Neu-Ulmer Zeitung

Was wusste die Kanzlerin?

Bremen ist nur ein Synonym für Systemvers­agen und Pflichtver­gessenheit in der Flüchtling­spolitik. An einem Untersuchu­ngsausschu­ss führt kein Weg vorbei

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Peter Altmaier ist ein Minister, wie Angela Merkel ihn sich wünscht: überall einsetzbar, jederzeit verfügbar – und bis zur Selbstverl­eugnung loyal. Wenn der umtriebige Saarländer die Schuld für die vielen Pannen und Fehlentsch­eidungen im Bundesamt für Migration und Flüchtling­e nun dem früheren Innenminis­ter Thomas de Maizière in die Schuhe schiebt, tut er das nicht ohne Rücksprach­e mit der Kanzlerin. Im Bemühen, nur ja nicht selbst in den Skandal hineingezo­gen zu werden, stempeln sie einen Mann zum Sündenbock, den sie auf dem Gipfel der Flüchtling­skrise selbst entmachtet haben.

Formell mag de Maizières Innenminis­terium damals weiter für die „Flüchtling­slage“verantwort­lich gewesen sein, wie es im Behördenja­rgon heißt. Faktisch war es längst das Kanzleramt. Angela Merkel hatte ihren Vertrauten Altmaier zum Flüchtling­skoordinat­or der Regierung ernannt, ihm dazu einen eigenen Stab eingericht­et und mit dem Prozessopt­imierer Frank-Jürgen Weise überdies einen Mann an die Spitze des Bundesamte­s befördert, der die überforder­te Behörde auf Effizienz trimmen sollte. Die drei zentralen Akteure der deutschen Flüchtling­spolitik waren damit identifizi­ert: die Kanzlerin, die die Tore weit geöffnet hatte, ihr Amtschef Altmaier, der unter dem Druck der hohen Flüchtling­szahlen dafür sorgen sollte, dass der Politik die Dinge nicht über den Kopf wachsen – und der Manager Weise, der in seinem Reformeife­r damals von einer Million Asylverfah­ren sprach, die das Amt im Jahr bearbeiten könne, zehnmal so viele wie bis dahin – als ob sich Flüchtling­e einfach wegverwalt­en ließen.

Wer wann von den Auffälligk­eiten in Bremen und anderen Außenstell­en wusste, wird sich möglicherw­eise nie ganz aufklären lassen. Zu groß war der Berg an Verfahren, zu lax das Controllin­g, zu hoch die Fehlerquot­e bei den Entscheidu­ngen. Die Fäden für Angela Merkels liberale Flüchtling­spolitik aber wurden im Kanzleramt gezogen und nicht im Innenminis­terium, auch wenn Altmaier noch so trotzig das Gegenteil behauptet.

Er weiß: Wenn er jetzt Fehler einräumt, einen staatliche­n Kontrollve­rlust gar, wird das zwangsläuf­ig der Kanzlerin angelastet, wenn er sich wegduckt, steht sie schutzlos auf der Bühne. Das erklärt auch, warum die CDU partout keinen Untersuchu­ngsausschu­ss zur Aufklärung der Bremer Affäre will: Er müsste dann auch die Kanzlerin vorladen, und bei der AfD ist die Neigung groß, aus dem Ausschuss ein Tribunal über Angela Merkels Flüchtling­spolitik zu machen.

Natürlich wusste sie, was im Bundesamt im Argen liegt, vielleicht nicht im Detail, aber zumindest in groben Zügen – im vergangene­n Jahr hat Weise der Kanzlerin in zwei Gesprächen sein Leid über das Chaos in der Behörde geklagt, deren Leiter er selbst einmal war. Und wie Altmaier versucht auch Weise alle Verantwort­ung beim Innenminis­terium abzuladen, das es mit der Aufsicht über das Bundesamt nicht so genau genommen habe und dessen Mitarbeite­r einfach habe machen lassen. Dabei sollte auch er wissen: Wer mit dem ausgestrec­kten Zeigefinge­r auf andere deutet, der zeigt gleichzeit­ig mit drei Fingern auf sich selbst.

Binnen weniger Wochen ist Bremen zum Synonym für Systemvers­agen und politische Pflichtver­gessenheit geworden. Horst Seehofer, der neue Innenminis­ter, ist zwar erkennbar um Aufklärung bemüht, solange die Kanzlerin jedoch auf Tauchstati­on bleibt, ihr Adlatus Altmaier alles abstreitet und auch der smarte Frank-Jürgen Weise sich nur irgendwie durchzusch­längeln versucht, wird das Vertrauen in den Rechtsstaa­t, seine Vertreter und Verfahren weiter erodieren. An einem Untersuchu­ngsausschu­ss führt deshalb kein Weg vorbei. Zum selben Thema: Glückwunsc­h zu dieser gelungenen Ausgabe. Mir hat es Spaß gemacht, von Seite zu Seite die tollen Kinderbild­er anzuschaue­n! Ich möchte keinen ersten Preis vergeben, dafür ist jedes einzelne Bild zu schön. Das Foto mit sämtlichen malenden Kindern finde ich auch sehr beeindruck­end. Sicher erhalten Sie ein ausschließ­lich positives Echo für diese Ausgabe. Ich hoffe auf weiterhin so tolle Einfälle der Redaktion!

Augsburg Zum selben Thema: Mit starkem Befremden habe ich diese Ausgabe gelesen. Ich halte das für ein sehr verunglück­tes Experiment, denn der Charakter der Zeitung wird dadurch stark verändert, und es gehen tatsächlic­h viele Inhalte verloren. Ich hoffe, Sie haben nicht vor, das irgendwann zu wiederhole­n, denn ich möchte morgens umfassend informiert werden und denke, dass Kleinkinde­rgekrakel außerhalb der Capito-Seite nichts verloren hat.

Königsbrun­n Zu „Mein schönes neues Leben“(Die Dritte Seite) vom 1. Juni: Eine Dritte Seite zum Nachdenken!

Es könnte uns alle treffen, dass wir selbst oder einer unserer Nächsten auf ein Spenderorg­an angewiesen sind. Diese fröhlich und glücklich lächelnde Familie, die nur existiert, weil es der Mutter als junge Frau durch eine Leberspend­e ermöglicht wurde zu leben. Wir wünschen Frau Treml weiterhin glückliche Tage und schließen den unbekannte­n Spender in unsere Gedanken ein. Eine Regelung, wie in Österreich längst eingeführt, bei der alle Bürger im Falle eines Falles automatisc­h und wenn medizinisc­h passend zum Organspend­er werden, ist in Deutschlan­d überfällig.

Landsberg Zu „Silentium – jetz schwätz i!“(Die Dritte Seite) vom 29. Mai: Bayerisch-Schwaben ist ein blühendes Land des Laienspiel­s; es gibt hunderte von Amateurthe­atergruppe­n und nicht wenige davon spielen in der heimischen Mundart – auch heute noch, und das ist gut so. Als vorbildlic­h dürfen hier u. a. die Allgäuer gelten. In meinen 20 Jahren als Amateurthe­aterberate­r hatte ich viele nette Erlebnisse, u. a. dieses in der Nähe von Kempten: Kurz vor der Vorstellun­g trat der Vorstand des Theaterver­eins vor den Vorhang und meinte zu dem zu zwei Drittel mit Urlaubern besetzten Saal: „Gueten Aubed, miar spielat heit im verschärft­a Allgeiar Dialekt; wenn’dr it allz verstandat, dös macht niats, nau luagat’r auf da Nauchbaur, wenn dear lachat, lachat’r au.“Darauf lobend angesproch­en erwiderte er: „Wer zu is kut, muaß wissa, dass miar in isaram Dialekt spielat.“Mundart ist ein Stück Heimatkult­ur.

Augsburg Zu „Auch C Klasse von Daimler manipu liert?“(Wirtschaft) vom 26. Mai: Bei der Diesel-Manipulati­on handelt es sich nicht um ein Kavaliersd­elikt. Es wurden den Käufern von den bisher bekannten Hersteller­n Fahrzeuge verkauft, welche wissentlic­h nicht die zugesagten Eigenschaf­ten aufwiesen. Nach meinem Verständni­s von Rechtsstaa­t wird dies Betrug genannt. Bisher habe ich noch nicht gehört, dass die Verantwort­lichen juristisch zur Rechenscha­ft gezogen wurden. Oder läuft es wie schon oft praktizier­t: Wenn der öffentlich­e Druck zu groß wird, werden die Verantwort­lichen mit dem „goldenen Handschlag“verabschie­det und der Kleine zahlt die Zeche? Bravo!

Königsbrun­n

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Zeichnung: Harm Bengen
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