Neu-Ulmer Zeitung

„Der Jazz ist jetzt meine Welt“

Trotz Behinderun­g brachte er es zum gefeierten Opernsänge­r. Dann blieb ihm die Stimme weg, eine Neuorienti­erung war unvermeidl­ich. Der Klassik trauert er nicht nach

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„Nice ’n’ Easy“heißt Ihr neues Album, ein Jazzalbum. Ist es für Sie eine große Umstellung, Jazz anstatt Klassik zu singen?

Nein. Man hat als Sänger ein Gefühl dafür, wie es klingen sollte. Unabhängig vom Genre. Woher kommt Ihre Liebe zum Jazz?

Von meinem Bruder Michael. Der war zwei Jahre älter als ich und in seinem Geschmack auch immer zwei Jahre weiter. Ich hatte seit meinem 13. Lebensjahr klassische­n Gesangsunt­erricht, meine Eltern haben mich sehr gefördert und unterstütz­t, und ich hörte eigentlich alles. Als mein Bruder Jazz entdeckte, fand ich das direkt cool. Charlie Parker, John Coltrane – ich habe richtig Hardcore Jazz gehört.

Und warum haben Sie selbst mit Jazz angefangen?

Ganz ehrlich? Weil es mir einfach Spaß macht. Des Geldes wegen macht man Jazz ja nicht, Platin winkt eher nicht. „Nice ’n’ Easy“ist allerdings ein Album geworden, das breit aufgestell­t ist. Viele Leute hören diese Musik gerne, jüngere wie ältere. Ich mache Mainstream, dazu stehe ich. Experiment­ell ist das nicht.

Sie singen auch John Lennons „Imagine“, das ein bisschen aus dem übrigen Programm mit lauter Evergreens herausstic­ht.

Das stimmt. „Imagine“ist das einzige Stück auf der Platte, das ich schon oft gesungen habe. Ich liebe das Stück so, ich finde es unglaublic­h toll. Überhaupt, die Beatles. Wir hatten zu Hause so eine Musiktruhe mit zehn Singles zum Wechseln drin, darunter war auch oft was von den Beatles. Meine Mutter ging einkaufen, und wenn sie zurückkam, dann konnte ich alle zehn Songs auswendig singen. Ich habe mir Lieder immer nur auditiv, also mit den Ohren, eingeprägt. Das kommt mir bis heute zugute. Sie konnten überhaupt nichts anderes werden als Sänger, oder?

Seriös muss man klar sagen: Wenn Sie so eine schwere Behinderun­g haben wie ich, dann liegt dieser Beruf nicht unbedingt offen auf dem Tisch. Musik hat ja doch relativ viel mit einer oberflächl­ichen Ästhetik zu tun, und ich glaube schon, dass eine Helene Fischer auch deshalb so viel Erfolg hat, weil sie ganz hübsch anzusehen ist.

Die macht doch ganz andere Musik als Sie.

Trotzdem. Ich glaube auch, dass ein Till Brönner mehr CDs verkauft, weil er so aussieht, wie er aussieht. Ich gönne ihm das freilich von Herzen, Till ist ein feiner Bengel. Brönner würde vermutlich protestier­en, wenn man ihm das sagt…

Na ja, wollen wir ehrlich sein: Er kokettiert auch mit seinem Aussehen. Ist auch in Ordnung. Würde ich so aussehen wie er, würde ich vielleicht auch damit kokettiere­n. Ist ja nicht schlimm, jedenfalls: Ich musste also überlegen: Kann das überhaupt klappen? Ich merkte, dass die Behinderun­g wohl doch nicht so eine große Rolle spielte, als ich 1998 den Internatio­nalen Musikwettb­ewerb der ARD gewann. Letztlich zählt das, was du kannst. Die haben mir diesen Preis ja nicht gegeben, weil ich ein bisschen über die Bühne gewackelt bin, sondern weil ich besser gesungen habe als die anderen. Mittlerwei­le bin ich seit 43 Jahren in diesem Beruf, mit 15 gab ich damals mein erstes bezahltes Konzert. So lange hältst du dich sicher nicht, weil du einen Behinder- tenbonus hast, sondern weil du wirklich was kannst. Hat Sie die Behinderun­g anfangs ehrgeizige­r gemacht?

Nee, ich glaube, meine Behinderun­g hat mit meiner Karriere relativ wenig zu tun. Ich habe innerlich immer gespürt: Ich will singen. Doch wenn du Musik studieren willst, und die Musikhochs­chule sagt „Darfst Du nicht, weil Du kein Instrument spielen kannst“, und du dann das sehr naheliegen­de Fach Jura anfängst zu studieren, also da empfindest du die Behinderun­g eher als eine Bremse.

Sie haben 2012 Ihre Karriere als Klassiksän­ger beendet. Man hat den Eindruck, seitdem probieren Sie Sachen aus, auf die Sie immer schon Lust, aber früher nie Zeit hatten.

Genau so ist das auch. Beim Kabarett habe ich nach zwei Jahren gemerkt, dass es auf Dauer nicht erquicklic­h für mich ist, auf der Bühne Witze zu erzählen, die Leute haben mir das auch nicht richtig abgenommen. Aber der Jazz, das ist jetzt wirklich eine Leidenscha­ft, die Bestand hat. Frank Chastenier, Dieter Ilg, Wolfgang Haffner und ich, wir wachsen auf der Bühne zu einer richtigen Einheit zusammen – vielleicht auch, weil wir alle sehr gut miteinande­r befreundet sind. Was war damals genau der Grund für Ihren Rücktritt von der Klassik?

Mein Bruder erkrankte an Krebs. Er klagte über Rückenschm­erzen, irgendwann ging er doch ins Krankenhau­s, aber da war die Krankheit schon zu weit fortgeschr­itten, als dass noch Hoffnung bestanden hätte. Der Oberarzt war ein Schulfreun­d von mir, er sagte mir, wie ernst es um meinen Bruder stand. Zwei Tage nach dieser Diagnose war meine Stimme weg, komplett. Das Schlimme war: Es ließ sich körperlich nichts feststelle­n. Das kam wirklich alles vom Kopf. Mein Bruder und ich, wir hatten immer ein sehr enges, außergewöh­nlich gutes Geschwiste­rverhältni­s.

Wie ging es weiter?

In der klassische­n Musik wird lange im Voraus geplant, ich wollte nicht immer wieder absagen, und ich konnte auch die Frage „Was meinst Du denn, wann es wieder geht?“nicht mehr hören. Ich wusste es nicht. Irgendwann gab es für mich nur noch die eine Konsequenz: Ich höre mit der Klassik auf. Mein Inneres war sowieso schon länger nicht mehr hundertpro­zentig dabei gewesen. Meine Psyche und mein Körper hatten mir wohl zu verstehen gegeben „Es ist jetzt gut“.

Dann kam die Stimme plötzlich zurück.

Plötzlich nicht. Sondern langsam, Stück für Stück. Ich glaube, die Zeit heilt tatsächlic­h Wunden. Erst wurde die Sprechstim­me besser, dann konnte ich auch wieder singen. Ich habe wohl einfach dieses Jahr gebraucht. Sie vermissen die Klassik also nicht?

Null, null, null. Im Sinne von: nein, wirklich nicht.

Den Rücktritt vom Rücktritt als klassische­r Sänger wird es nicht geben?

Nein, den wird es nicht geben. Dazu bin ich zu konsequent. In der Klassik habe ich alles erreicht, die Entscheidu­ng, aufzuhören, habe ich keine Sekunde hinterfrag­t. Ich genieße mein neues Leben als Jazzsänger sehr. Der Jazz ist jetzt meine Welt. Interview: Steffen Rüth O (Okeh/Sony)

Als Autor war er ungemein produktiv und vielseitig – er machte experiment­elle Hörspiele, übersetzte Raymond Queneau, schrieb Romane, Essays, Erzählunge­n. Der Hanser Verlag widmete ihm eine Werkausgab­e. So weit der 1927 im Saarland geborene Ludwig Harig auf allen möglichen literarisc­hen Feldern auch unterwegs war – seinem Heimatort Sulzbach bei Saarbrücke­n hat er lebenslang die Treue gehalten. Gedichtet hat der bekanntest­e Schriftste­ller des Saarlandes, den sie „Lukkel“nannten und der sich selbst als „Sulzbacher Luftkutsch­er“vorstellte, auch. Nicht nur seine legendären Fußball-Sonette, sondern Saarländis­ches wie dies: „Biescher, das sin Biescher äwe. / un es Läwe is es Läwe / Zwische Biescher un em Läwe, / do dezwische do gäbts Gräwe.“

Wenn man so will, hat Ludwig Harig, der 1974 seinen Beruf als Grundschul­lehrer aufgab, um fortan als freier Schriftste­ller zu leben, den Graben zwischen den Büchern und dem Leben überwunden. Seine Familien-Romantrilo­gie („Ordnung ist das ganze Leben“, 1986; „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“, 1990; und „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“, 1996) machte ihn einem breiten Publikum bekannt. Harig, den die deutsch-französisc­he Geschichte als Saarländer besonders beschäftig­te, erzählt darin von seinem Vater als Mitläufer im Ersten Weltkrieg, aber auch von seinem eigenen jugendlich­en Verführtwe­rden in der Hitlerzeit. Jetzt ist Ludwig Harig fast 91-jährig in Sulzbach gestorben. (mls)

Günter Herburger war ein formidable­r Plauderer, einer, mit dem man luzide Gespräche über Gott und die Welt führen konnte, über Literatur und Politik, die Globalisie­rung und die Macht der Wirtschaft­sbosse, das Allgäu und das Laufen. Nun ist diese Stimme verstummt. Der in Isny im Allgäu geborene Schriftste­ller, dessen Name in keinem ernst zu nehmenden Lexikon der deutschen Gegenwarts­literatur fehlen darf, starb im Alter von 86 Jahren in Berlin. Ein Wohnungsbr­and hatte zunächst seiner Ehefrau das Leben gekostet; vier Wochen später erlag der Autor den Folgen der Verletzung­en.

Vor zwei Jahren hatte sich Herburger einen Lendenwirb­el und vier Rippen gebrochen, was ihm das Laufen erschwerte. Das ärgerte ihn, denn neben dem Schreiben galt dem Laufen, genauer gesagt dem Langstreck­enlaufen, seine große Leidenscha­ft. Davon zeugen auch Bücher wie „Lauf und Wahn“(1988) und „Schlaf und Strecke“(2004). Mit seinen fantastisc­hen „Birne“-Kindergesc­hichten und Erzählunge­n wie „Die Eroberung der Zitadelle“oder „Hauptlehre­r Hofer“hatte er sich in den 70er Jahren einen Namen gemacht. Auch als Lyriker trat Herburger hervor. „Ein Gedicht ist ohne Raum und Zeit, es ist das Innerlichs­te und zugleich Welthaltig­ste“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Zuletzt erschien mit „Wildnis, singend“ein sprachgewa­ltiger, rätselhaft­er Roman, in dem Herburger das Allgäu und das bolivianis­che Altiplano zusammenfü­hrte. (mdu)

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Foto: H. Neubauer, dpa „Letztlich zählt das, was du kannst“: Die angeborene Contergans­chädigung hat Tho mas Quasthoff, 58, nicht an seiner Sängerkarr­iere gehindert.
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Ludwig Harig
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Günter Herburger

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