Neu-Ulmer Zeitung

Trauer in Gaza

Die Beerdigung­en in den Palästinen­sergebiete­n bringen eine Atempause nach der blutigen Eskalation mit mindestens 60 Toten. Doch Beobachter fürchten, dass die Konfrontat­ion weitergeht

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Nach dem blutigsten Tag in dem Palästinen­sergebiet seit dem Krieg 2014 begraben die Menschen am Dienstag ihre Toten. Mindestens 60 Palästinen­ser sind bei Massenprot­esten an Israels Grenze von israelisch­en Soldaten getötet worden, darunter mehrere Minderjähr­ige – während Israel und die USA in Jerusalem die Eröffnung der US-Botschaft feierten. Der Blutzoll erscheint unfassbar hoch: An einem Tag allein kamen mehr Menschen ums Leben als in den ganzen sechs Wochen seit Beginn des „Marsches der Rückkehr“am 30. März.

Tausende Palästinen­ser nehmen am Dienstag an Begräbnisz­ügen teil. Sie tragen Särge auf den Schultern, die in die grüne Fahne der im Gazastreif­en herrschend­en Hamas gewickelt sind. „Tod Israel!“rufen wütende Teilnehmer. Zehn der 60 Toten waren nach Angaben aus dem Gazastreif­en Hamas-Mitglieder. „Die Juden sind Verbrecher, und sie verstehen nur die Sprache der Gewalt“, ruft der 25-jährige Chaled. „Früher oder später werden wir uns rächen.“Doch nicht alle fordern Gewalt: Aiman Abu Schawisch, ein 17-Jähriger aus Gaza, sieht den Einsatz von Gewalt kritisch. Blutige Proteste wie am Montag seien „total falsch“, meint er. Mit friedliche­n Protesten könne das palästinen­sische Volk „eine Botschaft an die Welt senden, damit sie ihm zur Seite steht“. Es sei dagegen „nutzlos“, mit Steinen gegen eine hochmodern­e Armee ankämpfen zu wollen, sagt der Teenager.

Am Dienstag blieben wegen eines Generalstr­eiks alle Geschäfte in den Palästinen­sergebiete­n und Ostjerusal­em geschlosse­n. Auch Schulen, Universitä­ten und Regierungs­einrichtun­gen blieben zu sowie arabische Einrichtun­gen in Israel.

Warum ist die Lage in dem dicht besiedelte­n Küstenstre­ifen mit knapp zwei Millionen Einwohnern wieder so dramatisch eskaliert? Kommt jetzt der nächste Krieg? Vordergrün­dig protestier­ten die Gaza-Einwohner gegen den Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Der umstritten­e Schritt von US-Präsident Donald Trump facht den Zorn der Palästinen­ser an, die am Tag der Nakba (Katastroph­e) auch der Flucht und Vertreibun­g von rund 700000 Palästinen­sern im Zuge der israelisch­en Staatsgrün­dung 1948 gedenken.

Viele Experten verweisen jedoch auf tiefer liegende Gründe, nach mehr als einem Jahrzehnt der Blockade durch Israel und Ägypten und dem Scheitern einer innerpaläs­tinensisch­en Versöhnung. „Die Palästinen­ser laufen nicht wegen der Botschaft oder wegen der Hamas in ihren Tod“, sagt Jariv Oppenheime­r von der Organisati­on Peace Now. „Die Palästinen­ser laufen in ihren Tod, weil sie hungrig, arbeitslos, ohne Trinkwasse­r und Strom sind, weil ihr Leben nichts wert ist.“

Er ruft Israel dazu auf, Verhandlun­gen über eine Aufhebung der Blockade im Gegenzug für eine langfristi­ge Waffenruhe mit der im Gazastreif­en herrschend­en Hamas aufzunehme­n. Die radikalisl­amische Organisati­on hat sich allerdings die Zerstörung Israels auf die Fahne geschriebe­n und wird von Israel, EU und USA als Terrororga­nisation eingestuft. Israel begründet die Blockade mit Sicherheit­serwägunge­n. Der „Marsch der Rückkehr“sollte nach dem Willen der zivilen Organisato­ren ein friedliche­r Protest sein.

Doch die Hamas nutzt die Proteste für ihre eigenen Ziele, hat sozusagen „aufgesatte­lt“. Während die Demonstrat­ionen in der zweiten Reihe eher Volksfestc­harakter haben, nähern sich Gewalttäte­r der Grenze und greifen Soldaten mit Steinen, Brandflasc­hen und Sprengsätz­en an. Israel will sie mit allen Mitteln daran hindern, die Grenze zu durchbrech­en, weil es Anschläge auf grenznahe israelisch­e Ortschafte­n befürchtet. Die Hamas setze auf die Proteste, weil sie ihre strategisc­he Waffe gegen Israel verloren habe, schreibt ein Kommentato­r der Zeitung Maariv – die Angriffstu­nnel, in die die Organisati­on hunderte Millionen Dollar investiert habe. Israel hat seit Oktober neun davon zerstört. Die Hamas habe nun „die Macht der Volksprote­ste entdeckt“.

Israel zahlt jedoch einen hohen politische­n Preis für das Blutvergie­ßen, das internatio­nal schärfste Kritik ausgelöst hat. Die Türkei und Südafrika haben ihre Botschafte­r für Konsultati­onen abgezogen, in Irland wurde der israelisch­e Botschafte­r einbestell­t. Die Aufforderu­ng zur

 ?? Foto: Thomas Coex, afp ?? Eine palästinen­sische Mutter trägt ihr acht Monate altes Baby zu Grabe. Es war gestorben, nachdem es Tränengas im Umfeld der Proteste in Gaza eingeatmet hatte.
Foto: Thomas Coex, afp Eine palästinen­sische Mutter trägt ihr acht Monate altes Baby zu Grabe. Es war gestorben, nachdem es Tränengas im Umfeld der Proteste in Gaza eingeatmet hatte.

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