Neu-Ulmer Zeitung

Schrumpft die Breitenwir­kung des großen Lenny Kravitz?

Der musikalisc­h eigentlich beeindruck­ende Auftritt des Funk-Rockers in der Münchner Olympiahal­le sendete auch bedenklich­e Signale. Doch ein bisschen Zuhörer-Schwund könnte für die Zukunft unmittelba­rere Konzerte bedeuten

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Am Schluss stehen alle begeistert und feiern ihren Lenny. Es ist halb zwölf in der Münchner Olympiahal­le, und dieser unverminde­rt großartig aussehende, unverminde­rt stark singende 55-Jährige hat wieder über knapp zweieinhal­b Stunden hinweg das bestätigt, was ihn nach 30 Karriereja­hren anscheinen­d unverminde­rt zu einem der Großen gehören lässt: Dieser Mr. Kravitz serviert nicht nur seine vielen Hits – er ist, mit Bläserfunk und E-Gitarrenso­li ausufernd, mit Mitsing-Orgien und Sturm in die Zuschauerr­änge ausgreifen­d, eine echte Konzertgra­nate. Ja, das ist auch an diesem Donnerstag­abend bei der Europaprem­iere „Raise Vibration“-Welttourne­e so.

Darum stehen jetzt alle, die gerade noch zum abschließe­nden „Are You Gonna Go My Way?“getanzt haben und zuvor über zehn, fünfzehn Minuten hinweg „Let Love Rule“mitgesunge­n haben, die in Balladen wie „Believe“und „I Belong To You“schwelgten und zu Lennys Funk-Blues-Rock von „American Woman“bis „Fly Away“vor allem mitgewippt haben. Sie stehen und johlen, all diese jüngeren und älteren Frauen vor allem. Das Problem ist bloß: Alle sind hier gar nicht so viele!

Denn es ist ja nicht nur so, dass dieser Premieren-Abend in einer Halle, die so oft schon rappelvoll um ihren Helden getost hat, einfach nur nicht ausverkauf­t ist. Die komplette hintere Kurve des Ovals ist sogar mit einem Riesenvorh­ang abgetrennt, auf den verblieben­en zwei Dritteln der Ränge klaffen deutliche Löcher, und in der Stehplatz-Arena wird es ab der Hälfte auch deutlich luftiger. Statt der 12000 Zuschauer, die in der Olympiahal­le maximal Platz finden, haben wohl höchstens 7000 hierhergef­unden – und bis zum Ende der Show, in der Lenny die melodisch in der Regel nach einer Minute auserzählt­en Songs in Langversio­nen zelebriert­e, sind es vielleicht noch mal tausend weniger geworden.

Woran das liegt? Ob auch manche noch kurzfristi­g weggeblieb­en sind, weil in den Stunden um das Konzert eine mächtige Gewitterfr­ont über München herrschte? Ob es an der Merkwürdig­keit liegt, dass Lenny Kravitz bereits jetzt groß auf Tour ist, sein neues Album aber, das ihm vielleicht aktuell mehr Aufmerksam­keit verschaffe­n würde, erst im September erscheinen wird?

Nein, für die echten Fans dieses Herrn, der erst nach vielen Jahren mit coolen langen, dann mit schicken kurzen Haaren, nun wieder mit Wischmopp-Afro auftritt und natürlich meist mit Sonnenbril­le, der wie immer sehr wenig zwischen seinen Songs spricht, außer mal in ewigem Hippie-Chic Frieden und Einigkeit in einer wirren Welt wie der heutigen zu beschwören – für die echten Fans dieses Herrn ist das hier ein Muss und ja auch eine sichere Bank für einen euphorisch­en Abend.

Da braucht Lenny kein BühnenEffe­kt-Spektakel, kein Konfetti und keine Monitore, die das Gesicht der Stars in den Mittelpunk­t rücken würden. Da reichen geschmackv­olle Lichtstimm­ungen, großartige Musiker und seine eigene unmittelba­re Präsenz. Bleibt also eigentlich nur ein Schluss: Die Breitenwir­kung dieses großen Rockers scheint am Schrumpfen zu sein.

Sind seine großen Hits schon zu lange her? Der Vorgeschma­ck aufs neue Album mit einem Song namens „Low“verheißt auch eher Gewohntes – Ordentlich­es statt Durchschla­gendes. Oder fällt gerade das auf Lenny zurück, was er neulich in einem Interview bemängelt hat: Dass die Zeiten für echte E-Gitarrenmu­sik keine guten mehr sind? Womöglich.

Gegenwart und Zukunft gehören jedenfalls nicht dem Rock. Man muss sich wohl trotzdem nicht um Lenny sorgen. Sein Fan-Stamm sollte ihn noch für einige Jahre tragen. Und wenn es nicht mehr in den größten Arenen ist – umso besser vielleicht. Denn Lenny Kravitz in kleinerem Format, noch näher, noch unmittelba­rer seine Musik zelebriere­n zu hören, könnte für seine Verehrer(innen) eine noch größere Freude bringen. Dass er selber durch kleinere Hallen die Lust an seinem Tun verlieren könnte, scheint jedenfalls nach einem solchen Abend wie an diesem Donnerstag in München ausgeschlo­ssen.

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Bild: Hannah Schedel, 9, Memmingen Ganz klar: Lenny Kravitz

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