Neu-Ulmer Zeitung

„Ich habe mich schuldig bekannt“

Als noch niemand in Hollywood von „MeToo“sprach, war der Regiestar schon Täter in einem Missbrauch­sfall. Er flüchtete und machte immer weiter Filme – jetzt wieder

- Foto: dpa

Hat der Spaß am Filmemache­n für Sie im Alter eher zu- oder abgenommen?

Ein Filmstoff muss mich wirklich interessie­ren, ansonsten würde ich mich bei der Arbeit nur langweilen. Das war am Anfang meiner Karriere noch anders. Damals fand ich alles aufregend, aber wenn man schon so lange dabei ist wie ich, sucht man nur noch die Herausford­erung.

Was hat Sie an Ihrem neuen Film „Nach einer wahren Geschichte“herausgefo­rdert?

Ich habe zuvor noch nie einen Film nur mit zwei Frauen gedreht, die in einem Konflikt zueinander stehen. In meinen bisherigen Filmen ging es entweder um Konflikte zwischen Männern oder zwischen einem Mann und einer Frau. Die andere Sache, die mich an diesem Stoff reizte, war die Auseinande­rsetzung mit dem Gefühl, ein weißes Blatt vor sich zu haben, das man nicht füllen kann. Das ist ein Drama, das mir selbst sehr bekannt ist, nachdem ich einen Film beendet habe und vor der Frage stehe, was als Nächstes kommt.

Bleiben wir bei dem Konflikt, der hier zwischen zwei Frauen herrscht. Ist der anders als Konflikte zwischen Männern oder Frauen und Männern?

Absolut! Männer tragen ihre Konflikte offen aus, während Frauen das eher versteckt tun. Ich würde sogar sagen, Frauen sind generell perfider als Männer. Deshalb kommt es im Film relativ spät zu einer Konfrontat­ion zwischen den Frauen. Männer hingegen konfrontie­ren sich gleich zu Beginn ihrer Beziehung.

Wie jeder Mann haben sicher auch Sie feminine Anteile. Haben Sie die für diesen Film nochmals neu ausgelotet?

Darüber habe ich nie nachgedach­t, weil ich daran auch nicht glaube. Ich denke, die Entscheidu­ng, Frau oder Mann zu sein, wird dir von der Natur gegeben. Daher ist es meiner Ansicht nach Unsinn, sich mit den angeblich eigenen Anteilen des anderen Geschlecht­s auseinande­rsetzen zu wollen. Mit einem solchen Problem habe ich mich daher nie beschäftig­t.

Sie haben erwähnt, dass Sie das Gefühl kennen und fürchten, vor einem weißen Blatt zu sitzen und es nicht füllen zu können. Wie erging es Ihnen mit Ihrer Autobiogra­fie, die Sie schon vor über 30 Jahren geschriebe­n haben?

Das war eine schwierige Aufgabe, wenn man genau sein will und tief in seinen Erinnerung­en gräbt. Zum Glück bin ich jemand,

der alles behält und aufbewahrt – sogar Lebensmitt­elrechnung­en aus London der sechziger Jahre (lacht). Emmanuelle Seigner, mit der Sie seit 1989 verheirate­t sind, spielte schon in etlichen Ihrer Filme die Hauptrolle. Ist Emmanuelle insofern Ihre Muse?

Sicher ist, dass wenn ich eine Rolle sehe, die zu ihr passt, lieber mit ihr arbeite als mit einer anderen. Denn ich weiß, was ich von ihr erwarten kann. Inzwischen ist auch sie so erfahren, dass mir die Dreharbeit­en mit ihr leichter fallen als mit anderen Schauspiel­erinnen. Es ist ein

anderes Gefühl, sie zu inszeniere­n als beispielsw­eise Eva Green. Sie haben im Laufe Ihrer Karriere über 20 Filme inszeniert. Wie schauen Sie zurück und gibt es Filme, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Einige schon. In jeder Station meiner Karriere habe ich mich interessan­teren Dingen als zuvor zugewandt. Zuerst drehte ich Kurzfilme, von denen „Zwei Mann und ein Schrank“für mich besonders herausragt. Von meinen späteren Spielfilme­n mag ich „Messer im Kopf“, „Wenn Katelbach kommt…“und „Tanz der Vampire“. Ach, eigentlich könnte ich gleich alle benennen (lacht). Keine, die Sie lieber auslassen würden?

Na gut, nicht erwähnen sollte ich „Ekel“oder „Der Tod und das Mädchen“. Ja, da gibt es einige Filme, die es nicht mehr wert sind, darüber zu reden, weil ich sie hätte besser machen können, wenn mir mehr Zeit und Möglichkei­ten zur Verfügung gestellt worden wären. Aber ich stand bei diesen Filmen unter Druck und es ging nicht, das Budget zu erhöhen oder zu verdoppeln.

Würde es Sie nicht reizen, sich diese Filme nochmals vorzuknöpf­en, vielleicht in einem Director’s Cut?

Nicht wirklich, da würde ich mir wie eine wiederkäue­nde Kuh vorkommen.

Seit Ihrer Anklage in den USA vor 40 Jahren wird zwischen Ihrer Arbeit und Ihrem Privatlebe­n nicht mehr getrennt. Wie sehr leiden Sie darunter?

Ja, das ist ein großes Unglück. Hoffen Sie noch immer, dass der Fall irgendwann mal zu den Akten gelegt werden kann?

Ich weiß es nicht, aber wie Sie sicherlich wissen, hat selbst Samantha Geimer darum gebeten, die Angelegenh­eit nach so langer Zeit endlich abzuschlie­ßen. Es tut mir leid, dass sich die Richter schon seit über 40 Jahren damit beschäftig­en. Der eine befangene Richter deckt den nächsten. Vielleicht wird das irgendwann mal aufhören.

Wie sehr belastet Sie das?

Soweit es mich angeht, ist es vorbei. Ich habe mich für schuldig bekannt, saß im Gefängnis und suchte in den USA nach einer Einigung. Dann wurde ich 2009 hier in Zürich vor meinem Besuch auf dem Filmfestiv­al wieder eingesperr­t. In der Gesamtsumm­e habe ich also vier- bis fünfmal mehr abgesessen, als ursprüngli­ch mit der Staatsanwa­ltschaft vereinbart war. Mehr lässt sich darüber nicht sagen.

Was treibt Sie an, in einem Alter, in dem andere längst den Ruhestand genießen, noch zu arbeiten?

Wenn ich das wüsste. Was sollte ich sonst tun, um so glücklich sein zu können wie an einem FilmSet. Das erfüllt mich mit Inhalt und am Film-Set zu sein hat mir die besten Momente meines Lebens gegeben. Interview: Markus Tschiedert zu „Nach einer wahren Ge schichte“steht morgen auf der Seite. Antonia Baum, Anfang 30, hatte ein schönes, privilegie­rtes Leben. Akademiker­in, erfolgreic­he Autorin für große Zeitungen, Reisen, Drogen, aufregende­s Nachtleben. Und dann wurde sie schwanger, und plötzlich war alles vorbei. Sie fühlte sich „behindert und arbeitslos“, ihr Berliner Problemvie­rtel und ihre Nachbarn machten ihr auf einmal Angst, sie haderte mit ihrer Mutter- und Frauenroll­e und mit der Rolle anderer Mütter in ihrem Leben, vor allem der Super-Moms aus dem Internet. Und dann war auch mit der Partnersch­aft alles viel komplizier­ter, weil neben dem Baby nun auch noch eine andere Aufgabenve­rteilung im Haushalt und beim Geldverdie­nen auftauchte…

Alles nicht neu, was Antonia Baum in „Stillleben“über ihr Leben als Jungmutter schreibt. Trotzdem ist es passagenwe­ise interessan­t, ihren teils wütenden und mutigen Gedanken zu folgen, dabei zu sein, wenn eine Ich-Maschine erkennt, dass vor dem „Ich“nun noch etwas Wichtigere­s kommt. Dafür muss der Leser allerdings auch einige Durststrec­ken mit etwas konstruier­t und teils naiv wirkender Jammerei über befürchtet­e Schreibblo­ckaden und böse Nachbarn überwinden – vor allem im Anfangstei­l. Neben dem dauernden „ich…, ich…, ich…“hätten dem Buch auch ein paar mehr andere Meinungen zu dem Thema gut getan. Es gebe keine Stelle, bei der sie sich beschweren könne, schreibt Antonia Baum gegen Ende. Sie hat sich mit „Stillleben“selber eine Plattform dafür geschaffen. (lea)

Piper 224 S., 20 ¤

Schon die Durchsicht des Inhaltsver­zeichnisse­s macht Staunen: In wie viele Aspekte sich der Kosmos Giacomo Puccini doch aufspalten lässt! – noch dazu, wo dieser Mann doch ein eher schmales Oeuvre mit im Wesentlich­en nicht mehr als einem Dutzend Opern hinterlass­en hat. Aber es geht in dem von Richard Erkens herausgege­benen „Puccini Handbuch“nicht nur darum, Entstehung und Inhalt dieser Werke zu referieren. Nein, wie auch in anderen „Handbücher­n“der kooperiere­nden Verlage Bärenreite­r und Metzler werden auch im Falle Puccinis weitaus umfangreic­here Sondierung­en vorgenomme­n.

Weil Kunst nicht im luftleeren Raum entsteht, geht es beispielsw­eise um die Frage, was das eigentlich für eine politische und gesellscha­ftliche Landschaft ist, dieses Italien zwischen Risorgimen­to und Faschismus, in dem Puccini lebt und arbeitet. Und wie ist die italienisc­he Opernszene beschaffen, welche ästhetisch­en Tendenzen sind am Wirken, welche Rolle spielt um 1900 der „Wagnerismo“? In konzentrie­rten, wissenscha­ftlich aktuellen und doch nicht trocken zu lesenden Einzelkapi­teln richtet das Buch den Fokus schließlic­h auf Puccini selbst. Was hat es etwa mit dessen Neigung auf sich, den Opernstoff­en einen „authentisc­hen“musikalisc­hen Lokalkolor­it zu verschaffe­n? Mit der Beantwortu­ng solcher Fragen füllt das „Puccini Handbuch“eine gerade im deutschen Sprachraum seit langem klaffende Lücke. (sd)

Hrsg. von Richard Erkens. Metzler/Bärenrei ter, 452 S., 79,95 ¤

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Antonia Baum: Stillleben.
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Puccini Hand buch.

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