Sterben noch mehr Gasthäuser?
Das Aus von Traditionsbetrieben im Landkreis löst große Betroffenheit aus. Wie ein Kenner der Branche, ein Gewerkschafter und der Chef des Gaststättenverbands die Lage beurteilen
Die Nachricht über das baldige Aus der Weißenhorner Traditionsgaststätte „Löwen“schlägt hohe Wellen. Eberhard Riedmüller hat die Botschaft „wie ein Blitz getroffen“, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung sagt. Und das nicht nur, weil er als Geschäftsführer der „Barfüßer“-Hausbrauereien die Weißenhorner Gastroszene gut kennt. Riedmüller ist nach eigenen Angaben Stammgast des „Löwen“. Er sagt: „Da wird Weißenhorn etwas fehlen. Das ist ein tolles Lokal, das sind hervorragende Gastgeber.“
Der Gastronom mit Betrieben in Ulm, Neu-Ulm, Weißenhorn, Memmingen, Leutkirch und Reutlingen kann es nachvollziehen, dass Wolfgang Ländle, der Geschäftsführer des „Löwen“, wegen den derzeitigen Bedingungen in der Branche die Notbremse zieht. Mit dem „Hasen“macht in Weißenhorn wie berichtet Ende Juli eine weitere Traditionsgaststätte zu, auch die „Krone“in Illertissen wurde geschlossen. „Das Personalproblem wird immer schlimmer, es fehlen vor allem Köche“, sagt Riedmüller. Er weiß das aus eigener, leidlicher Erfahrung. „In größeren Städten ist die Lage allerdings nicht so schlimm wie in kleineren Städten wie Weißenhorn“, fügt er hinzu.
Der „Löwen“arbeitet Riedmüller zufolge auf einem Niveau, auf dem es im ländlichen Raum besonders schwierig ist, Köche zu finden. Hinzu kommt aus seiner Sicht das Problem der Arbeitszeiten. In seinen durchgängig geöffneten Gaststätten gebe es eine Früh- und eine Spätschicht. In kleineren Betrieben hingegen gebe es eine für viele Angestellte unattraktive Zwischenschicht. Heißt: Der Gasthof ist vom Vormittag bis über den Mittag geöffnet, macht dann am Nachmittag zu und öffnet erst wieder am frühen Abend. Zudem seien kleinere Betriebe nicht so flexibel, betont Riedmüller. Personelle Engpässe in einem Lokal könne er mit Personal aus einem anderem ausgleichen. Das funktioniere in kleinen, familiär geführten Betrieben nicht.
Gibt unter diesen Umständen nach „Hasen“, „Krone“und „Löwen“bald der nächste Traditionsgasthof in der Region auf? Tim Lubecki ist sich ganz sicher: Das Gaststätten-Sterben wird weitergehen. Der schwäbische Regionalgeschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) sieht nur einen Ausweg: höhere Gehälter und kürzere Arbeitszeiten. „Das haben sich die Arbeitgeber selbst zuzuschreiben“, sagt er.
Fachkräftemangel und kaum junge Menschen, die eine Ausbildung in der Gastronomie machen wollen – damit sich an dieser Situation etwas ändert, glaubt Gewerkschafter Tim Lubecki, müssen die Löhne steigen und die Zahl der Arbeitsstunden muss sinken. „Wenn ich in die Gastronomie gehe, dann weiß ich, dass ich dann arbeite, wenn die anderen feiern“, sagt er. „Die Frage ist: Müssen es zehn, zwölf, 14, 16 Stunden am Stück sein?“Die Wirte, fordert er, sollen mehr Personal einstellen, damit die Schichten der Angestellten auf ein normales Niveau sinken.
Jochen Deiring ist Geschäftsführer im Bezirk Schwaben des Hotelund Gaststättenverbands Dehoga. Er streitet ab, dass die Wirte zu schlecht zahlen. „Wenn ich einen guten Koch haben will, dann kriege ich ihn zum Tariflohn gar nicht“, betont er. Vielmehr frage ein Wirt den Bewerber, was der verdienen wolle, und entscheide dann, ob er das bezahlen kann und will. An der Bezahlung liege es nicht, dass immer weniger Leute in der Gastronomie arbeiten wollen und dass jeder zweite Kochlehrling seine Ausbildung abbricht – über diese Zahl berichteten im Frühjahr mehrere Zeitungen übereinstimmend. Als Grund sieht Deiring die Arbeitszeiten an. Da könne ein Wirt mit seinen Dienstplänen entgegensteuern. Zum Beispiel, indem er seinen Lehrlingen auch Wochenenden freihalte. Eine Chance sieht der Dehoga-Geschäftsführer darin, das Bild des Berufs zu verbessern. Sein Verband suche den Kontakt zu den Berufsschulen. Im Allgäu gebe es bereits Versuche, die Freisprechungsfeiern attraktiver zu gestalten: Mit der Seilbahn auf den Berg, mit der Sommerrodelbahn wieder ins Tal. „Das sind nur kleine Maßnahmen, aber wir müssen langfristig denken“, sagt Deiring.
Er sieht auch andere Probleme in der Branche, etwa die zunehmende Bürokratisierung. Die hatten auch Jürgen Willer von der Illertisser „Krone“und Benjamin Glöggler vom Weißenhorner „Hasen“im Gespräch mit unserer Zeitung beklagt. „Das kann ein kleiner Betrieb gar nicht leisten“, sagt Deiring und erinnert an die seit Kurzem gültigen neuen Datenschutzregeln, die auch für die Gastronomen weiteren Mehraufwand bedeuten. Er sieht vor allem die kleinen und ländlichen Gasthäuser in Gefahr.
Gewerkschafter Tim Lubecki dagegen glaubt, dass auf Dauer allen die gleichen Probleme drohen. In Ballungsräumen wie Ulm oder Augsburg, sagt er, ließen die sich aber wohl besser abfedern, zum Beispiel durch studentische Aushilfen. Für sie würden die Gehälter ausreichen. Dass sie so hoch sind wie Deiring sagt, hält er allerdings für ein Gerücht. Lubecki verweist auf Verträge, die ihm und Gewerkschaftskollegen vorgelegt wurden. „Wir sehen immer wieder Arbeitsverträge, auch aus den Ballungsräumen“, sagt er.