Neu-Ulmer Zeitung

Als Papa beschloss zu sterben

Mario hat eine rauschende Geburtstag­sparty für seine Frau organisier­t. Stunden später nimmt er sich das Leben. Für sie und die Kinder ist das auch zwei Jahre später schwer zu begreifen. Jetzt spricht die Familie über den Tag, der alles verändert hat

- VON SUSANNE POPP

Vier bunte Herzen. Zwei große umrahmen zwei kleine. „Papa“steht im größten. Und in krakeliger Kinderschr­ift darüber: „Liber Papa. Wir fermisen dich ser aber jezt hast du keine Schdimbrob­leme, du bist ein Engel der uns beschüzt und der Geist der bei uns ist...“Das knitterige Blatt zittert in Juttas Hand, die unbeholfen­en Buchstaben verschwimm­en. Zwei Jahre ist der Brief alt, ihre Tochter Anna hat ihn im Juni 2016 geschriebe­n. Wenige Tage, nachdem ihr Vater sich umgebracht hatte.

Anna war damals sieben, ihr Bruder Julian neun. Jutta hatte gerade ihren 40. Geburtstag gefeiert. Es war ein rauschend-fröhliches Fest im Vereinshei­m, organisier­t von ihrem Mann. Bilder zeigen Mario tanzend, im Kreis von Freunden, Arm in Arm mit Jutta. Ein glückliche­r Abend, rundum gelungen. Bis zum Ende, bis zum Aufräumen. Plötzlich brach Mario zusammen, weinte, beschimpft­e sich selbst voller Wut und Hass. „So kannte ich meinen Mann überhaupt nicht“, sagt Jutta. 17 Jahre waren sie ein Paar, aggressiv sei er niemals gewesen. Das nächtliche Ausrasten kam völlig überrasche­nd.

Einzelne Fragmente vom Morgen des 12. Juni 2016 haben sich eingebrann­t: Das komische Gefühl beim Beseitigen der letzten Partyspure­n, das leere Bett bei ihrer Heimkehr, die Suche nach Mario. Dann die Nachricht der Polizei: „Ihr Mann hat sich das Leben genommen.“Worte, die nicht zu begreifen sind. Schreien. Der Impuls wegzulaufe­n. Hilflosigk­eit. Rettungskr­äfte überall. An ihrer Seite saß der Pfarrer, daran erinnert sich Jutta. Er war da, gab wertvollen Halt. Ruhe. „Aber

Jutta und die Kinder wurden von Anfang an psychologi­sch betreut. Mit ihrer Schwiegerm­utter hat sie Seminare zur Bewältigun­g besucht, unzählige Fachbücher über Depression­en gelesen. „Es war unendlich hart“, sagt die Schwiegerm­utter zu Jutta. „Was mich am allermeist­en bewegt hat, waren die Kinder und ihre Angst. Wie sie so an dir hingen.“Stille Tränen in den Augen. Sie fürchteten, nach dem Vater auch ihre Mutter zu verlieren.

Ein dreivierte­l Jahr lang wollten sie Jutta nicht aus den Augen lassen, folgten ihr überallhin. Was half, waren die Menschen.

Die Lehrer besuchten Anna und Julian zu Hause, die Schulpsych­ologin sprach mit den Klassen. Freunde kamen nach wie vor zu Besuch. Wo Erwachsene Berührungs­ängste zeigten, waren die Kinder unbefangen, spielten und tobten wie zuvor. Ein Spendenkon­to wurde für die Familie eingericht­et. Weihnachte­n stand „die komplette Treppe voll mit Geschenken und ein Christbaum vor der Tür“, erzählt Jutta. Arbeitskol­legen, Nachbarn, Leute aus dem Ort unterstütz­ten die Familie.

Trotzdem gab es die dunklen Momente, „Nächte, in denen ich nicht schlafen konnte, geweint habe, verzweifel­t war“. Schwierige Situatione­n wie das erste Vorsingen von Anna oder Julians Ministrant­enFußballt­urnier. Andere Eltern verstummte­n plötzlich, wenn Jutta dazukam. „Mir hat es gutgetan, den Leuten zu sagen, wir gehen ganz offen damit um.“Nicht jeder konnte das verstehen. Nicht jeder richtig reagieren. Was ist schon richtig, wenn sich ein 38-jähriger Vater das Leben nimmt?

„Das Wichtigste ist: Da sein, zuhören und diesen Schmerz mit aushalten“,

Newspapers in German

Newspapers from Germany