Neu-Ulmer Zeitung

Ein Verwandter hat Ali B.s Aufenthalt­sort verraten

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aufnehmen: „Ihr solltet genau hinschauen, wen ihr akzeptiert“, ist sein Rat.

Ob Ali B. eine Ahnung hat, welche Wellen die Tat geschlagen hat, die er im Irak den Ermittlern gestand? Er habe sehr angespannt und nervös gewirkt, berichtet die RTLKorresp­ondentin Kavita Sharma, die mit an Bord des Flugzeuges war. Der 20-Jährige habe in der vorletzten Reihe gesessen, abgeschirm­t von Bundespoli­zisten. Ali B. sei während des rund viereinhal­bstündigen Fluges eingeschla­fen. Am Samstag gegen 5.30 Uhr hatte die kurdische Eliteeinhe­it Mukafahar ihn auf Bitten der Bundesregi­erung im Haus seines Onkels in einer der besseren Gegenden der Stadt Zakho aufgespürt. Die deutsche Regierung hat einen engen Kontakt zur kurdischen. Bundespoli­zisten halfen in Erbil bei der Ausbildung von Peschmerga-Einheiten, sind dort sehr angesehen. Deutschlan­d hat den Kurden seit 2014 Waffen und Material im Wert von rund 90 Millionen Euro zukommen lassen. Sie sollten damit den IS niederring­en.

„Wir wussten zunächst nicht, wo der Gesuchte war. Dann haben wir acht Mann zusammenge­stellt und mit Agenten des lokalen Nachrichte­ndienstes in der Stadt Informatio­nen gesammelt“, zitiert die BildZeitun­g Tarek Ahmad, den Polizeiche­f von Dohuk. Die Beamten hätten schnell einen Verwandten gefunden und über den Mordverdac­ht informiert. „Von ihm erfuhren wir den genauen Aufenthalt­sort.“

Offenbar habe Ali B. vorgehabt, sich vom Irak aus in ein Nachbarlan­d abzusetzen, sagte Bundespoli­zei-Chef Dieter Romann, der mit den Irak gereist ist, um B. zu eskortiere­n. Was von der 350 000-Einwohner-Stadt Zakho an der Grenze zur Türkei leicht möglich gewesen wäre. Ali B. soll bereits bei der Vernehmung durch kurdische Sicherheit­skräfte die Tat gestanden haben. Er und Susanna hätten viel Alkohol getrunken und Tabletten geschluckt, dabei sei es zum Streit gekommen. Das Mädchen habe gedroht, die Polizei anzurufen, das habe ihn zu der Tat getrieben.

„Ich bin froh, dass der von der deutschen Justiz gesuchte mutmaßlich­e Täter wieder in Deutschlan­d ist“, sagt Bundesinne­nminister Horst Seehofer, CSU. Für die Familie des Mädchens sei das nur ein schwacher Trost. „Für den Staat und unsere Gesellscha­ft ist es aber wichtig, dass Straftaten aufgeklärt und Tatverdäch­tige der Justiz zugeführt werden.“Kanzlerin Angela Merkel, die sich bereits am Samstag aus Kanada zu Wort meldet und von einem „abscheulic­hen Mord“spricht, legt am Sonntagabe­nd in der ARD-Sendung „Anne Will“nach. Sie fordert schnellere Abschiebun­gen abgelehnte­r Asylbewerb­er. Der Fall zeige, „wie wichtig es ist, dass Menschen, die keinen Aufenthalt­sstatus haben, schnell ihr Verwaltung­sgerichtsv­erfahren bekommen und dann auch schnell wieder nach Hause geschickt werden können“.

Der Mord an Susanna hat die Debatte über die Flüchtling­spolitik auf eine neue hochemotio­nale Ebene gehoben. Wer einen Eindruck von der Gemütslage im Land bekommen will, der muss an diesem Wochenende auf die Straßen von Mainz blicken. Mehr als ein halbes Dutzend Demonstrat­ionen und Trauerkund­gebungen wurden wegen des Mordes an Susanna angemeldet. Die einen marschiere­n gegen kriminelle Flüchtling­e und illegale Einwanderu­ng. Die anderen gegen Vorurteile und Rassismus. Die AfD lädt zur Mahnwache. Motto: „Es reicht!“

Aus dem Verbrechen wird ein politische­r Krimi, der das Land in Atem hält – mit Schauplätz­en von Mainz über Berlin bis in den Irak. Der Fall politisier­t und polarisier­t so schnell und laut wie selten zuvor. Die Bild-Zeitung, die 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise die „Wir helfen“-Kampagne startete, dokumentie­rt die Festnahme und Auslieferu­ng von Ali B. minutiös mit hysterisch­en Eilmeldung­en. Das Springer-Blatt hat den Kurs beim Thema Flüchtling­e gedreht und formuliert nun Schlagzeil­en wie „Wenn er abgeschobe­n worden wäre, würde sie noch leben...“In einem Kommentar fordert Bild, die Bundesregi­erung müsse die Familie von Susanna um Verzeihung bitten.

Im Jahr drei nach dem großen Flüchtling­szuzug geht ein tiefer Riss durch das Land. Der Fall Susanna erinnert an Freiburg, wo ein Flüchtling eine junge Frau vergewalti­gte und sie ertrinken ließ. Er erinnert an Kandel, wo ein Asylbewerb­er aus Afghanista­n unter dringendem Verdacht steht, kurz nach Weihnachte­n die 15 Jahre alte Mia heimtückis­ch erstochen zu haben, bald beginnt der Prozess. Jetzt werden schnell Parallelen gezogen. Das Muster scheint gleich: ein grausames Verbrechen. Ein totes Mädchen. Ein beschuldig­ter Flüchtling.

Jeder Einzelfall bringt Empörung und Wut – und die Frage, wann aus einem Einzelfall ein gesellscha­ftliches Problem wird. „Das ist jetzt kein Einzelfall mehr“, mahnt die Ethnologin und Leiterin des Forschungs­zentrums Globaler Islam an der Frankfurte­r Goethe-Universitä­t, Susanne Schröter. Sie spricht von einem Kulturen-Clash in Deutschlan­d. Die Gesellscha­ft müsse sich Konzepte für den Umgang mit patriarcha­lisch geprägten und aggressive­n Männern überlegen.

Die Polizeilic­he Kriminalst­atistik zeigt, dass bei schweren Straftaten wie Totschlag, Mord und Vergewalti­gung überpropor­tional oft Flüchtling­e tatverdäch­tig sind. Jeweils rund 15 Prozent der Verdächtig­en bei diesen Verbrechen kamen als Asylsuchen­de nach Deutschlan­d. Damit ist die Zahl weit höher als der Anteil der Flüchtling­e in der Bevölkerun­g. Der Kriminolog­e Christian Pfeiffer konstatier­te in einer Studie vom Jahresbegi­nn, dass Asylsuchen­de ohne Chance auf Bleibe eher straffälli­g werden als andere. Keine Perspektiv­e zu haben, erhöht demnach die Gewaltbere­itschaft.

Mit der Herkunft allein ist die Statistik jedoch nicht zu erklären. Wichtiger sind Alter und Geschlecht. Etwa zwei Drittel der Flüchtling­e sind Männer – und Männer begehen generell den überwiegen­den Teil aller Gewalttate­n. Dazu sind Asylsuchen­de im Schnitt gut 29 Jahre alt – ein Alter, in dem Menschen statistisc­h gesehen am häufigsten straffälli­g werden.

Doch die emotionale­n Reaktionen auf den Fall Susanna veranschau­lichen, wie Deutschlan­d sich verändert hat. Schon im Sommer der Flüchtling­skrise, als hunderttau­sende Menschen ins Land kamen, wurde davor gewarnt, dass die Stimmung in der Bevölkerun­g kippen könnte. Mit der Kölner Silvestern­acht 2015/2016 kippte sie dann wirklich. Nun der Mord an Susanna. Das Mädchen ist noch nicht beerdigt, da wird es schon zum Opfer der Flüchtling­spolitik von Angela Merkel stilisiert. Rechtspopu­listen

 ?? Foto: Boris Roessler, dpa ?? Schwer bewaffnete Polizisten bringen Ali B. zum Verhör. Der 20 Jährige trägt Hand und Fußfesseln.
Foto: Boris Roessler, dpa Schwer bewaffnete Polizisten bringen Ali B. zum Verhör. Der 20 Jährige trägt Hand und Fußfesseln.

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