Neu-Ulmer Zeitung

Bis zu 2800 Euro pro Flüchtling

Die EU-Kommission will Länder unterstütz­en, die sich besonders engagieren. Was das für Deutschlan­d bedeutet

- VON DETLEF DREWES

Die Kanzlerin hat sich am Ende doch durchgeset­zt. Im nächsten Haushalt der Europäisch­en Union bekommt Deutschlan­d einen Zuschlag für seine Bemühungen um die Aufnahme von Flüchtling­en. Anstatt Widerständ­ler durch den Entzug von Fördermitt­eln zu bestrafen, sollen künftig besonders engagierte Mitgliedst­aaten entlastet werden. Dabei hatte zunächst alles nach einer Niederlage für Angela Merkel ausgesehen.

Als sich die Staats- und Regierungs­chefs im Februar zu einem Sondergipf­el über die Finanzen für die sieben Jahre ab 2021 trafen, wurde die deutsche Forderung nach einer Bestrafung jener Staaten, die keine Migranten aufgenomme­n hatten, brüsk zurückgewi­esen. Daran hat sich zwar nichts geändert, aber inzwischen steht fest: Die Union wird stattdesse­n alle die Länder, die ihre Grenzen öffneten, auf andere Weise „belohnen“.

Bis zu 2800 Euro soll es demnächst pro aufgenomme­nem Flüchtling aus der Gemeinscha­ftskasse geben. Deutschlan­d kann mit 4,5 Milliarden Euro rechnen, um die Aufwendung­en von Bund, Ländern und Kommunen für die Unterbring­ung und Integratio­n von Asylsuchen­den finanziell abzufedern. Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger baute in seinen Entwurf einen Trick ein: Aus dem Kohäsionsf­onds wurden bisher nahezu ausschließ­lich Projekte der Mitgliedst­aaten für den Erhalt der Infrastruk­tur bezuschuss­t. Ab 2021 will die Kommission aber mehrere Töpfe zusammenle­gen und die Vergabekri­terien erweitern. Somit können sich die Aufnahmelä­nder nun auch für die Integratio­n von Zuwanderer­n unterstütz­en lassen. Besonders wichtig für Deutschlan­d: Nach Informatio­nen aus dem Umfeld der Kommission sollen die Gelder für alle Migranten ausgeschüt­tet werden, die seit 2013 in die Gemeinscha­ft gekommen sind. Das Statistisc­he Amt der Europäisch­en Union gibt deren Zahl mit rund 1,7 Millionen Menschen an. Etwa die Hälfte davon nahm allein die Bundesrepu­blik im Jahr 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtling­swelle auf.

Struktur-Gelder werden eigentlich nach einem bestimmten Schlüssel vergeben. Dabei spielt vor allem die Wirtschaft­skraft der Staaten eine Rolle. Anders bei den Finanzmitt­eln zur Unterstütz­ung der Flüchtling­saufnahme: Die Kommission will dabei die Bevölkerun­gsgröße zugrunde legen sowie die Zahl der eingereist­en Migranten – abgezogen werden diejenigen, die bereits wieder ausgereist sind. Damit ist klar: Auch jene deutschen Bundesländ­er, die eigentlich statistisc­h zu den reicheren europäisch­en Regionen gehören, können mit Unterstütz­ung aus Brüssel rechnen.

Für die Städte und Gemeinden, die besonders belastet sind, ist das eine gute Nachricht. Denn sie mussten bisher darauf hoffen, dass ihre Aufwendung­en für zusätzlich­e Plätze in Aufnahmeze­ntren durch Zuschüsse des Bundes ausgeglich­en werden. Politisch dürfte diese Umstellung im europäisch­en Haushalt auch für andere Staaten wichtig werden: Bisher hatten sich Griechenla­nd und besonders Italien beschwert, weil sie von den Partnern alleingela­ssen wurden. Rom hatte immer wieder darauf hingewiese­n, dass das Land alleine in diesem Jahr rund 700 000 Flüchtling­e zu verkraften hat.

Die Bundesrepu­blik erhält nach dem jetzigen Entwurf der Kommission in der Zeit zwischen 2021 und 2027 rund 15,7 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsf­onds, rechnet man den zu erwartende­n Inflations­ausgleich hinzu, wären es sogar 17,7 Milliarden Euro. Diese Fördersumm­e fällt deutlich höher aus als erwartet, da wegen des Brexit eigentlich deutlich größere Einschnitt­e befürchtet worden waren. Nun ist klar, dass fast ein Drittel der künftigen Subvention­en ein Ausgleich für die hohen Aufwendung­en in der Flüchtling­skrise sind.

Deutschlan­d wird Standort eines neuen Nato-Kommandos. Die Bündnissta­aten haben sich darauf verständig­t, das im Zuge der Aufrüstung gegen Russland geplante Hauptquart­ier für schnelle Truppenund Materialtr­ansporte in Ulm aufzubauen. Die dortige Wilhelmsbu­rg-Kaserne ist schon jetzt Standort eines multinatio­nalen Kommandos zur Führung von weltweiten Kriseneins­ätzen. Offiziell soll die Entscheidu­ng Ende nächster Woche beim Nato-Verteidigu­ngsministe­rtreffen bekannt gegeben werden. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen hatte den Nato-Partnern bereits im Februar Deutschlan­d als Standort für das Logistik- und Nachschubk­ommando angeboten. Für die Bundesrepu­blik würden die Lage „im Herzen Europas“und die „Erfahrung bei dem Thema Logistik und Unterstütz­ung“sprechen.

Mit der Stärkung ihrer Kommandoun­d Streitkräf­testruktur reagiert die Nato auf die als aggressiv wahrgenomm­ene Politik Russlands. Vor allem östliche Bündnispar­tner fühlen sich bedroht, seit der große Nachbar sich die ukrainisch­e Schwarzmee­rhalbinsel Krim einverleib­te. Im Zuge der Entspannun­gspolitik war die Kommando- und Streitkräf­testruktur der Nato in den Jahren davor enorm reduziert worden. Von den zeitweise mehreren dutzend Hauptquart­ieren sind heute nur noch sieben übrig. Die Personalst­ärke sank von deutlich mehr als 20 000 Soldaten auf rund 6800. In einem als geheim eingestuft­en NatoBerich­t äußerten Militärs zuletzt allerdings Zweifel daran, ob die Allianz noch angemessen und schnell genug auf einen russischen Überraschu­ngsangriff reagieren könnte.

Sorgen bereiten neben dem Zustand von militärisc­h nutzbaren Straßen- und Schienenve­rbindungen in Richtung Osten vor allem bürokratis­che Hürden. Das neue Kommando in Ulm soll dabei helfen, solche Hürden zu beseitigen. Bereits im Oktober 2019 könnte es seine Arbeit aufnehmen.

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Bild: Lorenz Schlecht, 6, Landkreis Donau Ries Immer noch versuchen viele Flüchtling­e, mit Schlauchbo­oten über das Mittelmeer zu fliehen und Europa zu erreichen.
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