„Vieles war heute schlecht“
Die Niederlage gegen Österreich verleitet Bundestrainer Löw zu harscher Kritik an seinem Team. Die Gastgeber dagegen feiern – allen voran einer, der in Augsburg spielt
Marko Arnautovic wollte sofort etwas klarstellen. „Jetzt werden wieder einige schreiben: Ja, die Deutschen haben ja auch nicht mit ihrer ersten Elf gespielt und so weiter.“Ihm selbst stand der Sinn nicht nach Relativierungen. Ein Marko Arnautovic ist nicht der Typ für Schattierungen. Schließlich hatte die österreichische Nationalmannschaft gerade zum ersten Mal seit 32 Jahren gegen das DFB-Team gewonnen. 4:1 hatten sie die Elf von Franz Beckenbauer 1986 aus dem Praterstadion geschossen. Im kollektiven Gedächtnis verfangen hat sich aber jenes 3:2 aus dem Jahr 1978, das hierzulande als „Schmach von Córdoba“in den Fußball-Lexika notiert ist. Arnautovic also war der Meinung, dass man anstatt „immer Córdoba, Córdoba zu hören bekommt“, künftig von Klagenfurt reden wird.
Die deutsche Mannschaft schien zuvor reichlich überrascht von der Tatsache, dass ihr Gegner die Partie als Rendezvous mit der Geschichte interpretierte. Für sie war es lediglich ein Testspiel vor der Weltmeisterschaft. In Ermangelung einer Qualifikation für das Sportfest in Russland müssen sich die Österreicher andere Ziele setzen. Kaum eines ist so verlockend, wie den großen Nachbarn zu ärgern.
Dabei sah es lange Zeit so aus, als würden Austro-Fans und -Spieler wenig Grund zur Freude haben. Zum einen, weil das Spiel nach einigen Hagel- und Regenschauern so- dazugehörigen Blitz und Donner kurz vor der Absage stand und erst mit 100-minütiger Verspätung angepfiffen wurde. Zum anderen, weil die deutsche Elf die Klagenfurter Arena eine Halbzeit lang ruhigspielte. Die Masse verfolgte schweigsam die andauernden deutschen Ballzirkulationen. Mesut Özils Treffer aus der elften Minute entsprang einem Fehler von Keeper Jörg Siebenhandl, den der Deutsche aber stilsicher ausnutzte.
Seine Mannschaft habe es „in der ersten Halbzeit ganz ordentlich gemacht“, fasste Bundestrainer Joachim Löw das Geschehen vor der Pause zusammen. Was er in der zweiten Halbzeit sah, führte allerdings zu einer Fehler-Auflistung, die aus seinem Mund selten ist. Ballverluste, keine Ordnung, immer einen Schritt zu spät, schlampig im Spiel nach vorne – gipfelnd in der Bewertung: „Vieles war heute schlecht.“Die wirren Versuche eines geordneten Spielaufbaus und missratene Abwehraktionen fanden ihre Zuspitzung in den Treffern des Augsburgers Martin Hinteregger (53.) und des Schalkers Alessandro Schöpf (69.). Hinteregger brachte die zuvor schweigenden Anhänger mit seinem Tor zum Lärmen. „Von mir waren 80 Leute im Stadion. Da ist es natürlich fantastisch, wenn das so läuft“, so der Innenverteidiger.
Den Deutschen fehlte es an diesem Abend an der Mentalität, daran noch etwas zu ändern. Nach der Partie versuchten sich die Spieler in der Kombination aus Selbstkritik und Beschwichtigung. Ja, die zweite Halbzeit sei schlecht gewesen, räumten sie ein. Allerdings hätte man auch in der Vergangenheit das ein oder andere vermasselte Vorbereitungsspiel eingestreut. Vor zwei Jahren setzten die Deutschen der EM in Frankreich ein 1:3 gegen die Slowakei voraus. Auch damals spielte das Wetter eine Hauptrolle. Auch in Augsburg zog man das Spiel durch. In Klagenfurt machten sich die Spieler drei Mal warm, ehe endlich angepfiffen wurde. „Erst aussi, dann eini, dann wieder aussi, dann eini und wieder aussi. A bisserl scheiße“, schilderte Österreichs Offensivspieler Peter Zulj die Geschehnisse vor der Partie.
Unbeeindruckt davon zeigte sich Manuel Neuer. Sein erstes Spiel nach fast neun Monaten lieferte zuwie mindest Indizien, dass der Torhüter tatsächlich noch in Topform nach Russland fährt. Reden wollte der Kapitän nach dem Spiel aber nicht. Am Dienstag werde er erstmals in der Vorbereitung öffentlich sprechen, teilte der DFB mit. Dann liegt die Kader-Reduzierung (siehe Artikel unten) einen Tag zurück. Neuer wird als erster Torwart zur WM fahren. Das dürfte Angela Merkel am Sonntag aus erster Hand erfahren haben. Da besuchte die Bundeskanzlerin das deutsche Team im Trainingslager in Eppan. Ein Besuch bei der Mannschaft während der WM ist noch offen. Löw jedenfalls dürfte die Reiselust der Kanzlerin nicht unbedingt angefacht haben: „Wenn wir so spielen, haben wir in Russland keine Chance.“
Siebenhandl (Sturm Graz) – Lainer (Salzburg), Prödl (Watford), Drago vic (Leicester City), Hinteregger (Augs burg), Alaba (FC Bayern) – Schöpf (Schalke – 76. Bauer, Stoke City), Grillitsch (Hoffen heim – 79. Ilsanker, Leipzig), Baumgartlin ger (Leverkusen), Zulj (Sturm Graz – 88. F. Kainz, Bremen) – Arnautovic (West Ham United – 84. Burgstaller, Schalke)
Neuer – Kimmich, Süle (alle FC Bayern), Rüdiger (Chelsea), J. Hector (Köln) – S. Khedira (Juventus Turin – 46. Rudy, FC Bayern), Gündogan (Manchester City – 56. Goretzka, Schalke) – Brandt (Le verkusen – 67. Ti. Werner, Leipzig), Özil (FC Arsenal – 76. Draxler, Paris Saint Ger main), L. Sané (Manchester City – 67. Reus, Dortmund) – Petersen (Freiburg – 76. Gomez, Stuttgart/32/74) 29 200 0:1 Özil (11.), 1:1 Hintereg ger (53.), 2:1 Schöpf (69.)
Wenn Löw nun also Jonathan Tah zu sich ruft, beide sich die schwitzenden Hände gegeben haben, wird der Trainer anfangen: „Jonathan, du hast super Fortschritte im Trainingslager gemacht. Wie du den Mats auf der Playstation abgezogen hast, toll. Auch, dass du dem kleinen Joshua nur zwei Mal seinen Fruchtzwerg weggegessen hast, finde ich super. Leider kannst du aber nicht mit nach Russland fahren. Ich habe es schon Mats versprochen. Der hat genug von seinem schreienden Kind zu Hause. Und Jérôme, na ja, du weißt ja, wie er geweint hat, als ich ihm mal seine Kopfhörer weggenommen habe. Unglaubliche Verlustängste. Es ist einfach meine Schuld. Ich habe beim Nominieren den Überblick verloren. Du hast allen Grund, sauer zu sein. Aber lass dich nicht hängen. In zwei Jahren ist wieder eine EM. Da brauche ich wieder Füllmater..., Pardon, da hast du wieder die Chance.“