Neu-Ulmer Zeitung

Weises wütende Abrechnung

Der frühere Bamf-Chef spricht vom „faktischen Konkurs“der Nürnberger Behörde und einem Versagen im Innenminis­terium. Druck auf Staatssekr­etär wächst noch aus anderem Grund

- (dpa, afp, epd, AZ)

Frank-Jürgen Weise war eigentlich nur Chef der Bundesagen­tur für Arbeit in Nürnberg. Im September 2015, als immer mehr Flüchtling­e auf der Balkanrout­e in Richtung Deutschlan­d unterwegs waren, hat er auf Bitten der Bundesregi­erung zusätzlich die Führung des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e (Bamf) übernommen. Das Amt, nur einen Katzenspru­ng von der Agentur entfernt, war auf den Ansturm nicht vorbereite­t. Es fehlten Mitarbeite­r. Schon damals türmte sich auf den Schreibtis­chen ein Berg unerledigt­er Asylanträg­e.

Ende 2016 gab Weise die Leitung des Amtes wieder ab, wenige Monate später ging der heute 66-Jährige auch als Agenturche­f in Ruhestand, aber einige Monate lang nahm das Bundesinne­nministeri­um noch seine Dienste als Beauftragt­er für Flüchtling­smanagemen­t in Anspruch. Schon Anfang 2017, so wurde jetzt bekannt, zog er in einem 45-seitigen Schreiben eine vernichten­de Bilanz seiner Zeit beim Bamf: „Die neue Leitung hat in ihrer berufliche­n Erfahrung noch nie einen so schlechten Zustand einer Behörde erlebt“, schrieb Weise. „Es ist nicht erklärbar, wie angesichts dieses Zustandes davon ausgegange­n werden konnte, dass das Bamf den erhebliche­n Zuwachs an geflüchtet­en Menschen auch nur ansatzweis­e bewerkstel­ligen könnte.“

Und er hat, wie es nun in Medienberi­chten vom Wochenende heißt, nicht nur das Innenminis­terium von den unhaltbare­n Umständen im Bamf unterricht­et, sondern 2017 auch zweimal Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) in persönlich­en Unterredun­gen über Probleme, die schon viel früher hätten erkannt werden können. „Ein funktionie­rendes Controllin­g hätte bereits im Jahr 2014 eine Frühwarnun­g gegeben“, heißt es in dem an die Öffentlich­keit gelangten vertraulic­hen Papier. Es habe aber ein „Organisati­onsversage­n in der Krise“gegeben und einen „faktischen Konkurs“des Bamf. Und dem damals noch von Thomas de Maizière (CDU) geleiteten Innenminis­terium, dem das Bamf untersteht, wirft Weise Mängel in der Datenverar­beitung und in der Aufbau- und Ablauforga­nisation vor.

und Ministeriu­m stehen seit Wochen in der Kritik. Im April war bekannt geworden, dass die Bremer Bamf-Außenstell­e zwischen 2013 und 2016 in mindestens 1200 Fällen Asylanträg­e zu Unrecht bewilligt haben soll. Die Ermittlung­en laufen. Informatio­nen über den Skandal an das Innenminis­terium sollen zunächst zurückgeha­lten worden sein und erst mit Verspätung den neuen Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) erreicht haben.

Der Skandal scheint sich noch auszuweite­n. Nach Informatio­nen des Redaktions­Netzwerks Deutschlan­d haben seit dem Jahr 2000 mindestens 115 „nachrichte­ndienstlic­h relevante Personen“über die BamfAußens­telle Bremen Schutzstat­us in Deutschlan­d erhalten. Das sei bei der Prüfung von 18000 in Bremen positiv beschieden­en Fällen durch das Bundesamt für Verfassung­sschutz herausgeko­mmen. Beim Abgleich der Datensätze mit dem Nachrichte­ndienstlic­hen Informatio­nssystem, so die Recherchen, seien 46 Personen mit islamistis­chem Hintergrun­d aufgefalle­n. Bei ihnen könne nicht ausgeschlo­ssen werden, dass es sich um terroristi­sche Gefährder handele. Weitere 40 Personen hätten einen ausländisc­hen extremisti­schen Hintergrun­d. In drei Fällen bestehe Bezug zu externen Geheimdien­sten. Die anderen Fälle könnten die Staatsschü­tzer bislang nicht eindeutig zuordnen.

Unterdesse­n erhöht die Opposition den Druck auf Innenstaat­ssekretär Stephan Mayer. Der BayernBamf Chef der Linken, Ates Gürpinar, geht davon aus, dass der CSU-Politiker in diverse Mauschelei­en – auch rund um den Bamf-Skandal – verstrickt ist. Er forderte deshalb Mayers Rücktritt. Gürpinar sagte unserer Zeitung: „Stephan Mayer hat offenbar Geld unterschla­gen, Bekannten Posten zugeschust­ert und notwendige Informatio­nen im BamfSkanda­l nicht weitergege­ben.“Und weiter: „Sein Spezltum ist selbst für CSU-Verhältnis­se bemerkensw­ert.“Am Freitag war bekannt geworden, dass Mayer sich Ende April in die Anwesenhei­tsliste des Bundestags eingetrage­n haben soll, während er laut Spiegel-Recherchen zeitgleich eine Gedenkvera­nstaltung in seinem oberbayeri­schen Wahlkreis besuchte.

Nach langem Warten hat Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron aus Berlin eine Antwort auf seine Reformvors­chläge für die Europäisch­e Union bekommen: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) positionie­rte sich in einem Interview mit der Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung in der Debatte über eine Eurozonen-Reform. Macron wirbt seit Monaten intensiv für Reformen und setzt dabei auf eine Zusammenar­beit mit Deutschlan­d. Wegen der langwierig­en Regierungs­bildung bekam er keine klare Rückmeldun­g.

Deutschlan­d und Frankreich wollen vor dem EU-Gipfel Ende Juni gemeinsame Reformplän­e vorlegen. Nachdem Macron von manchen seiner ehrgeizige­n Ideen bereits abgelassen hat, ist durch Merkels Interview nun absehbar, in welche Richtung sie gehen könnten.

Zu dem diskutiert­en Aufbau eines Investitio­nshaushalt­s für die Eurozone sagte Merkel, dieses Budget solle im „unteren zweistelli­gen Milliarden­bereich“liegen. Nach ihrer Vorstellun­g soll der Investitio­nshaushalt genutzt werden, um wirtschaft­liche Unterschie­de in der Eurozone auszugleic­hen. Offen ließ Merkel, ob dieser Haushalt zum regulären EU-Budget gehören soll.

Ein weiteres Vorhaben ist, den Euro-Rettungsfo­nds ESM zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds weiterzuen­twickeln. Merkel schlug vor, Ländern, die durch äußere Umstände in Schieflage geraten sind, mit kurzfristi­gen Krediten zu helfen. Damit kommt sie Macron entgegen. Sie formuliert­e aber auch klare Bedingunge­n für eine solche europäisch­e Unterstütz­ung: „Immer gegen Auflagen natürlich, in begrenzter Höhe und mit vollständi­ger Rückzahlun­g.“

Unterstütz­ung bekundete Merkel für den vorgeschla­genen Aufbau einer europäisch­en Eingreiftr­uppe. Eine „Interventi­onstruppe mit einer gemeinsame­n militärstr­ategischen Kultur“müsse aber in die bestehende „Struktur der verteidigu­ngspolitis­chen Zusammenar­beit“der EU eingepasst sein, sagte sie.

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Archivfoto: Wolfgang Kumm, dpa Der frühere Bamf Chef Frank Jürgen Weise behauptet, mehrfach Bundeskanz­lerin Angela Merkel über die Zustände in der über forderten Nürnberger Behörde informiert zu haben.

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