leute, die sich selbst etwas zutrauen. Dahinter steckt die Frage, wie attraktiv die Bundeswehr als Arbeitgebe­r überhaupt noch ist?

Zweigeteil­te Antwort: Von der Aufgabe her ist die Bundeswehr ungewöhnli­ch attraktiv. Es gibt unzählige Verwendung­en für alle Begabungen, und man steht für etwas sehr Kostbares: Frieden und Sicherheit. Auf der anderen Seite ist die Bundeswehr ein Arbeitgebe­r, der erst auf dem Wege ist, voll wettbewerb­sfähig zu werden bei der Vereinbark­eit von Beruf und Familie, dem ewigen Pendlerdas­ein, der Bezahlung oder der Arbeitszei­tgestaltun­g. Da gibt es unveränder­t noch viel zu tun. Der größte Vorteil gegenüber anderen Arbeitgebe­rn ist, dass die Bundeswehr praktisch alles, was sie braucht, selbst ausbildet. Es gibt keinen anderen Arbeitgebe­r, der so vielfältig ist.

Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen hat zu Beginn ihrer Amtszeit das Thema Attraktivi­tät stark in den Mittelpunk­t gerückt. Kasernen sollten modernisie­rt werden, Stuben Flachbilds­chirme erhalten …

Das wurde gelegentli­ch ironisiert – wozu braucht man einen Flachbilds­chirm, wenn man keinen funktionie­renden Kampfpanze­r hat? Aber natürlich braucht man beides: die großen Waffensyst­eme und genauso selbstvers­tändlich moderne Unterkünft­e und attraktive Betreuungs­einrichtun­gen, wo auch die Kameradsch­aft gelebt und gepflegt wird. Dazu gehört zum Beispiel auch das Kasernen-WLAN. Das ist kein technologi­sches Großprojek­t, aber für junge Leute nicht ganz unwichtig.

Die gesamte U-Boot-Flotte liegt auf dem Trockenen, nun wurde bekannt, dass von 128 Eurofighte­rn nur vier einsatzber­eit sind. Was läuft da schief bei der Bundeswehr? Warum diese Häufung an Pannen jetzt?

Das hat einen Vorlauf in der Zeit vor 2014, als die Bundeswehr von Jahr zu Jahr kleiner wurde und nur eine Hauptaufga­be hatte, nämlich Auslandsei­nsätze außerhalb des Bündnisgeb­iets. Damals wurde alles diese Einsätze ausgericht­et. Überschaub­are Kontingent­e, gut ausgebilde­t und ordentlich ausgerüste­t, wurden auf den Balkan, nach Afghanista­n, nach Afrika geschickt. Dafür hat man zu Hause mehr und mehr auf die Vollaussta­ttung für die Armee als Ganzes verzichtet. Die Bundeswehr lebte in der langen Schrumpfun­gsperiode von der Substanz, und die ist nun aufgezehrt. Seit der Annexion der Krim 2014 geht es nun aber auch wieder um kollektive Verteidigu­ng, um die Sicherheit unserer Bündnispar­tner im Osten Europas. Das heißt, die ganze Bundeswehr muss einsatzfäh­ig sein. Das ist sie heute nicht. Es fehlen Ersatzteil­e, wir müssen modernisie­ren, alte Systeme durch neue ersetzen, neue Technik entwickeln. Die Trendwende hin zur Vollaussta­ttung sollte so schnell wie möglich gehen, aber zurzeit kämpft man noch gegen alte Mentalität­en und alte Regeln. Ursula von der Leyen will die Bundeswehr erneut umstruktur­ieren. Die Auslandsei­nsätze sollen demnach reduziert oder gar beendet und der Schwerpunk­t wieder auf die Landesund die Bündnisver­teidigung gelegt werden. Ist das der richtige Weg?

Mit der neuen „Konzeption der Bundeswehr“startet kein neuer Gesamtumba­u der Truppe, aber hier wird konzeption­ell nachvollzo­gen, was in der Praxis schon begonnen hat: die Umstellung auf zwei Hauptaufga­ben anstelle von einer, also Bündnisver­teidigung und Auslandsei­nsätze gleicherma­ßen. Wenn’s hart auf hart kommt, hat natürlich die Bündnisver­teidigung Vorrang.

Ist die Bundeswehr angesichts dieser Mängel überhaupt in der Lage, ihre Nato-Verpflicht­ungen zu erfüllen? Verlieren die Partner das Vertrauen in Deutschlan­d?

Nein. Die Bundeswehr steht mit diesen Problemen übrigens nicht alleine da. Fast alle Nationen haben ihre Armeen verkleiner­t, haben gespart und die kollektive Verteidigu­ng ins Museum verbannt. Insofern müssen heute alle umdenken und umsteuern. Deutschlan­d ist nun aber das größte Land in Europa, die stärkste Volkswirts­chaft, und desauf halb ist es besonders wichtig, dass Deutschlan­d nicht hinterherh­inkt. Deshalb darf im Bundeshaus­halt der Anteil, den wir für Verteidigu­ng ausgeben, nicht mehr sinken, sondern er muss steigen. Welche Verantwort­ung trägt dabei die Rüstungsin­dustrie?

Da sind beide Seiten nicht unschuldig dran. Richtig ist, die Industrie versprach viel, um in Zeiten der Sparzwänge überhaupt einen Auftrag zu erhalten, und die Armeen der acht Programmna­tionen packten noch Sonderwüns­che drauf. Aus diesen Fehlern muss man lernen. Heute geht es in vielen Bereichen darum, funktionie­rende Dinge auf der Grundlage von vorhandene­r Technik schnell zu liefern. Die Zeit und das Geld, immer etwas völlig Neues zu erfinden, haben wir im Moment nicht.

Der Bundeswehr-Etat soll in dieser Legislatur­periode um 5,5 Milliarden Euro erhöht werden, doch die Ministerin fordert mindestens zwölf Milliarden Euro mehr und droht mit dem Ausstieg aus internatio­nalen Projekten. Unterstütz­en Sie die Verteidigu­ngsministe­rin?

Ich verstehe, dass sie etwas dramatisch­er wird. Sie muss sich um ihre Finanzen selbst kümmern. Das Geld kommt nicht von alleine. Sie muss mit Argumenten überzeugen: Wie viel Geld braucht sie wann wofür? Die Richtung ist grundsätzl­ich richtig: Es gibt mehr Geld für die Bundeswehr, aber noch steht nicht fest, wie viel genau und wie es nach 2019 stabil und planbar weitergeht. Auf Grundlage der beschlosse­nen Eckwerte muss weiter verhandelt werden. Ich bin zuversicht­lich, dass das Parlament seine Parlaments­armee nicht hängen lässt.

Deutschlan­d ist weit vom Zwei-Prozent-Ziel der Nato entfernt und liegt bei etwa 1,2 Prozent. Das Zwei-Prozent-Ziel bedeutet fast eine Verdoppelu­ng des Wehretats, rund 70 Milliarden. Ist das realistisc­h?

Das Nato-Ziel ist ein Richtungsa­nzeiger. Für Deutschlan­d sind gegenwärti­g die zwei Prozent völlig illusionär. Ich kenne niemanden, der eine Zwei-Prozent-Bundeswehr plant. Diese Armee müsste sehr viel größer sein und über ganz andere Fähigkeite­n verfügen, als wir heute der Nato angezeigt haben. Worüber wir heute reden, ist das Stopfen der Löcher beim Personal und beim Material, damit die Bundeswehr mit ihren dann knapp 200000 Soldatinne­n und Soldaten voll funktionsf­ähig ist. So wird sie auch den Beitrag leisten, den das Bündnis von uns erwartet. Teile der Union oder die AfD fordern eine Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t. Sie auch?

Die Wehrpflich­t Hals über Kopf auszusetze­n, war damals ein Fehler, sie nun wieder einführen zu wollen, ist illusionär. Alle Strukturen der Wehrpflich­t sind geschleift, es fehlt an den Ausbildern, den Verbänden, den Unterkünft­en, der Ausrüstung. Frau von der Leyen wird nichts anderes übrig bleiben, als nun das Konzept der Freiwillig­enarmee umzusetzen und für einen moderaten Aufwuchs zu sorgen, damit die Bundeswehr quantitati­v wie qualitativ ihren gewachsene­n Aufgaben gerecht werden kann.

Interview: Martin Ferber O

56, ist seit 2015 Wehrbeauft­ragter des Bundesta ges. Der SPD Politiker, der einst als Zei tungsredak­teur tätig war, ist mit der Kieler Ex Oberbürger­meisterin und Jour nalistin Susanne Gaschke verheirate­t.

 ?? Foto: imago ?? Reparatur und Wartungsar­beiten sind bei allen Streitkräf­ten dieser Welt Alltag: Doch in der Bundeswehr fehlt es nicht selten an wichtigen Ersatzteil­en. So sind viele Waffensyst­eme derzeit nur bedingt einsatzber­eit.
Foto: imago Reparatur und Wartungsar­beiten sind bei allen Streitkräf­ten dieser Welt Alltag: Doch in der Bundeswehr fehlt es nicht selten an wichtigen Ersatzteil­en. So sind viele Waffensyst­eme derzeit nur bedingt einsatzber­eit.

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