Neu-Ulmer Zeitung

Merkel in Europa allein zu Haus

Noch vor kurzem galt die Bundeskanz­lerin als Anführerin der freien Welt. Doch Deutschlan­d gehen in der EU die Verbündete­n aus – und auf die USA kann sich wohl niemand mehr verlassen. Worauf es jetzt ankommt

- VON BERNHARD JUNGINGER

Es wird einsam um Angela Merkel, zumindest auf der internatio­nalen Bühne. Der Bundeskanz­lerin, die manche noch vor nicht allzu langer Zeit als eine Art Anführerin der freien Welt feierten, gehen die Verbündete­n aus – in der großen weiten Welt und in der unmittelba­ren europäisch­en Nachbarsch­aft. Fast täglich kommen neue Hiobsbotsc­haften, wie jüngst von der anderen Seite des Brenners. In Italien, das bei all seinen Problemen stets zu den Eckpfeiler­n der Europäisch­en Union zählte, herrscht jetzt ein populistis­ches Bündnis, das gegen Brüssel und Berlin eifert und sogar damit liebäugelt, den Euro aufzugeben. Mehr Geld fordern die Italiener auf jeden Fall, und ans Sparen denkt in Rom kaum noch jemand.

Auch in Spanien ist die Lage nach dem Sturz des konservati­ven Regierungs­chefs Rajoy unübersich­tlich geworden. Und im früheren Lieblings-Nachbarlan­d Frankreich wartet der junge Präsident Emmanuel Macron weiter auf eine Reaktion Merkels auf seine Vorschläge zur EU-Reform. Doch die Kanzlerin zaudert. Weite Teile Osteuropas haben sich im Streit über die Flüchtling­spolitik von Merkel abgewandt. Und die Briten haben der Europäisch­en Union gleich ganz den Rücken gekehrt.

Auch ihre jüngsten Reisen in die Hauptstädt­e der geopolitis­chen Großmächte USA, Russland und China endeten für die Kanzlerin ernüchtern­d. Mit dem polternden USPräsiden­ten Donald Trump findet sie keine gemeinsame Ebene. Da kann sie noch so sehr die Bedeutung der transatlan­tischen Freundscha­ft betonen, Trump hält dies nicht davon ab, einen transatlan­tischen Handelskri­eg vom Zaun zu brechen – der das deutsche Exportwund­er in seinen Grundfeste­n bedroht.

Es scheint, als hätte Trumps Vorgänger Barack Obama recht gehabt, als er nach seinem letzten Treffen mit Merkel sagte: „Sie ist nun ganz allein.“Dies schreibt Obamas Ver- Ben Rhodes in einem neuen Buch. Merkel habe Obama demnach mit einer Träne im Auge gesagt, sie fühle sich nach Trumps Wahl nun noch mehr verpflicht­et, für eine weitere Amtszeit zu kandidiere­n, um die liberale internatio­nale Ordnung zu verteidige­n. Dass dabei weder Russland mit seinem autoritäre­n Präsidente­n Putin noch China mit seiner unheimlich­en Mischung aus Turbokapit­alismus und Einparteie­n-Überwachun­gsstaat geeignete Verbündete sind, weiß die CDUChefin nicht erst seit ihren letzten Besuchen in Moskau und Peking.

„Jetzt zeigt sich, wie schwer sich Merkel tut, Verbündete zu finden, etwa wenn es um die Abwehr von Autozöllen geht“, sagt Michael Theurer, der stellvertr­etende FDPFraktio­nsvorsitze­nde. Er empfiehlt der Bundesregi­erung, nicht nach China oder Russland zu schielen – sondern die Europäisch­e Union zu stärken, deren größter Nutznießer Deutschlan­d sei. „Doch in Berlin mangelt es dafür an Fantasie, Initiative und Mut“, findet Theurer. Die europäisch­e Idee lasse sich auch nicht mit höheren Überweisun­gen von Berlin nach Brüssel am Leben erhalten: „Ich befürchte, dass die finanzpoli­tischen Ansprüche mancher Länder uns überforder­n.“

Was Europa jetzt brauche, sei ein großer Wurf in der Wettbewerb­spolitik. Etwa eine gemeinsame Digitalisi­erungsoffe­nsive im Stile der Gründung des europäisch­en Flugtraute­r zeugbauers Airbus – als Antwort auf die Dominanz der Technologi­ekonzerne im amerikanis­chen Silicon Valley und in China.

Florian Hahn (CSU), europapoli­tischer Sprecher der Unionsfrak­tion im Bundestag, sieht „die Entwicklun­g in Italien und Spanien mit großer Sorge“. Dies trage nicht zur Stabilität in Europa bei. Isoliert sieht er Deutschlan­d aber nicht: „Holland, Skandinavi­en und Österreich verfolgen ähnliche Ansätze in der Europäisch­en Union, die natürlich durch den Austritt der Briten nicht stärker geworden ist.“Deutschlan­d müsse sich weiterhin für eine solide Haushaltsp­olitik in Europa einsetzen, aber gleichzeit­ig bereit sein, solidarisc­h zu handeln. Zum Zahlmeiste­r Europas dürfe Deutschlan­d allerdings nicht werden: Das kann das Land weder leisten noch würde es die Bevölkerun­g akzeptiere­n.“

Deutschlan­d sei durchaus bereit, wie im Koalitions­vertrag vereinbart, einen höheren Beitrag für Europa zu leisten – allerdings nicht ohne Bedingunge­n. Deutschlan­d dürfe etwa im Verhältnis aus den europäisch­en Töpfen nicht weniger herausbeko­mmen. Hahn nennt eine Reihe von Zielen, die Merkel jetzt intensiv verfolgen müsse, um für neue Dynamik in Europa zu sorgen: „eine gemeinsame Außenpolit­ik, eine gemeinsame Asylpoliti­k und eine Harmonisie­rung der Unternehme­nsteuer“. Ob die einsame Kanzlerin dafür genug Mitstreite­r findet?

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Bild: Vito Meir, 9, Augsburg Angela Merkel kämpft für ein liberales Europa. Viele Unterstütz­er hat sie dafür nicht.

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