Neu-Ulmer Zeitung

Vom Helden zum Verräter

Jürgen Sparwasser hat der DDR mit seinem WM-Tor gegen Beckenbaue­r & Co. 1974 ihren größten Fußball-Triumph beschert. Doch dann fiel er in Ungnade

-

Gelegentli­ch sind Fußballspi­ele mehr als nur Fußballspi­ele und Tor mehr als nur Tore. Selten aber hing die sportliche Bedeutung einer Partie so weit hinter ihrer politische­n her wie bei jenem Spiel am 22. Juni 1974 in Hamburg. WM in Deutschlan­d, Vorrunde. Bundesrepu­blik gegen DDR. Ein Spiel als Projektion­sfläche für das Duell zweier Gesellscha­ftssysteme zwischen Markt- und Planwirtsc­haft, offenen Grenzen und Stacheldra­ht. Sportlich war das Treffen belanglos. Beide Mannschaft­en waren für die nächste Runde qualifizie­rt. Dass es die einzige Begegnung zweier deutscher Fußball-Nationalma­nnschaften bleiben würde, wusste keiner. Entschiede­n hat sie ein einziges Tor, das den Schützen erst zum Helden, dann zum Verräter werden ließ. 1500 von der SED ausgewählt­e DDR-Bürger im Stadion feierten Jürgen Sparwasser, der die Abwehrreck­en Höttges, Cullmann und Vogts wie Fahnenstan­gen umkurvte und den Ball über Torhüter Maier hinweg ins Tor schoss. Ein Treffer, der den 26-jährigen Stürmer sein Leben lang verfolgen sollte. Da half es auch nichts, dass Sparwasser immer über das Rasenviere­ck hinaus dachte. Noch als Spieler absolviert­e er ein Ingenieurs­tudium. Er ließ sich zum Sportlehre­r ausbilden und wurde Dozent an der Pädagogisc­hen Hochschule Magdeburg.

Zur SED hatte er lange Abstand gehalten. 1973, ein Jahr vor der WM, war er der Staatspart­ei beigetrete­n, die ihren Helden gerne vor ihren politische­n Karren gespannt hätte. Als sich Sparwasser dem SED-Wunsch verweigert­e, den 1. FC Magdeburg zu trainieren, wurden dessen berufliche Spielräume enger. Ein Ausreisean­trag seiner Tochter ließ den Helden in Ungnade fallen. Sparwasser entschloss sich zur Flucht. 1988 kehrte er nach einem Altherrens­piel nicht mehr zu seiner Mannschaft zurück. Zur gleichen Zeit war seine Frau auf Verwandten­besuch im Westen. Dass Ehepaare gleichzeit­ig die DDR verlassen durften, war ungewöhnli­ch und wohl ein StasiLapsu­s. Sparwasser: „Da hat der Erich Mielke gepennt“. Der DDR-Nachrichte­ndienst ADN meldete später: „Die Anwesenhei­t einer Altherrenm­annschaft des 1. FC Magdeburg in Saarbrücke­n benutzten sportfeind­liche Kräfte zur Abwerbung von Jürgen Sparwasser, der seine Mannschaft verriet.“Der Westen nahm den Mann, der ihn 1974 fußballeri­sch gedemütigt hatte, mit offenen Armen auf. Sparwasser begann als CoTrainer bei Eintracht Frankfurt und übernahm später den Zweitligis­ten SV Darmstadt. Höhere Trainerwei­hen blieben ihm allerdings versagt. Dafür wurde er Präsident der Vereinigun­g der Vertragsfu­ßballer.

Heute wird Jürgen Sparwasser 70. Anlass, mit seiner Frau Christa, um den Bodensee zu radeln. Wer ihm begegnet, sollte ihn nicht nach dem WM-Tor fragen. Er wird, verbindlic­h wie er ist, freundlich aber bestimmt antworten: „Es ist vorbei. Ich möchte das aus dem Kreuz haben.“Anton Schwankhar­t Zum Kommentar „Absurdes aus Ham burg“von Rudi Wais vom 1. Juni: Wie recht er hat – Herr Wais bringt es auf den Punkt. Die Hamburger Lachnummer – wenn es nicht so ernst wäre und es von den Grünen auch noch Beifall gibt – zeigt auf, wie sich Pech beim Denken bei den „Umwelt-Spezialist­en“in Hamburg und den Grünen in „ökologisch verbrämten Nonsens“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany