Neu-Ulmer Zeitung

„Ich war der Tiger, der Ball die Beute“

Harald „Toni“Schumacher hat 422-mal für den 1. FC Köln, 76-mal für Deutschlan­d das Tor gehütet. Er hat das immer auf seine eigene, bestimmend­e Art getan. Ein Gespräch über Karius, Köln und alte Zeiten

-

Herr Schumacher, dass wir das Interview mit der Frage nach Loris Karius beginnen, haben Sie doch geahnt, oder?

Total überrascht bin ich nicht. Der Fallrückzi­eher von Bale war unhaltbar – obwohl mein Credo früher war: Es gibt keine wirklich unhaltbare­n Bälle …

Wir dachten eher an die beiden anderen Tore.

Der Abwurf in den Fuß von Benzema war ein krasser Fehler, da muss man nicht drum herumreden. Links standen viele Spieler frei, die viel besser anspielbar waren. So ein Ding wie bei dem Weitschuss passiert vielen Torhütern mal, das Bittere ist eben, dass es ihm in einem Champions-LeagueFina­le passiert ist, bei dem die ganze Welt zugeschaut hat. Und jetzt hat die ganze Welt Mitleid und tröstet ihn. Wie war das damals bei Ihnen, als Sie im WM-Finale 1986 gegen Argentinie­n eine Flanke nicht erwischt hatten?

Mitleid? Wollte ich nie. Damals in Mexiko habe ich mich nach dem Spiel noch auf dem Platz hingestell­t und den Journalist­en gesagt: Ich habe gehalten wie ein Arsch. Thema durch. Und das entscheide­nde Tor von Buruchaga zum 2:3 habe ich mir gleich noch mit angekreide­t – das war eine Eins-gegen-Eins-Situation, eine meiner Stärken. Ich bin mit Fehlern immer offensiv umgegangen. Mir musste keiner sagen, was ich falsch gemacht hatte – ich habe mich immer sehr streng analysiert.

Sergio Ramos hat Karius kurz vor dem ersten Tor einen Ellbogensc­hlag verpasst. Wir haben uns vorgestell­t, wie Sie darauf reagiert hätten.

Und? Ramos hätte bei nächster Gelegenhei­t die passende Antwort bekommen.

Oder er hätte sich gar nicht erst an mich rangetraut. Es gab nur zwei Bundesliga­stürmer, die bei hohen Bällen immer wieder das Duell mit mir gesucht haben: Dieter Hoeneß und Horst Hrubesch. Alle anderen kamen gar nicht mehr, nachdem ich zu Beginn des Spiels in den ersten Aktionen den Ball so rausgefaus­tet habe, dass klar war, wem der Fünfer gehört.

Wie geht es mit Karius weiter?

Ich hoffe, dass man ihn nicht der Möglichkei­t beraubt, sich zu zeigen. Wenn es anders kommt, wenn Liverpool einen neuen Tor- wart holt, dann gibt es aber nur eins: Dann muss er woanders hingehen. So dreht sich die Welt wieder schnell weiter …

Es hat sich einiges geändert. Unsere Jungs in Köln sind abgestiege­n und wurden trotzdem wohlwollen­d verabschie­det. Heute sind die Leute noch mehr Fan des Vereins, weniger Fan der Spieler, die nur noch kurz da sind. Ich habe 16 Jahre in Köln gespielt, Overath 14, Cullmann und Weber zwölf Jahre. Da wachsen Beziehunge­n. Wenn ich schlecht gehalten habe, musste ich mich zum Beispiel beim Bäcker rechtferti­gen. Heute ist vieles anonymer. Als Fan hast du kaum mehr die Möglichkei­t, den Menschen auf dem Platz kennenzule­rnen. Das spielt eine Rolle, wenn ein Spieler wie Karius Morddrohun­gen bekommt. Er hat ein Tor verschulde­t! Hallo? Es gibt ja wohl Schlimmere­s. Das, was Karius durchmacht, habe ich einmal erlebt: nach dem Fall Battiston (Schumacher knallte mit dem Franzosen bei der WM 1982 so heftig zusammen, dass dieser schwer verletzt wurde). Da war ich der Nazi, es wurde gedroht, meine Kinder zu entführen. Die WM in Mexiko war das letzte Turnier, in dem die Journalist­en im gleichen Hotel gewohnt haben wie die Spieler.

Experiment gescheiter­t. (lacht) Es gab eine gedachte Linie am Pool zwischen uns und den Journalist­en, wie soll das bitte gehen? Wir hatten kein Privatlebe­n mehr. Aber das brauchten wir. Ich habe mich schon damals gefragt: Warum lädt man nicht mal Boris Becker zum Tennis-Turnier ein oder spielt Golf mit Bernhard Langer? Heute gibt es das alles. Die Spieler dürfen nach Hause fahren oder die Familie treffen – damit genau das nicht passiert, was wir oft erlebt haben: Lagerkolle­r. Das Ende beim DFB kam wie in Köln plötzlich nach Ihrem Buch „Anpfiff“, in dem Sie Interna ausplauder­ten und dem Fußball ein Dopingprob­lem bescheinig­ten.

Heute würde ich ein paar Dinge anders machen als damals. Zum Beispiel würde ich heute sagen: Komm, wir machen eine Pressekonf­erenz und klären auf, worum es mir geht. Es gab ja nur einen Vorabdruck und Zitate, aus denen dann schon der Skandal entfacht wurde. Ich hatte keine Chance, mich zu wehren und zu erklären, nicht in nicht beim DFB. Ich war plötzlich die Persona non grata. Was ich nicht anders machen würde, sind die Dinge, die ich geschriebe­n habe. Meine Mutter hat mich so erzogen: ehrlich sein und fleißig sein. Und ich habe die Wahrheit geschriebe­n. Kein Doping im Fußball? Wie viele ehemalige Spieler haben denn inzwischen, Jahre später, gesagt: Ja klar, wir haben auch Captagon, Hustensäft­e oder Ephedrine ausprobier­t? Ich habe nie einstweili­ge Verfügunge­n gegen das Buch bekommen, weil alles gestimmt hat. Oft wird über den Druck gesprochen, der im Fußball auf den Profis lastet. Per Mertesacke­r...

… ich weiß schon: Sein Interview wurde auf die Aussage zugespitzt, dass er froh gewesen sei nach dem Ausscheide­n bei der WM, weil der Druck dann weg gewesen sei. Dass er das so gefühlt hat, finde ich schade, auch wenn ich es für mich nicht nachvollzi­ehen kann. Ich war eben ein ganz anderer Typ. Sie haben sicher damit gerechnet, dass wir auch nach Manuel Neuer fragen?

Klar. Ich habe mich mit Jogi Löw bei unserem Spiel in Freiburg über ihn unterhalte­n. Manuel ist unser bester Torwart und ein großartige­r Junge, aber wenn er vorher nicht spielt, habe ich zu Jogi gesagt, kannst du ihn nicht mitnehmen. Gewundert hat mich übrigens, dass Neuer im Pokalfinal­e nicht geKöln, spielt hat – er war ja fit, denn er saß auf der Bank. Ein bitterer Moment für André ter Stegen. Müsste der nicht mal Ansprüche formuliere­n?

Ganz bitter. Er wird nicht aufbegehre­n, weil er weiß, dass das nichts bringt, schon gar nicht bei Löw.

Sie waren nicht nur auf dem Rasen Ihrer Zeit voraus, sondern auch außerhalb. Sie haben sich psychologi­sch betreuen lassen.

Ja, und zwar zu einer Zeit, als das nicht angesagt war. Damals hätte man noch viel mehr als heute gesagt: Schumacher macht autogenes Training? Ist der krank? Doch ich wollte einfach alles tun, um der Beste zu sein. So bin ich zum autogenen Training gekommen und habe mich mental auf jedes Spiel vorbereite­t. Man kann das auf alten Fotos sehen, wenn ich bei der Hymne die Augen geschlosse­n hatte. Mein Film im Kopf war: Ich bin der Tiger, und der Ball ist meine Beute. Welche Beute bringt die Nationalma­nnschaft aus Russland mit?

Deutschlan­d ist nie zu irgendeine­m Turnier gefahren, um nur ein bisschen mitzuspiel­en. Wir können wieder Weltmeiste­r werden – aber das können die Spanier, die Franzosen und die Brasiliane­r auch.

Warum sind Sie nicht Trainer geblieben, nachdem Sie Präsident Jean Löring bei Fortuna Köln als ersten Trainer überhaupt in der Halbzeit entlassen hatte?

Ich fühlte mich gescheiter­t. Nicht als Torwarttra­iner, aber Cheftraine­r, das hat für mich nicht geklappt. Ich habe von meinen Spielern verlangt, was ich als Spieler von mir verlangt habe. Meinen Fleiß und Ehrgeiz als Maßstab für alle in unserem Kader angesetzt. Immer 100 Prozent geben – 80 oder 90 Prozent waren zu wenig. Das konnte nicht gut gehen. Ich war, was die Leidenscha­ft und den Ehrgeiz betrifft, extrem. Interview: Olaf Kupfer und Harald Pistorius ● 64, Torhüter, 1. FC Köln, Schalke 04, Fenerbahce Istanbul, FC Bayern, 76 Länderspie­le, Europameis­ter 1980, Vize Weltmeiste­r 1982 und 1986; seit 2012 Vizepräsid­ent des 1. FC Köln.

60 Spielminut­en trennen die Handballer der SG FlensburgH­andewitt noch von ihrem großen Traum. 60 Minuten, in denen die Schützling­e von Trainer Maik Machulla alles geben werden, um die zweite deutsche Meistersch­aft nach 2004 in den hohen Norden zu holen. Mit einem Heimsieg am Sonntag (15 Uhr/Sky) über Frisch Auf Göppingen hätten die Flensburge­r geschafft, womit vor wenigen Wochen niemand gerechnet hätte: dass die SG den zuletzt zweifachen Titelträge­r Rhein-Neckar Löwen doch noch vom Thron stößt. Jetzt haben sie einen Punkt Vorsprung auf die Löwen.

Das vergangene Wochenende hat gezeigt, wie eng es in der Liga zugeht. Da mühte sich die SG, nachdem sie die Löwen von der Tabellensp­itze verdrängt hatte, zu einem 27:24 beim Abstiegska­ndidaten TuS N-Lübbecke. Das hat die SG geschafft, während es den Löwen bei den Niederlage­n gegen Berlin und Melsungen sowie dem Remis gegen Erlangen nicht gelang.

Zumindest öffentlich haben die Mannheimer die letzten Hoffnungen auf den dritten Meistertit­el in Serie schon aufgegeben. „Ich denke, dass das eine klare Sache für Flensburg werden wird“, sagte LöwenCoach Nikolaj Jacobsen der RheinNecka­r Zeitung. „Und die haben diesen Titel dann eben einfach verdient.“Eine offizielle Titelfeier ist im Norden aber nicht geplant. Vor der Flens-Arena, die mit 6300 Zuschauern ausverkauf­t ist, wird es eine Bühne mit Livemusik geben.

Für das gesamte SG-Team wäre ein Erfolg am Sonntag die Krönung einer Saison, die mit dem Viertelfin­al-Aus in der Champions League gegen den späteren Sieger Montpellie­r AHB sowie dem Scheitern im Achtelfina­le des DHB-Pokals gegen die Füchse Berlin auch einige Enttäuschu­ngen parat hatte.

Das gilt besonders für Thomas Mogensen und Mattias Andersson, die ebenso wie Kentin Mahé, Kevin Möller, Jacob Heinl und Hendrik Toft Hansen den Klub verlassen werden. Der dänische Spielmache­r Mogensen wechselt nach elf Jahren zurück in die Heimat, der schwedisch­e Keeper Andersson beendet nach sieben Jahren im SG-Trikot seine Karriere.

 ?? Bild: Kilian Schedler, 10 Jahre, Landkreis Augsburg ?? Inzwischen deutlich gesetzter: Ex Nationalto­rhüter Harald Schumacher, heute Vize präsident des 1. FC Köln.
Bild: Kilian Schedler, 10 Jahre, Landkreis Augsburg Inzwischen deutlich gesetzter: Ex Nationalto­rhüter Harald Schumacher, heute Vize präsident des 1. FC Köln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany