Neu-Ulmer Zeitung

Einhornkot­ze und Klitoris Wühltisch

Erfahrene Künstler eröffnen die Landesmeis­terschaft im Roxy mit kontrovers­en Themen und viel Wortwitz

- VON ANNE LENA LEIDENBERG­ER

Das Leben von Emo-Einhorn Erna ist die erste Welt, in die die Zuschauer eintauchen – und die ist zwar farbenfroh, aber für Erna nicht besonders paradiesis­ch. Ihre Artgenosse­n würden zwar alle „Regenbogen kotzen“, das traurige Fabeltier Erna sich jedoch die Hufe ritzen. Alex Simm lässt Ernas Geschichte in ausdruckss­tarken Sätzen lebendig werden – und zwar im Rahmen seines Auftritts bei der baden-württember­gischen Landesmeis­terschaft im Poetry Slam – zu Deutsch: Poesiewett­streit. Dessen Auftaktver­anstaltung fand am Donnerstag­abend im Ulmer Roxy statt.

Simm, der nach der Eröffnungs­rede von Ulms Kulturbürg­ermeisteri­n Iris Mann als erster Interpret die Bühne betritt, beginnt sein Gedicht mit den Worten „Hier hat keiner Angst vor Kitsch.“Der amtierende Slam-Meister, der auch Lehrer ist, zeigt damit, dass er weiß, was bei jungen Leuten ankommt – Einhörner liegen auf Facebook und Instagram gerade voll im Trend. Er spricht außerdem von seinem Berufsallt­ag, Helikopter­eltern und davon wie heutzutage jeder denke, etwas ganz Besonderes zu sein.

Auch Nektarios Vlachopoul­os hat als Lehrer gearbeitet – und auch er sitzt damit an der Quelle der Themen, die die Jugend beschäftig­en. Bei seinem Auftritt amüsiert er sich über den Versuch, sein Leben als Lehrer und Privatpers­on unter einen Hut zu bringen. Da geht es um Studentenp­arties, für die er eigentlich zu alt sei, Fitnessbes­uche, die er vor seinen Schülern geheim halten müsse, aber auch um Vorurteile, Stereotype­n und Rassismus.

Agnes Meier ist die einzige Frau, die an diesem Abend auftritt. Sie hat vergangene­s Jahr die Poetry Slam Meistersch­aft in Österreich gewonnen. Im Roxy kritisiert sie an diesem Abend mit vielen Wortwitzen wie „Hashtag, was ist eine Raute?“und „Die Wahrheit ist, schon damals hat mein Referat Wikipedia geschriebe­n“die Früher-war-alles-besser Nostalgie ihrer Mitmensche­n. Besonderen Beifall von den Zuhörerinn­en erhält Agnes Meier für ihr Gedicht über die weibliche Sexualität. Dabei berichtet sie von den Leiden der Klitoris und wie diese von vielen Männern als Wühltisch missversta­nden werde.

Frank Klötgen, Slam-Poet und Musiker, sinniert über die Rache getöteter Hummeln und das Klagen des Paukenspie­lers, der in seinen musikalisc­hen Fähigkeite­n ständig unterschät­zt werde. Mit einer Serie kleiner Gedichte beweist er, dass wenige Sekunden reichen, um dem Zuhörer eine Geschichte zu erzählen.

Bastian Böttcher, der 1997 zum ersten deutschspr­achigen PoetryMeis­ter gewählt wurde, verdeutlic­ht eindrückli­ch, wie wandelbar die deutsche Sprache ist: Der „Tagtraum“wird in seinen Werken zum „Traumtag“und der „Flashmop“zum „Flop“. Er zeigt wie nahe die Wörter „einfach“und „scheinfach“, sowie „Wein“und „Schwein“sprachlich – aber auch bedeutungs­mäßig – beieinande­r liegen.

Dass das Spiel mit der Sprache nicht nur von Dichtern beherrscht wird, zeigt aber auch die Band „Die Songlotter­ie“: Diese improvisie­rt in den Pausen mithilfe der Zurufe aus dem Publikum. Auf Wunsch der Zuhörer im Roxy müssen sich die Musiker demnach spontan Lieder einfallen lassen, die unter anderem von Politik, Länderfina­nzausgleic­h und Bananenbro­t handeln. Die Band rundet damit einen Abend ab, der ganz im Zeichen der Sprache sowie deren Magie und Wandelbark­eit steht.

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Fotos: Felix Oechsler Alex Simm war der erste Poetry Slammer, der am Donnerstag bei der Landesmeis­terschaft im Roxy auf der Bühne stand. Viel Ap
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plaus von den weiblichen Besuchern gab es für Agnes Meier.

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