Die Nato rüstet in der Region auf
Der neue Ost-West-Konflikt hat die Bündnisstrategie verändert. Als Folge entstehen neue Kommandozentren: eines in den USA und eines in Ulm. Von dort aus sollen Truppen- und Materialtransporte in Europa organisiert werden
Beim Nato-TÜV, einer großen Übung in Norwegen, hat die Bundeswehr in Ulm bewiesen, dass sie Einsätze tausender Soldaten schnell organisieren und führen kann. Egal ob Heer, Marine und Luftwaffe, egal ob Armeen mehrerer Länder in Krisengebieten. Dass in der Donaustadt nun ein neues Logistikzentrum entstehen soll, hängt mit der seit längerer Zeit als aggressiv wahrgenommenen Politik Russlands mit den Bündnisstaaten zusammen.
Weil die Politik von Kremlchef Wladimir Putin als unberechenbar, ja aggressiv angesehen wird, rüstet die Nato im Sinne der Abschreckungspolitik Richtung Osten auf. Auch in der Region, wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch ankündigte. Der Norweger macht – auch mit Blick auf die politischen Konflikte mit Moskau aus seiner Besorgnis keinen Hehl. Man wolle sich auf eine „unberechenbarere Welt“einstellen, sagte er. Von Ulm aus will die Nato künftig Truppen- und Materialtransporte innerhalb Europas organisieren.
Die „höhere Einsatzbereitschaft“will das Bündnis durch eine Stärkung seiner Kommandostrukturen erreichen, die nach dem Ende des Kalten Krieges deutlich zurückgefahren wurden. Schon im Februar hatte das Bündnis deshalb den Aufbau von zwei neuen Kommandozentralen beschlossen.
Nach Ulm passe das neue Nachschubkommando deshalb, weil die dort ansässige Bundeswehr bereits darauf ausgerichtet ist, in Krisenfällen innerhalb kurzer Zeit multinationale militärische Operationen im Auftrag führen zu können, sagt Oberstleutnant Hagen Messer, Pressesprecher des Ulmer Kommandos. „Wir kennen die NatoVerfahrensweisen und haben gute Voraussetzungen.“Eine offizielle Bestätigung von Stoltenbergs Ankündigung liegt jedoch noch nicht vor. „Wir warten immer noch auf grünes Licht“, sagt der Offizier.
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums betont, dass die bisherigen Verpflichtungen des Ulmer beibehalten werden sollen. Er sagt aber auch: „Das Kommando soll nicht in die bestehende Nato-Struktur integriert, aber eng mit ihr verzahnt werden.“Vom Standort Ulm „werden Synergieeffekte aus den bereits existierenden Aufgaben für die Nato- und EU-Operationen erwartet“.
Presseoffizier Messer wird, was das neue Kommando angeht, konkreter – zumindest ein bisschen. Als eine Art „militärisches Reisebüro“ bezeichnet er die neue Aufgabe. Wenn beispielsweise eine amerikanische Panzerbrigade für ein Manöver von einem europäischen Land in ein anderes transportiert werden soll, müssen Zollbestimmungen beachtet und bürokratische Probleme gelöst werden. Außerdem werden geeignete Routen ausfindig gemacht. Für all das soll das neue Nato-Kommando zuständig sein.
Einen Logistik-Standort samt riesigem Fuhrpark und VerkehrsbelasKommandos tung müsse niemand fürchten, betont Messer. Was die Entscheidung für die Bundeswehr in Ulm bedeutet, lässt sich bisher noch schwer vorhersagen. Denn viel mehr als das Stichwort „militärisches Reisebüro“kann auch Messer nicht liefern. Deshalb ist aus seiner Sicht auch nicht klar, welche und wie viele Fachleute neu in die Donaustadt kommen würden.
Nach Angaben aus Bündniskreisen in Brüssel ist vorgesehen, dass die Bundeswehr einen Großteil der Soldaten für das neue Kommando in Ulm stellt. Nach vorläufigen Planungen sollen dort bis zu 500 Kräfte
Der Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger hat die Europäische Union zu einer starken gemeinsamen Außenpolitik gemahnt. Die EU müsse mit einer Stimme sprechen, nicht nur bei Einzelfragen, sondern bei der großen politischen Linie, sagte der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz am Mittwoch bei einem Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP).
Europa stehe unter enormem Druck, nicht nur von außen, sondern auch durch Dissens von innen, sagte Ischinger. „Dies ist nicht die Zeit für business as usual. Wir leben in extrem gefährlichen Umständen.“Der frühere Diplomat und Botschafter in Washington verwies auf die Unberechenbarkeit der US-Politik, aber auch auf die Rolle Chinas und Russlands. „Es ist keine Übertreibung zu sagen: Europa ist allein zu Hause“, meinte Ischinger.
Jene, die nun rückwärtsgewandte Politik predigten, seien aber auf dem Holzweg. Nötig seien vielmehr Einigkeit und eine nach außen geschlossene Linie. Große Länder wie Deutschland, Frankreich oder Italien müssten mit gutem Beispiel vorangehen und gemeinsame Entscheidungen mittragen und nach außen vertreten. Ischinger sagte, Europa könne nur mit mehr Selbstständigkeit auf die Krise reagieren. „Das Trittbrettfahren wird ein Ende haben müssen.“