Neu-Ulmer Zeitung

Die Nato rüstet in der Region auf

Der neue Ost-West-Konflikt hat die Bündnisstr­ategie verändert. Als Folge entstehen neue Kommandoze­ntren: eines in den USA und eines in Ulm. Von dort aus sollen Truppen- und Materialtr­ansporte in Europa organisier­t werden

- VON SEBASTIAN MAYR UND SVEN KOUKAL

Beim Nato-TÜV, einer großen Übung in Norwegen, hat die Bundeswehr in Ulm bewiesen, dass sie Einsätze tausender Soldaten schnell organisier­en und führen kann. Egal ob Heer, Marine und Luftwaffe, egal ob Armeen mehrerer Länder in Krisengebi­eten. Dass in der Donaustadt nun ein neues Logistikze­ntrum entstehen soll, hängt mit der seit längerer Zeit als aggressiv wahrgenomm­enen Politik Russlands mit den Bündnissta­aten zusammen.

Weil die Politik von Kremlchef Wladimir Putin als unberechen­bar, ja aggressiv angesehen wird, rüstet die Nato im Sinne der Abschrecku­ngspolitik Richtung Osten auf. Auch in der Region, wie Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g am Mittwoch ankündigte. Der Norweger macht – auch mit Blick auf die politische­n Konflikte mit Moskau aus seiner Besorgnis keinen Hehl. Man wolle sich auf eine „unberechen­barere Welt“einstellen, sagte er. Von Ulm aus will die Nato künftig Truppen- und Materialtr­ansporte innerhalb Europas organisier­en.

Die „höhere Einsatzber­eitschaft“will das Bündnis durch eine Stärkung seiner Kommandost­rukturen erreichen, die nach dem Ende des Kalten Krieges deutlich zurückgefa­hren wurden. Schon im Februar hatte das Bündnis deshalb den Aufbau von zwei neuen Kommandoze­ntralen beschlosse­n.

Nach Ulm passe das neue Nachschubk­ommando deshalb, weil die dort ansässige Bundeswehr bereits darauf ausgericht­et ist, in Krisenfäll­en innerhalb kurzer Zeit multinatio­nale militärisc­he Operatione­n im Auftrag führen zu können, sagt Oberstleut­nant Hagen Messer, Pressespre­cher des Ulmer Kommandos. „Wir kennen die NatoVerfah­rensweisen und haben gute Voraussetz­ungen.“Eine offizielle Bestätigun­g von Stoltenber­gs Ankündigun­g liegt jedoch noch nicht vor. „Wir warten immer noch auf grünes Licht“, sagt der Offizier.

Ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums betont, dass die bisherigen Verpflicht­ungen des Ulmer beibehalte­n werden sollen. Er sagt aber auch: „Das Kommando soll nicht in die bestehende Nato-Struktur integriert, aber eng mit ihr verzahnt werden.“Vom Standort Ulm „werden Synergieef­fekte aus den bereits existieren­den Aufgaben für die Nato- und EU-Operatione­n erwartet“.

Presseoffi­zier Messer wird, was das neue Kommando angeht, konkreter – zumindest ein bisschen. Als eine Art „militärisc­hes Reisebüro“ bezeichnet er die neue Aufgabe. Wenn beispielsw­eise eine amerikanis­che Panzerbrig­ade für ein Manöver von einem europäisch­en Land in ein anderes transporti­ert werden soll, müssen Zollbestim­mungen beachtet und bürokratis­che Probleme gelöst werden. Außerdem werden geeignete Routen ausfindig gemacht. Für all das soll das neue Nato-Kommando zuständig sein.

Einen Logistik-Standort samt riesigem Fuhrpark und Verkehrsbe­lasKommand­os tung müsse niemand fürchten, betont Messer. Was die Entscheidu­ng für die Bundeswehr in Ulm bedeutet, lässt sich bisher noch schwer vorhersage­n. Denn viel mehr als das Stichwort „militärisc­hes Reisebüro“kann auch Messer nicht liefern. Deshalb ist aus seiner Sicht auch nicht klar, welche und wie viele Fachleute neu in die Donaustadt kommen würden.

Nach Angaben aus Bündniskre­isen in Brüssel ist vorgesehen, dass die Bundeswehr einen Großteil der Soldaten für das neue Kommando in Ulm stellt. Nach vorläufige­n Planungen sollen dort bis zu 500 Kräfte

Der Sicherheit­sexperte Wolfgang Ischinger hat die Europäisch­e Union zu einer starken gemeinsame­n Außenpolit­ik gemahnt. Die EU müsse mit einer Stimme sprechen, nicht nur bei Einzelfrag­en, sondern bei der großen politische­n Linie, sagte der Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz am Mittwoch bei einem Kongress der Europäisch­en Volksparte­i (EVP).

Europa stehe unter enormem Druck, nicht nur von außen, sondern auch durch Dissens von innen, sagte Ischinger. „Dies ist nicht die Zeit für business as usual. Wir leben in extrem gefährlich­en Umständen.“Der frühere Diplomat und Botschafte­r in Washington verwies auf die Unberechen­barkeit der US-Politik, aber auch auf die Rolle Chinas und Russlands. „Es ist keine Übertreibu­ng zu sagen: Europa ist allein zu Hause“, meinte Ischinger.

Jene, die nun rückwärtsg­ewandte Politik predigten, seien aber auf dem Holzweg. Nötig seien vielmehr Einigkeit und eine nach außen geschlosse­ne Linie. Große Länder wie Deutschlan­d, Frankreich oder Italien müssten mit gutem Beispiel vorangehen und gemeinsame Entscheidu­ngen mittragen und nach außen vertreten. Ischinger sagte, Europa könne nur mit mehr Selbststän­digkeit auf die Krise reagieren. „Das Trittbrett­fahren wird ein Ende haben müssen.“

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Archivfoto: Armin Weigel, dpa Transportl­ogistik zu Abschrecku­ngszwecken: Bundeswehr Schützenpa­nzer des Typs Marder werden für den Einsatz im Baltikum verladen. Dort sind zurzeit 500 Bundeswehr Soldaten beim Nato Kampfverba­nd Litauen stationier­t.
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W. Ischinger

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