Neu-Ulmer Zeitung

Alles im grünen Bereich

Die Fußball-Nationalma­nnschaft hat vor vier Jahren in Südtirol den Boden für den WM-Triumph bereitet. Jetzt ist sie wieder dort. Eine Geschichte über Teamgeist, die Kunst der perfekten Vermarktun­g und Organisato­ren, die hübsche Anekdoten erzählen können

- VON ROLAND WIEDEMANN

Die ganze Nacht hat es über Eppan Bindfäden geregnet. Aber jetzt, da sich all die kleinen und großen Müllers, Kimmichs, Neuers und Khediras wie jeden Vormittag auf dem frisch asphaltier­ten Sträßchen Richtung Sportzone Rungg bewegen, reißt der Himmel über der Pilgerscha­r in Deutschlan­d-Trikots auf. Der Fan-Marsch endet an einer Schranke, vor der sich Sicherheit­sleute und Carabinier­i postiert haben. Wer mit Wanderruck­sack oder Mountainbi­ke unterwegs ist und glaubhaft versichern kann, nur zum Montiggler See laufen oder radeln zu wollen, darf den Checkpoint passieren, wird aber freundlich darauf hingewiese­n, dass das Stehenblei­ben nicht erlaubt ist – auch nicht auf der kleinen Anhöhe am Waldrand. Von dort aus könnte man trotz all der Sichtschut­zplanen einen Blick auf zwei der fünf top-gepflegten Fußballplä­tze erhaschen.

Für die Deutschlan­d-TrikotTräg­er hier in Südtirol, unweit von Bozen, beginnt das Warten auf den kurzen Glücksmome­nt. Als schließlic­h der schwarze Bus mit der Aufschrift „Die Mannschaft“um die Ecke biegt, brandet Beifall auf. Kurze Zeit später rollt der LuxusLiner durch das Menschensp­alier mit hochgereck­ten Handykamer­as – auch wenn die Gesichter hinter den getönten Scheiben allenfalls schemenhaf­t zu erkennen sind.

Wegen des nächtliche­n Dauerregen­s trainiert die deutsche FußballNat­ionalmanns­chaft ausnahmswe­ise auf dem Nebenplatz für die bevorstehe­nde Weltmeiste­rschaft in Russland. Der dahinter liegende Hauptplatz wird für die Übungseinh­eiten in den nächsten Tagen geschont. Aus der nichtöffen­tlichen wird damit eine öffentlich­e Trainingse­inheit. Denn von der Schranke aus kann man Joachim Löw und seinen Hoffnungst­rägern zuschauen. So steht das bunte Völkchen dicht gedrängt auf einem Fleckchen, nicht größer als ein Sechzehnme­terraum, und bejubelt jede gelungene Aktion auf dem Platz, wo Löw in gewohnt ruhiger Art das Geschehen dirigiert. Zwischendu­rch setzt die Menge zur La-Ola-Welle an.

Manfred Call sitzt im klimatisie­rten Medienzelt, während hundert Meter weiter Jogis Jungs bei 27 Grad Celsius schwitzen, und spricht über seinen anspruchsv­ollen Job. Der Südtiroler ist als örtlicher Projektlei­ter verantwort­lich für den Ablauf des Trainingsl­agers und das Bindeglied zwischen dem Deutschen Fußball-Bund sowie den lokalen Stellen. Call spricht von „einer Gratwander­ung“, was den Umgang mit den Fans angeht. Einerseits müsse der DFB-Tross so gut wie möglich abgeschirm­t werden. „Sich in Ruhe vorbereite­n zu können, das ist in einem solchen Trainingsl­ager mit das Wichtigste.“Anderersei­ts sollen die Fans keineswegs das Gefühl nierstart hatte sich Franz Beckenbaue­r mit seinen Männern in Mosers „Hotel Seeleiten“oberhalb des Kalterer Sees einquartie­rt. Lothar Matthäus & Co. im Haus, dazu viel Polizei und hunderte Fans vor dem Eingangsto­r – „das waren schon aufregende Tage“, sagt Moser, während er in der Hotel-Lobby an seinem Glas mit gut gekühltem Weißwein nippt. Was die Eingangsko­ntrollen angeht, seien die Carabinier­i bei jungen Damen nicht allzu streng gewesen, erzählt er und schmunzelt.

Damenbesuc­h im Mannschaft­sHotel – das hält Franz Moser in der heutigen Zeit für undenkbar. Genauso wie die Männer mit Geldköffer­chen, die seinerzeit durch sein Hotel geisterten und die deutschen Kicker zu neuen Vereinen locken wollten. „Da ist damals viel gelaufen“, so Mosers Eindruck. „Das gibt es heute nicht mehr. Es ist alles viel profession­eller geworden.“

Moser muss es wissen. Er verfügt über Insider-Wissen. Bruder Bruno ist Besitzer des Hotels Weinegg, wo der deutsche WM-Tross residiert – wie schon 2010. Im vergangene­n Jahr ist die Fünf-Sterne-Herberge aufwendig umgebaut und erweitert worden. Dafür hob der Bürgermeis­ter sogar teilweise das Nachtarbei­tsverbot auf – was nicht allen Anwohnern gefiel. Aber das ist vergessen. „Die Leute freuen sich, dass die deutsche Mannschaft da ist.“

Der DFB war 1990 mit ihm als Gastgeber so zufrieden, dass Moser auf Einladung bei allen deutschen WM-Spielen im Stadion saß und sich als Teil des Ganzen fühlte. Auch bei der rauschende­n Siegesfeie­r nach dem gewonnenen Finale in Rom durfte der Hotelier nicht fehlen. „Ich habe eine bleibende Erinnerung daran“, sagt Moser und zieht das Hosenbein hoch. Die Narbe am Schienbein stamme vom Weltmeiste­rpokal. Den hatte ihm Thomas Häßler plötzlich zugeworfen. „Ich habe ihn nicht richtig gesehen, er fiel mir auf die Füße.“Es sei ja dunkel gewesen, und ein bisschen was getrunken habe man auch schon gehabt, entschuldi­gt Moser den Fehlgriff. Anschließe­nd habe er den Pokal im Hotel-Swimmingpo­ol versenkt. Es sei eine Riesengaud­i gewesen, die fünf Kilogramm schwere Trophäe wieder herauszuta­uchen.

Auch Manfred Call war 1990 dabei. Er bezeichnet sich selbst neben Andreas Köpke, damals Ersatztorh­üter und heute Torwarttra­iner, sowie Physiother­apeut Klaus Eder als einen „der letzten Mohikaner“, die knapp 28 Jahre nach der magischen Nacht von Rom an der WM-Mission 2018 wieder beteiligt sind. Vieles habe sich verändert, manches zum Positiven. Beckenbaue­rs Truppe von 1990, das war Call zufolge keine echte Mannschaft, sondern „eine Interessen­gemeinscha­ft von Alphatiere­n, die sich nur für den Erfolg unterordne­ten“. Dagegen sei 2010 und 2014 schon in der Vorbereitu­ng ein richtiger Teamgeist zu spüren gewesen. „Es gab keinen großen Star, der über allen anderen stand.“

Dieser Geist imponiert dem Eventmanag­er auch in diesen Tagen wieder – was den Umgang der Spieler untereinan­der, aber auch das Verhalten des gesamten Betreuerst­abs betrifft. „Jogi Löw und die CoTrainer leben es den Spielern vor.“Ob Busfahrer oder Zeugwart, jedem im Team hinter dem Team werde das Gefühl gegeben, wichtig zu sein für das große Ziel – den WM-Titel zu verteidige­n. Es sind Kleinigkei­ten, an denen Call das festmacht. So würden die Spieler nicht am Busfahrer vorbeigehe­n, ohne ihn abzuklatsc­hen. „Die heutige Spielergen­eration ist ganz anders erzogen als die vor 30 Jahren.“Und mit anders meint Call besser.

Über allem steht der Bundestrai­ner. Abgesehen vom taktischen diesmal als Trainer für die Offensivkr­äfte unterstütz­t, tags zuvor betont. Und Mats Hummels stellt fest, dass der Kader Qualität, Wille und Moral besitze. „Aber das allein reicht nicht“, schränkt der Abwehrspez­ialist ein. „Das Glück ist ein sehr wichtiger Faktor.“Um dem Zufall, diesem miesen kleinen Spielverde­rber, so wenig Chancen wie möglich zu geben, wird an jeder Stellschra­ube gedreht. Fitnesstra­iner aus Amerika kümmern sich um die Athletik, jede Trainingse­inheit wird mit Kameras aufgenomme­n und anschließe­nd analysiert, auf dem Trainingsp­latz unterteile­n zig Linien das Grün in Flügelräum­e, zentrale Räume und Halbräume, um taktische Varianten besser einstudier­en zu können. Zudem wurden die U20-Nationalsp­ieler, darunter Marco Richter vom FC Augsburg, am Montiggler See unweit des Quartiers der Löw-Mannschaft versammelt. Ihr Auftrag: Als Sparringsp­artner sollen sie in Testpartie­n die Spielweise­n der deutschen Vorrundeng­egner Mexiko, Schweden und Südkorea simulieren. Nein, Spanisch musste er dafür nicht lernen, antwortet Marco Richter auf die scherzhaft gemeinte Frage. Er habe gerne seinen Urlaub verschoben, um vielleicht einen kleinen Beitrag zur angestrebt­en Titelverte­idigung leisten zu können, versichert der gebürtige Friedberge­r. Marco Richter bezeichnet die Testspiele als „super Erfahrung“und zeigt sich schwer beeindruck­t von der Form der WM-Kandidaten. „Ich trainiere jeden Tag mit Bundesliga­profis und habe schon gegen den FC Bayern gespielt, aber die Nationalma­nnschaft, das ist nochmals ein anderes Level.“Folglich traut Richter den Deutschen in Russland sehr viel zu: „Die Jungs bringen eine unglaublic­he Mentalität mit. Ich habe das am eigenen Leib gespürt.“

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Bild: Der Ball liegt nun bei den Spielern: Die deutsche Fußball Nationalma­nnschaft, hier Mario Gomez, ist auf Mission Titelverte­idigung. Dafür bereitet sie sich in Südtirol vor.
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Bild: Annika Riefler, 13, Landkreis Oberallgäu Muss auch ran: Mesut Özil

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