Als Papa beschloss zu sterben
Mario hat eine rauschende Geburtstagsparty für seine Frau organisiert. Stunden später nimmt er sich das Leben. Für sie und die Kinder ist das auch zwei Jahre später schwer zu begreifen. Jetzt spricht die Familie über den Tag, der alles verändert hat
Vier bunte Herzen. Zwei große umrahmen zwei kleine. „Papa“steht im größten. Und in krakeliger Kinderschrift darüber: „Liber Papa. Wir fermisen dich ser aber jezt hast du keine Schdimbrobleme, du bist ein Engel der uns beschüzt und der Geist der bei uns ist...“Das knitterige Blatt zittert in Juttas Hand, die unbeholfenen Buchstaben verschwimmen. Zwei Jahre ist der Brief alt, ihre Tochter Anna hat ihn im Juni 2016 geschrieben. Wenige Tage, nachdem ihr Vater sich umgebracht hatte.
Anna war damals sieben, ihr Bruder Julian neun. Jutta hatte gerade ihren 40. Geburtstag gefeiert. Es war ein rauschend-fröhliches Fest im Vereinsheim, organisiert von ihrem Mann. Bilder zeigen Mario tanzend, im Kreis von Freunden, Arm in Arm mit Jutta. Ein glücklicher Abend, rundum gelungen. Bis zum Ende, bis zum Aufräumen. Plötzlich brach Mario zusammen, weinte, beschimpfte sich selbst voller Wut und Hass. „So kannte ich meinen Mann überhaupt nicht“, sagt Jutta. 17 Jahre waren sie ein Paar, aggressiv sei er niemals gewesen. Das nächtliche Ausrasten kam völlig überraschend.
Einzelne Fragmente vom Morgen des 12. Juni 2016 haben sich eingebrannt: Das komische Gefühl beim Beseitigen der letzten Partyspuren, das leere Bett bei ihrer Heimkehr, die Suche nach Mario. Dann die Nachricht der Polizei: „Ihr Mann hat sich das Leben genommen.“Worte, die nicht zu begreifen sind. Schreien. Der Impuls wegzulaufen. Hilflosigkeit. Rettungskräfte überall. An ihrer Seite saß der Pfarrer, daran erinnert sich Jutta. Er war da, gab wertvollen Halt. Ruhe. „Aber
Jutta und die Kinder wurden von Anfang an psychologisch betreut. Mit ihrer Schwiegermutter hat sie Seminare zur Bewältigung besucht, unzählige Fachbücher über Depressionen gelesen. „Es war unendlich hart“, sagt die Schwiegermutter zu Jutta. „Was mich am allermeisten bewegt hat, waren die Kinder und ihre Angst. Wie sie so an dir hingen.“Stille Tränen in den Augen. Sie fürchteten, nach dem Vater auch ihre Mutter zu verlieren.
Ein dreiviertel Jahr lang wollten sie Jutta nicht aus den Augen lassen, folgten ihr überallhin. Was half, waren die Menschen.
Die Lehrer besuchten Anna und Julian zu Hause, die Schulpsychologin sprach mit den Klassen. Freunde kamen nach wie vor zu Besuch. Wo Erwachsene Berührungsängste zeigten, waren die Kinder unbefangen, spielten und tobten wie zuvor. Ein Spendenkonto wurde für die Familie eingerichtet. Weihnachten stand „die komplette Treppe voll mit Geschenken und ein Christbaum vor der Tür“, erzählt Jutta. Arbeitskollegen, Nachbarn, Leute aus dem Ort unterstützten die Familie.
Trotzdem gab es die dunklen Momente, „Nächte, in denen ich nicht schlafen konnte, geweint habe, verzweifelt war“. Schwierige Situationen wie das erste Vorsingen von Anna oder Julians MinistrantenFußballturnier. Andere Eltern verstummten plötzlich, wenn Jutta dazukam. „Mir hat es gutgetan, den Leuten zu sagen, wir gehen ganz offen damit um.“Nicht jeder konnte das verstehen. Nicht jeder richtig reagieren. Was ist schon richtig, wenn sich ein 38-jähriger Vater das Leben nimmt?
„Das Wichtigste ist: Da sein, zuhören und diesen Schmerz mit aushalten“,