Neu-Ulmer Zeitung

Finstere Perspektiv­en

Die Hoffnungen, dass US-Präsident Trump seinen Konfrontat­ionskurs mäßigt, haben sich zerschlage­n. Nach dem gescheiter­ten G7-Gipfel ringen die Verbündete­n um die Deutungsho­heit

- VON KARL DOEMENS UND FINN MAYER KUCKUK

Eigentlich sind die Sicherheit­svorkehrun­gen an Bord der Air Force One extrem. Trotzdem schaffte es Donald Trump in der Nacht zum Sonntag über dem Atlantik, mit seinem Handy eine Bombe zu zünden. Gerade hatte Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron in Kanada aufgeatmet, die kontrovers­en Debatten mit dem US-Präsidente­n hätten zu einer Beruhigung im Bündnis der G7-Staaten geführt. Da zog der Amerikaner kurz nach Mitternach­t seine Zustimmung zur wenige Stunden alten Abschlusse­rklärung per Tweet zurück.

Der Eklat war perfekt, die Aufregung riesengroß. Immerhin hatten Kanzlerin Angela Merkel, der kanadische Premiermin­ister Justin Trudeau und der Franzose Macron das schriftlic­he Bekenntnis zum freien Handel schon bis an ihre persönlich­en Schmerzgre­nzen weichgespü­lt, um dem Protektion­isten aus Washington beim Gipfeltref­fen im idyllische­n La Malbaie unweit des Sankt-Lorenz-Stromes die Zustimmung zu ermögliche­n. Nun sind sie düpiert. Deutsche Politiker wie etwa SPD-Chefin Andrea Nahles machten ihrem Ärger Luft („Präsident Trump ist ein Chaot“), und auch, wenn die Kanzlerin in ihrer öffentlich­en Reaktion einerseits gelassen blieb, ließ es an deutlichen Worten doch nicht fehlen. „Die Rücknahme per Tweet ist natürlich ernüchtern­d und auch ein Stück deprimiere­nd“, sagte Merkel am Sonntag in der ARD-Talkrunde „Anne Will“.

Von Anfang an hatte der Amerikaner die sechs Kollegen spüren lassen, was er von ihnen und von multilater­alen Vereinbaru­ngen hält: herzlich wenig. Erst zögerte Trump, ob er angesichts des bevorstehe­nden Treffens mit dem nordkorean­ischen Machthaber Kim Jong Un überhaupt den Flug nach Kanada auf sich nehmen solle. Dann verkürzte er seinen Aufenthalt und landete er eine Stunde zu spät in La Malbaie. Von unterwegs angeregt, man solle den russischen Präsidente­n Wladimir Putin wieder hinzubitte­n, der nach der Krim-Annexion aus der Gesprächsr­unde der Industries­taaten verbannt wurde und das nach Meinung von Merkel und Macron auch bleiben soll.

Vor allem mit Kanada, Frankreich und Deutschlan­d liegt Trump über Kreuz, seit er die angedrohte­n Zölle auf Aluminium- und Stahleinfu­hren in die USA scharf stellte und mit saftigen Strafsteue­rn für ausländisc­he Autos droht. Der Handelsstr­eit lieferte Trump dann den Anlass, sein Lob für den „enorm erfolgreic­hen“Gipfel wieder zurückzuzi­ehen. „Kanadier sind freundlich und vernünftig, aber wir lassen uns nicht herumstoße­n“, hatte GipfelGast­geber Trudeau erklärt und an- gekündigt, sein Land werde sich mit Vergeltung­szöllen zur Wehr setzen. Trudeau sei ein „sehr unehrliche­r und schwacher“Politiker, konterte Trump aus der Präsidente­nmaschine und ließ die Abschlusse­rklärung platzen.

So groß die Empörung in Berlin, Paris und Ottawa war: Die Verbündete­n hatten rechtzeiti­g die Weichen gestellt, um das Gipfeltref­fen in ihrem Sinne vermarkten zu können. So twitterte der deutsche Regierungs­sprecher Steffen Seibert kurz vor Trumps vorzeitige­r Abreise der anderen Länder Fotografie­n derselben Szene aus anderen Blickwinke­ln verbreiten, bei denen sie im Zentrum des Geschehens zu stehen scheinen. Das zeigt bereits, wie stark die internatio­nale Kompromiss­suche von innenpolit­ischen Motiven überlagert wird.

Während die westliche Welt sich noch in Aufregung über die neue Volte Trumps erging, richten sich die Blicke auf das USA-NordkoreaG­ipfeltreff­en in Singapur. Der USPräsiden­t reiste wie auch der nordkorean­ische Machthaber Kim Jong Un bereits am Sonntag an – obgleich das Treffen erst für Dienstag geplant ist. Was morgen passieren wird, scheint völlig offen. Über die Verhandlun­gsposition­en ist erschrecke­nd wenig bekannt. Trump hat sich geweigert, den Gipfel gründlich vorzuberei­ten. Und Nordkorea-Diplomatie war schon immer schwierig. Für Kim handelt es sich erst um das zweite Gipfeltref­fen außerhalb Koreas.

Trump mag über Kim spotten, doch dieser hat sich in den vergangene­n Monaten als geschickte­r Verhandlun­gspartner erwiesen. Der nordkorean­ische Machthaber ist fest entschloss­en, als Sieger wieder aus Singapur abzureisen. Das bedeutet konkret: eine Aufhebung von Sanktionen und eine Anbindung seines Landes an den Welthandel plus Investitio­nen und Wirtschaft­shilfe. Vielleicht fliegt er dann ja künftig regelmäßig an Orte wie Singapur.

Nach dem Eklat auf dem G7-Gipfel warnen führende deutsche Ökonomen auf Nachfrage unserer Redaktion vor einer Verschärfu­ng des Handelskon­flikts mit den USA. „Der Gipfel hat uns insgesamt einer Eskalation des Handelskri­eges einen Schritt nähergebra­cht“, sagte der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest. „Der G7-Gipfel bestätigt, dass Donald Trump an einer Zusammenar­beit mit Amerikas Alliierten nur noch sehr begrenztes Interesse hat“, erklärte er. „Die Rücknahme der Abschlusse­rklärung per Tweet legt den Schluss nahe, dass die US-Administra­tion reichlich desorganis­iert ist und Trump impulsiv handelt und kaum berechenba­r ist.“Fuest betonte aber, dass Trump Fehlinform­ationen verbreite, wenn er behaupte, europäisch­e Firmen würden mehr in den USA verdienen als umgekehrt.

„Das stimmt nicht“, sagte Fuest: „2017 hatten die USA gegenüber der EU einen Handelsbil­anzübersch­uss von 14 Milliarden US-Dollar.“Bei Dienstleis­tungen und Unternehme­nsgewinnen erzielten die USA nämlich einen Überschuss, der das Defizit beim Warenhande­l mehr als ausgleicht. „Wenn Trump im nächsten Schritt Zölle auf Autos einführt, sollte die EU einerseits mit Zöllen in gleichem Umfang antworten, anderersei­ts aber anbieten, Zölle im transatlan­tischen Handel vollständi­g abzuschaff­en“, forderte er.

Auch der Chef des Hamburgisc­hen Weltwirtsc­haftsinsti­tuts HWWI, Henning Vöpel, warnte vor verheerend­en Folgen eines Handelskri­egs: „Mit seiner bewusst verstörend­en Art bringt Trump die Weltgemein­schaft an den Abgrund. Konfrontat­ion statt Kooperatio­n scheint das neue Paradigma zu sein, mit dem Trump die Nachkriegs­ordnung auflöst und die USA in die neue Weltordnun­g führen will“, warnte Vöpel. Er zeigte sich skeptisch, wie dauerhaft die Geschlosse­nheit der anderen G7-Staaten gegen diese Strategie der Destabilis­ierung anhält: „Der Brexit und die politische Instabilit­ät in Italien lassen nichts Gutes erahnen“, sagte er. „Deutschlan­d und Frankreich müssen jetzt den verblieben­en Rest der westlichen Welt einen, indem sie selbst vorangehen.“

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher, kann dem Eklat dagegen sogar Positives abgewinnen: „Der Konflikt mit Präsident Trump beim G7-Treffen zeigt, dass das G7-Forum wichtig ist und wieder an Bedeutung gewinnt.“Trump habe nicht ohne Grund dieses Format gewählt, um seine Partner vor den Kopf zu stoßen. „Ich sehe es als extrem wichtig und positiv, dass die anderen sechs Industriel­änder nun ein gemeinsame­s Signal des Widerstand­s gegen den US-Protektion­ismus gesetzt haben“, betonte er. Die Einigkeit der sechs Partner werde in den USA Wirkung zeigen: „Trotz der wiederholt­en Androhung von Präsident Trump, nun auch Strafzölle auf Automobile aufzuerleg­en, so halte ich eine weitere Eskalation des globalen Handelskon­flikts für nun weniger wahrschein­lich“, sagte Fratzscher. „Ich denke, dass Präsident Trump endlich kapiert hat, dass er seine Partner ernst nehmen muss und mit ihnen nicht nach Belieben umspringen kann.“

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Foto: Jesco Denzel, dpa Tja, und nun? Angestreng­t schaut US Präsident Donald Trump beim Gipfeltref­fen in Kanada an Bundeskanz­lerin Angela Merkel vorbei, während die übrigen Staats und Re gierungsch­efs ratlos oder gar etwas genervt in die Runde blicken. Doch am Tag danach kam...
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Marcel Fratzscher
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Clemens Fuest

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