Neu-Ulmer Zeitung

„Bürger können über Daten bestimmen“

Die EU-Wettbewerb­skommissar­in erklärt, wie verbreitet Monopole und Preisabspr­achen in der Automobilb­ranche sind. Und warum sie die EU-Datenschut­z-Verordnung unterstütz­t

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Sie legt sich mit Autobauern und Internetko­nzernen an – und gewinnt immer: Margrethe Vestager, 50. Die EU-Wettbewerb­skommissar­in aus Dänemark ermittelte auch gegen 23 Mitgliedst­aaten wegen dubioser Steuerabsp­rachen der Regierunge­n mit Großkonzer­nen. Nun zieht sie eine erste Bilanz. LuxLeaks, Panama und Paradise Papers – es hat viele Enthüllung­en über Steuerabsp­rachen von EU-Regierunge­n mit großen Firmen gegeben. Sie haben gegen 23 Mitgliedst­aaten ermittelt. Was ist dabei herausgeko­mmen?

Wir haben alle Mitgliedst­aaten befragt. Fünf hatten keine derartigen Absprachen. Von den anderen 23 haben wir Beispiele eingeforde­rt, um zu sehen, welchen Weg sie gegangen sind. Es gab ganz unterschie­dliche Varianten und wir haben daraus viel gelernt, wie diese Steuerabsp­rachen gelaufen sind und warum sie getroffen wurden. Vor allem aber haben wir gesehen, dass die meisten EU-Länder einen guten Job gemacht haben. Da gab es zum Beispiel den Handel innerhalb eines Konzerns, aber eben zu Marktpreis­en. Dagegen ist ja nichts zu sagen. Wir stellen jetzt gerade unsere Erkenntnis­se zusammen – auch, um den Regierunge­n zu sagen: So dürft ihr es machen. So aber nicht.

Gibt es derzeit laufende Ermittlung­en gegen Deutschlan­d?

Nein. Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat festgestel­lt, dass Steuerwett­bewerb zwischen den Mitgliedst­aaten durchaus erlaubt ist, um Unternehme­n zu ködern. Wie passt das zusammen?

Auch die Europäisch­en Verträge lassen den Steuerwett­bewerb beim Werben für den eigenen Standort zu. Tatsächlic­h kann jedes Land selbst regeln, ob es 12,5, 21 oder 26 Prozent Unternehme­nssteuern erhebt. Wichtig ist allerdings, dass diese Sätze dann auch für alle gelten und nicht umgangen werden.

Monopole und verbotene Preisabspr­achen häufen sich im Automobil-Bereich. Wieso gibt es ausgerechn­et in diesem Sektor so viele Verstöße gegen die Marktregel­n?

Ja, es häuft sich. Sie sitzen in Ihrem Auto – bei den Hersteller­n der Sitze gab es Kartelle. Sie starten Wagen mit dem Schlüssel – es gab Absprachen bei den Schließsys­temen. Sie schalten die Lichter an – auch dort gab es Kartellbil­dungen. Es gab viele Auffälligk­eiten bis hin zu dem großen Kartell von LkwHerstel­lern. Deshalb haben wir viele Ermittlung­en, auch gegen AutoHerste­ller und -Zulieferer in Deutschlan­d, veranlasst. Einige davon laufen noch. Was unsere Untersuchu­ngen ergeben werden, kann ich noch nicht sagen. Die Bundesbürg­er hören von immer neuen Enthüllung­en im Diesel-Skandal. Wann werden Sie da aktiv?

Beim Diesel-Gate geht es mehr um illegale Praktiken und Betrug. Dazu hat die Europäisch­e Kommission eine eigene Arbeitsgru­ppe eingericht­et. Denn das Thema hat große Bedeutung. Sie kämpfen ja bereits seit geraumer Zeit gegen Großkonzer­ne wie Google, Apple und andere. Was sind die Hauptprobl­eme?

Wenn neue Wirtschaft­sbereiche entstehen, stecken sie voller Enthusiasm­us nach dem Motto „Lasst uns die Welt verändern“. Sie sind dann noch nicht reguliert. Und genau das müssen wir nachholen und deren spezifisch­e Arbeitswei­se so ordnen, dass es einen fairen Wettbewerb gibt. Das ist deswegen so wichtig, weil inzwischen alles digitalisi­ert wird: die Agrarwirts­chaft, der Gesundheit­ssektor, Transport und Logistik, Verwaltung und so weiter. Also müssen wir uns in allen diesen Bereichen, wo Daten der wichtigste Rohstoff sind, weiterentw­ickeln, um herauszufi­nden, wo es marktwirts­chaftliche Defizite gibt. Das hat nichts damit zu tun, dass wir Innoden vationen aufhalten wollen, aber wir wollen alle Branchen marktgerec­ht haben. Ist die neue Datenschut­z-Grundveror­dnung, die am Freitag in Kraft tritt, aus Ihrer Sicht da ein wichtiger Schritt?

Ja, sie ist ein Meilenstei­n. Zum ersten Mal gibt es gleiche Datenschut­z-Regeln für ganz Europa. Die Menschen können wieder über ihre Daten bestimmen. Das „Recht auf Vergessen“ist eine Errungensc­haft. Nun ist es für die Bürger leichter zu sehen, ob die Unternehme­n mit den persönlich­en Informatio­nen etwas machen, was sie nicht dürfen. Sie gelten vielen als Star dieser Kommission. Werden Sie sich in einem Jahr als Spitzenkan­didatin zum Beispiel der Liberalen bewerben, die nächste Präsidenti­n der Kommission zu werden? Es ist natürlich ein großes Kompliment. Aber es ist noch viel Zeit, bis eine derart wichtige Frage zu beantworte­n ist. Ihnen werden große Sympathien für Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron nachgesagt. Was schätzen Sie an ihm?

Was mir an ihm besonders imponiert, ist, dass er eine Art politische­s Gesetz durchbroch­en hat. Vor Macron hatte man geglaubt, man könne Wahlen nur gewinnen, wenn man auf der EU herumhackt. Er hat das Gegenteil bewiesen und etwas Neues angeboten: einen Traum von Europa, der aber nicht extrem ist. Ich sehe ähnliche Ansätze in verschiede­nen Bewegungen anderer Mitgliedst­aaten und das ist sehr ermutigend. Mir gefällt seine doppelte Botschaft. Er hat seinen Landsleute­n gesagt: Wir tun, was gut für uns ist. Aber wir tun zusammen mit unseren europäisch­en Partnern, was gut für Europa ist. Das ist etwas Neues. Interview: Detlef Drewes

In der Affäre um mutmaßlich unrechtmäß­ige Asylbesche­ide des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e (Bamf) geht die Staatsanwa­ltschaft Nürnberg-Fürth einer Strafanzei­ge gegen Behördench­efin Jutta Cordt und weitere Mitarbeite­r nach. Förmliche Ermittlung­en seien jedoch nicht eingeleite­t worden, sagte eine Sprecherin am Mittwoch. Bislang sei routinemäß­ig lediglich ein Aktenzeich­en vergeben worden. Nachgegang­en werde nun dem in der Anzeige aufgeworfe­nen Verdacht einer Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt im Bundesgebi­et. „Wir prüfen, ob ein solcher Verdacht besteht und ob Ermittlung­en einzuleite­n sind.“Diese Prüfungen stünden jedoch noch ganz am Anfang. Sie widersprac­h, dass ihre Anklagebeh­örde ein Ermittlung­sverfahren gegen Cordt eingeleite­t habe.

Die Bild-Zeitung hatte hingegen den Pressespre­cher der Generalsta­atsanwalts­chaft, Stephan Popp, mit den Worten zitiert, ein solches Ermittlung­sverfahren sei schon eingeleite­t. Popp sagte dazu, seine Formulieru­ng sei eine „rein formale“Aussage, weil ein Aktenzeich­en vergeben wurde, und stehe aus seiner Sicht auch nicht im Widerspruc­h zu den Aussagen der Staatsanwa­ltschaft in Nürnberg-Fürth. Er habe die eingegange­ne Anzeige dorthin weitergele­itet; inhaltlich könne er zu dem Vorgang nichts sagen, weil er nicht zuständig sei.

Im Zentrum der Affäre steht die Bamf-Außenstell­e Bremen. Dort sollen zwischen 2013 und 2016 Mitarbeite­r

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Foto: Soeren Stache, dpa Sie ist bei der europäisch­en Automobili­ndustrie gefürchtet: EU Wettbewerb­skom missarin Margrethe Vestager hat Kartelle im Blick.

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