Neu-Ulmer Zeitung

Der nackte Körper war in der Kunst lange kein Thema

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im „Weißen Kubus“die Arbeiten des Kollektivs „East Village Beijing“, das sich durch seine Performanc­es einen Namen machte, vor allem durch solche, in denen Nacktheit eine zentrale Rolle spielte. Was in China neu war: „Die Idee, dass der menschlich­e Körper an sich etwas Schönes sein kann, gab es in dieser Kultur nicht“, erklärt Kurator Phillips. Das gesellscha­ftskritisc­he Projekt ging freilich nicht lange gut: Die Behörden stoppten die kreative Gemeinscha­ft. Von Kunstfreih­eit kann in dem Milliarden­reich keine Rede sein.

Wohl vor allem deshalb kommentier­en viele chinesisch­e Künstler ihre Werke kaum oder gar nicht, so wie Ai Weiwei, der seine berühmte und schon vorher in der Walther Collection gezeigte dreiteilig­e Arbeit „Dropping a Han Dynasty Urn“nie erklärte. Ist das emotionslo­se Zerdeppern einer historisch­en Vase ein Abschließe­n mit der nationalen Kunstgesch­ichte oder ein Kommentar zur rücksichts­losen Vernichtun­g des kulturelle­n Erbes

China? Für letztere These sprechen die vielen anderen Arbeiten, welche die dramatisch­e Verwandlun­g der chinesisch­en Städte zeigen. Besonders eindrucksv­oll bei Zhang Dali, der zum Abriss freigegebe­ne Gebäude in seiner Heimatstad­t Peking mit der aufgesprüh­ten Silhouette eines Kopfes markierte: stille Zeugen des Wandels, selbst zum Verschwind­en verurteilt und nur auf Fotos für die Nachwelt dokumentie­rt. Um die Jahrtausen­dwende, erinnert sich Phillips, waren diese Köpfe überall in Peking zu sehen.

Im „Schwarzen Haus“der Walther Collection drehen sich die gezeigten Arbeiten um die politische Vergangenh­eit und Gegenwart Chinas, etwa Mo Yis ab 2014 entstanden­e Installati­on „5.16 Notice“. Sie erinnert an einen heute totgeschwi­egenen Erlass der Kommunisti­schen vom 16. Mai 1966, der die Kulturrevo­lution auslöste – und damit den Tod von geschätzt etwa 400 000 Menschen. Mo Yi zeigt 49 Fotografie­n aus dieser Zeit, jeweils überpinsel­t mit dem genannten Datum. Er will sie weiterführ­en, bis sich die Partei für die Kulturrevo­lution entschuldi­gt. Was, so befürchtet Kurator Phillips, wohl nie passieren wird.

Die Zeit der Öffnung ist in China längst wieder vorbei. Umgekehrt hat der Kapitalism­us in der Gesellscha­ft seine Spuren hinterlass­en. Das spürt man auch in der Kunst aus dem Land, findet Sammler Artur Walther: „Die Härte ist weg, der Wille, das Existenzie­lle. Vieles ist abgeflacht.“Gleichzeit­ig sei die Offenheit, die Bereitscha­ft sich zu präsentier­en, zurückgega­ngen. Aus den experiment­ierfreudig­en Freigeisin tern der 90er Jahre sind internatio­nal erfolgreic­he Kunstunter­nehmer geworden, die teils in gewaltigen Ateliers residierte­n und Dutzende Mitarbeite­r beschäftig­ten. Der Kunstmarkt hat China schon lange entdeckt und spült Geld in die Kassen der etablierte­n Köpfe. „Aber bei den jungen Leuten, da ist das wieder ganz anders“, sagt Walther, und die Begeisteru­ng, mit der er von seinen Entdeckung­en der 1990er Jahre erzählt, kehrt zurück.

Für diese neue Generation chinesisch­er Künstler steht im „Grünen Haus“, wo die Ausstellun­g „Life and Dreams“endet, die Videoarbei­t „Delusional Mandala“der Künstlerin Lu Yang: ein computeran­imierter Ritt durch die Zwischenzo­ne zwischen Religion und Medizin, zwischen Individual­ität und Virtualitä­t, in dem sich nicht nur innerchiPa­rtei nesische Verhältnis­se, sondern globale Themen widerspieg­eln. Bunt, wild, popkulture­ll informiert, zeitgemäß. Der Blick auf Fotografie und Videokunst aus China lohnt sich – immer noch und wieder. „Life and Dreams“ist ein facettenre­icher und hochkaräti­ger Überblick, der auch großen Museen gut zu Gesicht stehen würde. Und schließt damit nahtlos an die Ausstellun­gen der vergangene­n Jahre an. O

Die Ausstellun­g startet am Sonntag, 13. Mai. Um 11.30 Uhr spre chen zur Begrüßung Sammler Artur Wal ther und Kurator Christophe­r Phillips, danach gibt es bis 17 Uhr Führungen durch alle drei Gebäude. Der Eintritt ist frei. Zu „Life and Dreams“ist ein gleich namiger Band (384 Seiten, 642 Abbil dungen) bei Steidl erschienen. Das Buch ist in Burlafinge­n erhältlich. Das Percussion­sduo Jessica und Vanessa Porter aus Laupheim gastiert heute, Samstag, im Ulmer Münster. Die beiden Schwestern sind gerade erst von einer einmonatig­en Konzerttou­rnee durch Kolumbien, Brasilien, Peru und Costa Rica zurückgeke­hrt. Im Konzert, das um 19 Uhr beginnt, erklingen Werke von Bach, Piazzolla, Debussy und anderen. Eintrittsk­arten sind an der Abendkasse erhältlich. Das Sonntagsor­gelkonzert am 13. Mai um 11.30 Uhr bestreitet Kirchenmus­ikdirektor Thomas Haller aus Aalen. Er steht unter dem Motto „Gregoriani­k & Orgel“. (az) Zum Muttertag wird in der Roggenburg­er Klosterkir­che eine musikalisc­he Familienan­gelegenhei­t aufgeführt: Ludger Lohmann, OrgelProfe­ssor aus Stuttgart, konzertier­t morgen, Sonntag, um 16 Uhr zusammen mit seiner Tochter Luisa Lohmann, deren Instrument die Klarinette ist. Das Duo spielt Werke von Samuel Kummer, Johannes Brahms Max Reger und anderen. Karten für das erste Orgelkonze­rt der neuen Saison gibt es an der Tageskasse. (az)

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