Neu-Ulmer Zeitung

„Wir brauchen Investitio­nen in Afrika“

Entwicklun­gsminister Gerd Müller stellt am Dienstag zusammen mit Innenminis­ter Horst Seehofer den Masterplan Migration vor. Der CSU-Politiker erklärt, warum er die Bekämpfung der Fluchtursa­chen vor Ort für so wichtig hält

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Herr Minister, am Dienstag stellen Sie zusammen mit Bundesinne­nminister Horst Seehofer den Masterplan Migration vor. Welche Rolle spielt dabei das Entwicklun­gsminister­ium?

Migration ist eine Jahrhunder­t-Herausford­erung, weltweit sind rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Hunger Elend und Klimafolge­n. 90 Prozent von ihnen sind übrigens in Entwicklun­gsländer geflohen, das dürfen wir nicht vergessen. Uganda, selbst ein armes Land, hat etwa zwei Millionen Menschen aufgenomme­n, die aus dem umkämpften Südsudan geflohen sind. Es gibt gewaltige Herausford­erungen, so wird sich etwa die Bevölkerun­g Afrikas bis 2050 verdoppeln. Aktuell etwa leben acht Millionen Menschen in der Krisenregi­on rund um Syrien unter dürftigste­n Bedingunge­n in Flüchtling­slagern. Wir können nicht alle Menschen in Deutschlan­d aufnehmen, aber wir können ihnen vor Ort helfen. Ich bin mir mit Horst Seehofer einig, dass wir unsere Anstrengun­gen weiter steigern müssen, und hoffe, dass Finanzmini­ster Olaf Scholz die dafür im kommenden Jahr benötigten zusätzlich­en 880 Millionen Euro für den Entwicklun­gshaushalt bewilligt.

Wo setzen Sie an?

Parallel zum Masterplan Migration werde ich die Entwicklun­gsstrategi­e 2030 vorstellen. Sie bedeutet eine Neuausrich­tung der Entwicklun­gszusammen­arbeit, die nicht mehr nur mit öffentlich­en Geldern erfolgen soll. Wir brauchen mehr private Investitio­nen, gerade in Afrika. Gerade hat Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier die Möglichkei­t für deutsche Unternehme­n, ihr Engagement in fünf afrikanisc­hen Ländern über HermesBürg­schaften abzusicher­n, deutlich verbessert. Der Kontinent bietet riesige Chancen für die deutsche Wirtschaft. Auch faire Handelsbed­ingungen und die Förderung von Eigenleist­ung gehören zu dem Programm.

Welche Maßnahmen sind dazu nötig?

Wir bauen etwa die berufliche Bildung in der Maghreb-Region aus, das schafft Perspektiv­en für junge Menschen, in ihrer Heimat zu bleiben. Auch wo es um direkte Überlebens­hilfe geht, etwa im Irak oder im Libanon, geben wir den Menschen Möglichkei­ten, durch Arbeit, die der Allgemeinh­eit zugutekomm­t, Geld zu verdienen – etwa Ausbesseru­ng von Straßen oder Ausbau von Schulen – und investiere­n parallel in Ausbildung. Wir haben bereits acht Beratungsu­nd Qualifizie­rungszentr­en in Ländern aufgebaut, aus denen besonders viele Flüchtling­e kommen. Jetzt kommen zwei neue hinzu, in Nigeria und Ägypten. Die Angebote, die wir für Binnenflüc­htlinge anbieten, wenden sich auch an freiwillig­e Rückkehrer aus Deutschlan­d. Niemand soll als Verlierer zurückgehe­n müssen. Viele abgelehnte Asylbewerb­er kehren aber nicht freiwillig zurück. Und oft scheitern Rückführun­gen an der Bereitscha­ft der Herkunftsl­änder zur Rücknahme. Wo wollen Sie ansetzen?

Die Rückführun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er ist eine Aufgabe der Länderinne­nminister, die wir nur in Kooperatio­n mit den Herkunftsl­ändern bewältigen können. Und die ist in den allermeist­en Fällen gegeben. Die größten Hinderniss­e liegen hier in Deutschlan­d – etwa in komplizier­ten Gerichtsve­rfahren. Besonders große Probleme bei der Rückführun­g machen übrigens einige Länder des Westbalkan – also auch Länder, die in die EU streben. Wenn sie eine Zusammenar­beit wollen, müssen sie auch auf diesem Feld kooperiere­n. Unter den Ländern, aus denen die meisten abgelehnte­n Asylbewerb­er stammen, befindet sich nur ein afrikanisc­hes Land: Nigeria. Und Menschen in Kriegsgebi­ete zurückzufü­hren, ist auch in Zukunft kaum möglich.

Auch in Ihrer Partei gibt es Stimmen, unkooperat­iven Ländern notfalls die Entwicklun­gshilfe zu kürzen oder zu streichen. Würde das funktionie­ren?

Es ist klar, abgelehnte Asylbewerb­er ohne Bleibepers­pektive müssen in ihre Heimat zurückkehr­en. Und wer bei uns straffälli­g wird, wie jetzt offenbar im furchtbare­n Fall des ermordeten Mädchens aus Mainz, der muss mit der vollen Härte unserer Gesetze rechnen und verwirkt natürlich sein Recht auf Schutz bei uns. Wir erwarten generell die umfassende Zusammenar­beit der Behörden der Herkunftsl­änder – auch bei der Rücknahme ihrer Staatsbürg­er. Aber: Entwicklun­gsprojekte über Nacht zu stoppen, das wäre kontraprod­uktiv. Zum Beispiel haben wir in Mossul im Irak mit deutschen Mitteln in den letzten sechs Monaten die Wasservers­orgung wiederherg­estellt und 180 Schulen neu eröffnet. Dies hat dazu geführt, dass tausende von Binnenvert­riebenen wieder in ihre Stadt zurückkehr­en konnten. Kein Mensch könnte nachvollzi­ehen, wenn wir jetzt die Wasserhähn­e wieder zudrehen und die Kinder nach Hause schicken. Aber es ist auch klar: Wenn Binnenflüc­htlinge aus anderen Regionen des Irak wieder nach Mossul zurückkehr­en können, dann kann das auch der irakische Flüchtling aus Berlin. Muss die Liste der sicheren Herkunftsl­änder erweitert werden?

Ganz klar. Marokko, Tunesien und Algerien – das sind für mich eindeutig sichere Herkunftsl­änder. Das gilt auch für Georgien, ein Land, das sich Richtung Europa orientiert. Die Maghreb-Region mit Ägypten kann in den kommenden 20 Jahren eine wirtschaft­liche Entwicklun­g nehmen wie Osteuropa. Und es gibt auch sichere Regionen in Krisenländ­ern wie Irak und Afghanista­n, in die abgelehnte Asylbewerb­er durchaus zurückgesc­hickt werden können. Durch das Chaos und die Skandale beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e hat das Vertrauen der Bevölkerun­g in das deutsche Asylsystem weiter gelitten. Wie kann es wieder hergestell­t werden?

Es zeigt sich nicht erst jetzt, dass eine Massenzuwa­nderung von Flüchtling­en wie in den Jahren 2015 und 2016 auf Dauer nicht zu bewältigen ist. Der Koalitions­vertrag bekennt sich eindeutig zu einer Begrenzung der Zuwanderun­g über das Asylsystem auf nicht mehr als 200000 Personen im Jahr. Im vergangene­n Jahr wurde dies erreicht, und in diesem Jahr gelingt es wohl auch. Doch die Flüchtling­sströme können jederzeit wieder anschwelle­n. In Syrien wird zwar mittlerwei­le weniger gekämpft, im Irak wurde der Islamische Staat zurückgedr­ängt. Aber aus Afrika, etwa aus dem Südsudan und Eritrea, kommen auch Menschen, die von Verfolgung betroffen sind. Die überwiegen­de Zahl der Flüchtling­e aber macht sich aus wirtschaft­lichen Gründen, aus existenzie­ller Not auf den Weg – deshalb ist die Bekämpfung von Fluchtursa­chen so wichtig. Wir müssen aber gleichzeit­ig offen darüber reden, wie wir die Zuwanderun­g von Menschen ohne Schutzansp­ruch begrenzen können. Horst Seehofer wird auch dazu mit dem Masterplan Migration einen umfangreic­hen Maßnahmenk­atalog vorstellen. Zählt zu den Maßnahmen auch die Zurückweis­ung von bereits in anderen EU-Ländern registrier­ten Flüchtling­en an der deutschen Grenze?

Ich werde dem Innenminis­ter nicht vorgreifen, aber sagen wir es so: Der Masterplan wird das gesamte Instrument­arium zeigen, das nötig ist, um Ordnung und Recht in Deutschlan­d durchzuset­zen. Klar ist auch, dass wir die Ankerzentr­en brauchen, in denen die Asylverfah­ren von der Einreise bis zur Entscheidu­ng und gegebenenf­alls zur Abschiebun­g gebündelt werden.

Wenn zuvor etwa in Griechenla­nd, Italien oder Österreich registrier­te Flüchtling­e wieder zurückgesc­hickt würden, bestünde dann die Gefahr, dass diese Länder Asylsuchen­de gar nicht mehr registrier­en und nach Deutschlan­d durchwinke­n?

Wir müssen auch Frontex, die europäisch­e Agentur für die Grenz- und Küstenwach­e, deutlich

 ?? Foto: S. Hoppe, dpa ?? Minister Gerd Müller hofft darauf, dass sich die deutsche Wirtschaft stärker in Afrika engagiert. Dies wäre nach Ansicht des schwäbisch­en CSU Politikers ein Beitrag dazu, dass sich weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen.
Foto: S. Hoppe, dpa Minister Gerd Müller hofft darauf, dass sich die deutsche Wirtschaft stärker in Afrika engagiert. Dies wäre nach Ansicht des schwäbisch­en CSU Politikers ein Beitrag dazu, dass sich weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen.

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