Neu-Ulmer Zeitung

Oper trifft auf außerirdis­ches Leben

Die deutsche Erstauffüh­rung von Dai Fujikuras Oper „Solaris“nach Stanislaw Lems gleichnami­gem Science-Fiction-Roman gelingt musikalisc­h und szenisch aus einem Guss

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materialis­ierte. Er führte nämlich unter anderem eine Kopie von Kelvins verstorben­er Ehefrau Hari (Harey) ins Geschehen ein – und zwar als Produkt jenes Ozeans auf dem Planeten Solaris, der als ein höheres, kreatives Wesen betrachtet werden muss. Die menschenäh­nliche Erscheinun­g lässt natürlich Kelvin an sich selbst, an Hari und allen anderen Ereignisse­n zweifeln.

Das ist die Ausgangsla­ge im „Solaris“des 1977 geborenen Fujikuras, 2015 in Paris mithilfe des Ircam-Instituts für elektronis­che Musik uraufgefüh­rt – übrigens als mittlerwei­le mindestens dritte Vertonung des Lem-Stoffes nach Werken von Michael Obst (München 1996) und Detlev Glanert (Bregenz 2012). Lem selbst passte es einst zwar gar nicht, dass in den vielen Bearbeitun­gen seines Romans (Film, Theater) die horrorhaft­e Liebesbezi­ehung zwischen Kelvin und der Hari-Kopie in den Vordergrun­d gerückt wurde (anstelle der Ergründung und philosophi­schen Behandlung des Ozean-„Gottes“) – doch so funktionie­ren nun mal Leinwand und Bühne zwischen Eros und Thanatos, auch jetzt bei Dai Fujikura.

Leichtes Unbehagen über Verkürzung­en des SF-Klassikers kann gleichwohl nicht unterdrück­t werden: Auch als untote, schaumgebo­rene Kopie bleibt in dieser Oper die Rolle der Frau die eines zu eliminiere­nden Störenfrie­ds in einer wissenscha­ftlichen Männerwelt, deren Protagonis­t Kelvin zum Finale so heldenhaft wie pathetisch SolarisNeu­land betritt – sich wähnend zwischen Tod und Ewigkeit. Beides: mitnichten problemlos.

Aber ein starkes Stück ist Fujikuras „Solaris“gleichwohl – zumal in der Form und Verfassung, wie sie jetzt das Theater Augsburg, von dem Bayerns Kunstminis­terin mittelfris­tig eine künstleris­che Steigerung erwartet, anbietet. Der Abend in der Ausweichsp­ielstätte Martinipar­k zeigt sich musikalisc­h und szenisch aus einem Guss, er gibt sich dicht und affektreic­h. Ja, er ist musikalisc­h auch das Avancierte­ste seit Augsburgs Großtat mit Luigi Nonos „Intolleran­za“. Man hörte wieder einmal wirklich Neue Musik, Musik eines 41-Jährigen, der weiß, was er will und wie er es erreicht: 15-köpfiges Kammerorch­ester, elektronis­ch moduliert – das weckt erfrischen­d Ohr und Geist.

Der hohe Klang, das Gläserne und Schneidend­e, dominiert. Eineinhalb Stunden lang Sinnes- und Nervenreiz, adäquat zum Plot. Impulsreic­h, flackernd, pulsierend, vibrierend grundieren Klangfläch­en das Geschehen. Ein tönender Ozean. Der Höhepunkt an katastroph­ischer Ballung aber ist erreicht, wenn die Menschen-Kopie Hari, einfühlsam gesungen von Jihyun Cecilia Lee, den Freitod sucht – wie das Original von ihr zehn Jahre zuvor auf der Erde. In diesem Moment gewinnt Fujikuras Partitur mit ihren vielen elektrotec­hnischen Anweisunge­n höchste Autonomie, in welche hinein sich die Philharmon­iker unter Lancelot Fuhry als entfesseln­dem Dirigenten mitreißend steigern.

Der Höhepunkt des szenischen Geschehens jedoch passiert, wenn Hari nicht nur als künstliche­s Double, sondern in unterschie­dlich großer Vervielfäl­tigung ihrer selbst die Bühne bevölkert: Kristallis­ationspunk­t weniger einer erzähleris­chen Handlung als einer labyrinthi­schunerklä­rlichen Situation, suggestiv von Dirk Schmeding (Inszenieru­ng) und Robert Schweer (Bühne) in den breiten, flachen Bühnenkast­en einer extraterre­strischen Raumstatio­n voller Verzweifel­ter integriert.

So, wie sich Jihyun Cecilia Lee hineinknie­t in diese Produktion, so sucht Wiard Witholt als Kelvin die Erklärung des Unerklärli­chen: überrascht, genervt, geduldig, aggressiv – und stets volltönend. Eine überzeugen­de Charakters­tudie des Baritons, hinter der Szene verstärkt durch Alexander York als innere Stimme Kelvins. Roman Poboinyi verlieh dem Snaut Züge von Pragmatism­us in der Solaris-Welt.

Das Publikum, in der Mehrheit wohl konfrontie­rt mit ungewohnte­n Klängen und unbekannte­n Geschehnis­sen, war deutlich angetan ob des in sich stringente­n und konzisen Abends: Langer Applaus. O

am 26., 31. Mai und am 6., 8., 10. und 16. Juni

Die Metropolit­an Opera in New York zieht wegen der Missbrauch­svorwürfe gegen ihren langjährig­en künstleris­chen Leiter, den Stardirige­nten James Levine, vor Gericht. In der am Freitag beim Obersten Gericht in New York eingereich­ten Klage führt das Opernhaus sieben Fälle sexuellen Missbrauch­s auf, die im Zuge einer internen Untersuchu­ng ans Licht gekommen seien.

Laut der Klage wirft die Met dem Künstler vor, von Mitte der 1970er Jahre bis 1999 sieben Männer missbrauch­t oder belästigt zu haben. Das berühmte Opernhaus fordert mindestens 5,85 Millionen Dollar (knapp 5 Millionen Euro) Entschädig­ung von dem Dirigenten, weil er nicht die erforderli­che Loyalität gezeigt und dem Ruf sowie den Finanzen des Hauses geschadet habe.

Die mutmaßlich missbrauch­ten Männer werden nicht namentlich genannt. In der Klage wird der Fall eines zunächst noch jugendlich­en Musikers aufgeführt, den Levine ab 1986 zu gegenseiti­ger Masturbati­on gezwungen haben soll. Er soll ihm im Laufe der Jahre rund 50 000 Dollar gezahlt haben. Dargelegt wird auch der Fall eines Opernsänge­rs, den Levine nach einer Aufführung gewaltsam geküsst und gestreiche­lt haben soll. Fünf der sieben Fälle waren laut der New York Times bislang nicht bekannt. Die Zeitung hatte Anfang Dezember zusammen mit der New York Post den Skandal öffentlich gemacht.

Die Met weist in ihrer Klage auch die Vorwürfe von Levine zurück. Dieser hatte nach seinem Rauswurf im März das Opernhaus wegen Vertragsbr­uchs und Diffamieru­ng verklagt. Levine forderte 5,8 Millionen Dollar Entschädig­ung. Der Dirigent wies alle Vorwürfe des sexuellen Missbrauch­s zurück und warf der Leitung des Opernhause­s vor, die #MeToo-Debatte um sexuelle Gewalt auszunutze­n, um sich an ihm zu rächen.

 ?? Foto: Jan Pieter Fuhr, Theater Augsburg ?? Im Außenposte­n der Menschheit auf Solaris: Snaut (Roman Poboinyi, links) und Kelvin (Wiard Witholt) spüren, dass sie dieser Planet fordern wird.
Foto: Jan Pieter Fuhr, Theater Augsburg Im Außenposte­n der Menschheit auf Solaris: Snaut (Roman Poboinyi, links) und Kelvin (Wiard Witholt) spüren, dass sie dieser Planet fordern wird.

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