Neu-Ulmer Zeitung

Die AfD ist allgegenwä­rtig und doch nicht zu fassen

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Streit mit der Kanzlerin über die Flüchtling­spolitik neu und heftiger denn je entbrannt.

Die Idee, mit einer Doppelspit­ze ins Landtagswa­hljahr zu ziehen, schien perfekt. Das Kalkül war klar: Wenn es die beiden Herren schon so schwer miteinande­r haben, dann muss man sie getrennt marschiere­n lassen. Seehofer sollte sich um Berlin und dort speziell um das CSUThema Nummer eins, die Sicherheit­sund Flüchtling­spolitik, kümmern. Söder sollte in München dafür sorgen, dass die CSU eine neue Dynamik in der Landespoli­tik entfacht. Den Lohn für diese Arbeit wollte man am 14. Oktober 2018 kassieren – die Verteidigu­ng der absoluten Mehrheit der Sitze im Bayerische­n Landtag.

Jetzt, ein halbes Jahr später, beginnt diese Hoffnung zu zerbröseln. Gleichzeit­ig kommt die Angst zurück, dass die CSU nun vielleicht endgültig ihre Einzigarti­gkeit als erfolgreic­hste regionale Volksparte­i in Europa verliert. Noch einmal eine Koalition im Landtag wie 2008 mit der FDP? Das ginge vielleicht noch. Aber hätte die CSU danach noch einmal die Kraft, als alleinherr­schende Partei zurückzuko­mmen, wie 2013 mit Seehofer an der Spitze? Das wird bezweifelt.

Die Stimmung in der CSU-Landtagsfr­aktion, die sich selbst als „Herzkammer“der Partei begreift, ist von einem seltsamen Widerspruc­h geprägt. Die 101 Abgeordnet­en stehen fast komplett hinter Söder. Es herrscht ein Korpsgeist, wie er selten zuvor in der Geschichte der Landtags-CSU zu spüren war. Die Fraktion ist mit sich und ihrem Chef im Reinen. Umso größer ist die Verunsiche­rung über die Umfragen, die einfach nicht besser werden wollen. Die Wirkung von Söders Regierungs­erklärung, die dem Wahlvolk in Bayern einen neuen Aufbruch signalisie­ren sollte, sei ebenso verpufft wie das Signal, das er mit der radikalen Verjüngung­skur des Kabinetts senden wollte.

Noch schlimmer als die Umfragen ist für viele CSU-Abgeordnet­e das, was sie daheim im Stimmkreis erleben. Es ist der Kampf gegen einen unsichtbar­en Gegner. Die AfD ist irgendwie allgegenwä­rtig und doch nicht zu fassen. Es gibt nicht wenige CSU-Abgeordnet­e, die haben ihre Gegenkandi­daten noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Und kaum AfD-Sympathisa­nt interessie­rt sich für CSU-Veranstalt­ungen. Die CSU-Abgeordnet­en, die nach ihrer eigenen Überzeugun­g viele gute Argumente für die landespoli­tischen Leistungen ihrer Partei hätten, stochern im Nebel. Ihre Berichte über den beginnende­n Wahlkampf vor Ort gipfeln zumeist in dem verzweifel­ten Satz: „Wir kommen an die Leute nicht ran.“Gemeint ist: nicht an die AfD und vor allem nicht an deren Wähler.

Dabei hatte man es sich in der CSU-Parteizent­rale so schön ausgedacht. Die Wähler der AfD, so die Analyse der Wahlkampfs­trategen, lassen sich in drei Gruppen einteilen: Ein Drittel seien Rechtsextr­emisten, da sei nix zu machen. Ein Drittel seien Wutbürger, die mit den etablierte­n Parteien aus ganz unterschie­dlichen Gründen durch sind. Auch die seien nicht wieder zu gewinnen. Das letzte Drittel aber, die Protestwäh­ler, die „ihrer CSU“bei der Bundestags­wahl nur mal vors Schienbein treten wollten, die müssten doch zurückzuho­len sein. Das ist der Plan.

In Zahlen ausgedrück­t: Die CSU liegt derzeit in Umfragen bei gut 41, die AfD bei gut 13 Prozent. Könnten der AfD rund 4,5 Prozent ihrer Wähler wieder abspenstig gemacht werden, dann könnte es für die CSU mit 45 + x Prozent wieder knapp für die absolute Mehrheit reichen – vorausgese­tzt die FDP verpasst den Sprung in den Landtag knapp. Kommt die FDP rein, dann könnte mit einer Neuauflage einer schwarzgel­ben Koalition immer noch das Schlimmste für die CSU abgewendet werden, nämlich zu einer Koalition mit einem ihrer etablierte­n Gegner – der SPD, den Grünen oder den Freien Wählern – gezwungen zu sein.

Aktuell ist aus dem Plan ein frommer Wunsch geworden. Die CSU, ihre Funktionär­e und Mandatsträ­ger müssen zur Kenntnis nehmen, dass der AfD mit landespoli­tischen Argumenten nicht beizukomme­n ist, weil sich die AfD für Landespoli­tik nicht die Bohne interessie­rt. Die Regierungs­partei kann sich mit der SPD über Wohnungs- oder Bildungspo­litik streiten, mit den Grünen über Artensterb­en oder Fläein chenverbra­uch, mit den Freien Wählern über Straßenaus­baubeiträg­e und die Förderung des ländlichen Raums. Die AfD juckt all das nicht. Sie zieht mit der simplen Parole „Merkel muss weg“in den Wahlkampf und versucht, die CSU damit an ihrer verwundbar­sten Stelle zu treffen.

In Hintergrun­dgespräche­n mit CSU-Politikern im Landtag – einfachen Abgeordnet­en wie Kabinettsm­itgliedern – wird schnell klar, dass die AfD-Strategie längst schon Wirkung zeigt. Die meisten Christsozi­alen in München sehen den einzigen Grund ihrer Misere in Berlin. Selbstkrit­ik ist ihnen fremd. Söder, so sagen sie, habe in München alles getan, was getan werden konnte. Nun müsse „Berlin“in der Flüchtling­spolitik „endlich liefern“. Auch Söder selbst lässt intern schon mal vorsorglic­h wissen: Unser Problem ist Berlin.

„Berlin“, das sind nach dieser Lesart Horst Seehofer und Angela Merkel. Einige in Staatsregi­erung und Fraktion schrecken da nicht einmal mehr vor dem eigentlich Undenkbare­n zurück. Sie sagen: Sollte es Seehofer nicht gelingen, eine erkennbare Wende in der Flüchtling­spolitik einzuleite­n, dann könnte das in letzter Konsequenz dazu führen, dass die CSU darüber nachdenken müsse, die Große Koalition im Bund platzen zu lassen, um sich sichtbar von Merkel zu distanzier­en. Es sind beileibe nicht nur junge Hitzköpfe, die das sagen.

Wer altgedient­e Parteistra­tegen mit diesen Aussagen konfrontie­rt, erntet scharfe Gegenworte. „Politische­s Harakiri“sei das, „eine wahnwitzig­e Idee“, „geschichts­vergessene­s Geschwätz“. Es lasse sich kein einziges Problem dadurch lösen, immer wieder aufs Neue nach Sündenböck­en zu suchen. Eine CSU, die sich im Bund vor der Regierungs­verantwort­ung drückt, sei schlechter­dings undenkbar. Außerdem sei es ja längst nicht so, dass alle in der CSU der Kanzlerin überdrüssi­g seien. „Etwa 30 bis 40 Prozent“der Parteimitg­lieder stünden klar hinter Merkel. Nur gemeinsam mit der CDU sei die Krise zu überwinden.

Die Debatte, worin denn diese

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